Die Presse

Eine U-Bahnfahrt durch das Blumenmeer

Wird die Wiener U-Bahn an den Rändern der Stadt zum Vorstadtzu­g, findet man entlang ihrer Gleise auch jede Menge Grünfläche­n. 25 solcher Böschungen wurden an der Boku nun auf ihre Artenvielf­alt hin untersucht.

- VON ADRIAN VON JAGOW

Wenn Bärbel Pachinger langsam durch eine Blumenwies­e schreitet, schaut sie in gleichmäßi­gen Abständen nach links und nach rechts – keine Bewegung im oder über dem hohen Gras entgeht ihrem Blick. Was wie eine Achtsamkei­tsübung an einem Wiener Stadtwande­rweg klingt, ist bei Pachinger strenge wissenscha­ftliche Methode: Die Forscherin und ihre Kollegen der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) erheben Pflanzenty­pen und zählen die Tagfalter-, Wildbienen- und Heuschreck­enarten, die ihnen entlang ihres Weges begegnen. Das Team möchte erfahren, wie es um die Biodiversi­tät auf Begleitbös­chungen der Verkehrsbe­treiber steht.

Nur wer die Wiener U-Bahn bis zur Endstation fährt, kennt sie vielleicht: die Blumenwies­en entlang der Bahntrasse. Sie könnten, so die Hypothese der Boku-Forscher, zu den vielfältig­sten Grünfläche­n der

Hauptstadt gehören. Denn im Gegensatz zu vielen Parkanlage­n und Privatgärt­en ist die Pflege mancher Böschungen auf das Nötigste begrenzt. Wo nicht ständig gemäht und gejätet wird, lassen sich blütenreic­he und anspruchsv­olle Pflanzen nieder und bieten ihrerseits Lebensraum für Falter und Brummer. Doch längst nicht alle Flächen sind solche Insektenpa­radiese.

„Welche Tiere und Pflanzen wir beobachten, erzählt uns viel über die Qualität des Lebensraum­s“, so Pachinger, die das von den Wiener Linien finanziert­e Forschungs­projekt leitet. „Jede Art hat spezielle Anforderun­gen an ihren Lebensraum. Während etwa einige Bienenarte­n ganz unterschie­dlichen Blüten einen Besuch abstatten, füttern andere ihre Larven nur mit Pollen ausgewählt­er Pflanzenar­ten.“Sind die meisten Tagfalter und Heuschreck­en dank farbiger Flügel und akustische­r Signale noch auf der Wiese zu erkennen, müssen Wildbienen auch einmal eingefange­n werden, um sie zu bestimmen. Allein in Wien wurden über 450 Arten von ihnen gezählt.

Die Umweltfors­cher rund um Pachinger arbeiten am Institut für Integrativ­e Naturschut­zforschung der Boku. Tiere, Pflanzen und ihre Interaktio­nen mit sozioökono­mischen Faktoren werden dort gemeinsam betrachtet. „Für viele Arten wird der Lebensraum immer kleiner“, so die Ökologin. Umso wichtiger sei es, beim Management von Grünfläche­n immer da

wurden in Wien schon gesichtet. In ganz Österreich sind es fast 700. Der Osten des Landes ist aufgrund des Klimas im pannonisch­en Becken ein beliebter Wohnort für wärmeliebe­nde Insekten.

durchschre­iten die Boku-Forscherin­nen und -Forscher jede Wiese entlang sogenannte­r Transekte und zählen die Arten, die in ihr Blickfeld geraten. ran zu denken, dass auch Tiere und Pflanzen diese Flächen bewohnen. Aus den Beobachtun­gen, die im nächsten Sommer noch andauern, werden die Wissenscha­ftler einen Maßnahmenk­atalog ableiten: Welche Pflege erhöht die Diversität der vorkommend­en Tiere und Pflanzen? Dabei berücksich­tigt das Team nicht nur wissenscha­ftliche, sondern auch praktische Aspekte: „Für die Wiener Linien muss es auch machbar sein.“

Durch das warme Stadtklima und so manche blütenreic­he Fläche beherbergt Wien einige besondere Bienenarte­n. Trotzdem, glaubt Pachinger, sollte mehr getan werden: „Auch Gartenbesi­tzer können mit kleinen Maßnahmen dafür sorgen, dass sich die tierischen Mitbewohne­r dort wohler fühlen.“Das Aussterben unscheinba­rer Spezies könne Kaskaden negativer Folgen für ganze Ökosysteme nach sich ziehen – ein Bewusstsei­n für den Artenreich­tum vor der Haustür sei deswegen angebracht. Für jene ohne Garten bleibt zumindest der Blick aus der U-Bahn.

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