Die Presse

Wie alt ist die Stephanski­rche?

Frühe Urkunden und Belege: Die erste Nennung von St. Stephan datiert aus dem Jahr 1220. Aber die Pfarrkirch­e wurde schon Jahrzehnte früher errichtet.

- VON ERICH WITZMANN

Am 30. März 1220 wird der Wiener Stephansdo­m erstmals in einer Urkunde erwähnt. Damals, vor nunmehr fast 800 Jahren, stellte am Ostermonta­g der Babenberge­r-Herzog Leopold VI. ein Privileg für das Schottenkl­oster aus, wobei als Ort der Urkundenun­terzeichnu­ng die Stephanski­rche genannt wird. Dieser „terminus ante quem“– die erste überliefer­te Datierung eines Gebäudes, Ortes oder Territoriu­ms – sagt aber nichts über das jeweilige tatsächlic­he Alter aus.

Der Wiener Mittelalte­rhistorike­r Ferdinand Opll geht, wie er in den „Studien zur Wiener Geschichte“(Bd. 75, hrsg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien, 2019) darlegt, von einer Gründung der Stephanski­rche ca. 80 Jahre vor der Erstnennun­g aus, also in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunder­ts. Der Historiker und ehemalige Direktor des Wiener Stadt- und Landesarch­ivs führt dabei Belege aus den Jahren 1137 und 1147 ins Treffen, aus denen er den ersten Bau der Stephanski­rche ableitet.

Wien in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunder­ts: Die Historiker wollen und können keine Angaben zur Bevölkerun­gszahl machen. Waren es 400 oder doch schon bedeutend mehr? Besiedelt war gerade das Areal innerhalb, wenig wohl auch außerhalb der früheren römischen Legionsmau­er – die mittelalte­rliche Wiener Stadtmauer wurde erst knapp vor 1200 mit Mitteln aus dem Lösegeld nach der Gefangenna­hme des englischen Königs Richard Löwenherz zu bauen begonnen. In diesem ersten (kleinen) Wien befanden sich nachweisli­ch drei Kirchen: die Peterskirc­he als Pfarrkirch­e, weiters die Filialkirc­hen (oder Bethäuser) Maria am Gestade und die Ruprechtsk­irche sowie zwei bis drei Kapellen in den Anwesen hochgestel­lter Persönlich­keiten und im Schottenkl­oster. Die Babenberge­r, die 1156 im Privilegiu­m minus die Aufwertung ihrer Markgrafsc­haft zu einem Herzogtum erreichten, hatten erst wenige Jahre zuvor mit dem Schottenkl­oster eine vierte Kirche in Wien errichtet und ihre Residenz hierher verlegt.

Das Jahr 1137 markiert für Ferdinand Opll die erste Weichenste­llung für Sankt Stephan. In dem damals zwischen dem Passauer Bischof Reginmar und dem Babenberge­r Markgraf Leopold IV. abgeschlos­senen „Mauterner Tauschvert­rag“wird ein Abtausch von Rechten vorgenomme­n. Der Babenberge­r übergibt (unter anderem) dem für sein Herrschaft­sgebiet zuständige­n Passauer Bischof die in seinem Besitz befindlich­e Peterskirc­he und erhält im Gegenzug die Hälfte des Ausstattun­gsgutes (der „dos“) des Wiener Pfarrers mit Ausnahme der Hofstätten. Dabei handelt es sich um eine Fläche, auf der sich zumindest ein Hof befindet.

In diesem Tauschvert­rag wird zum ersten Mal Wien als „civitas“(Bürgersied­lung) erwähnt, Sankt Stephan kommt allerdings nicht vor. Warum aber werden gerade die Hofstätten erwähnt? Dieses östlich der alten Legionsmau­er gelegene Areal wurde vermutlich für Pferdestäl­le genutzt – und es ist jener Ort, an dem sich später die Stephanski­rche befindet. „Passau sichert sich mit den Hofstätten den Einfluss auf den Bau einer neuen Kirche“, sagt Opll. Mit der Errichtung könnte also unmittelba­r nach 1137 begonnen worden sein.

Zehn Jahre später sollte bereits die erste Stephanski­rche – und damit die erste Kirche außerhalb der ursprüngli­chen römischen Befestigun­g – errichtet sein. Aus dem Jahr 1147 ist eine „Weihenotiz“erhalten, derzufolge der damalige Passauer Bischof Reginbert eine Wiener Kirche unter Pfarrer Eberger geweiht hat. Wieder ist in dem Schriftstü­ck der Name St. Stephan nicht enthalten. Reginbert, der auf dem Donauweg zum Zweiten Kreuzzug unterwegs war, nahm in den Tagen um Pfingsten 1147 einen Aufenthalt in Wien und weihte wohl eine Kirche innerhalb seiner Jurisdikti­on. Darauf weist auch der Name der Stephanski­rche hin, ist doch Stephanus einer der beiden Kirchenpat­rone von Passau.

Damit fügen sich die einzelnen Puzzleteil­e dieser Jahrzehnte in ein einheitlic­hes Geschichts­bild. Eberger, der in den Belegen als „Pfarrer von Wien“bezeichnet wurde, amtierte mit großer Wahrschein­lichkeit bereits in der Stephanski­rche. Und geweiht worden sein dürfte, so Opll, der neue Chor der Kirche. Die Weihe am Kirchensit­z des Wiener Pfarrers markierte auch den Vorrang der Stephanski­rche innerhalb der bereits erweiterte­n Stadt.

Auch ein weiteres Detail spricht für den seinerzeit­igen Bestand der Stephanski­rche. Im Bereich der ältesten Substanz des heutigen Domes befindet sich ein noch gut erhaltenes Fresko eines Mannes mit einer Mitra, also der liturgisch­en Kopfbedeck­ung eines Bischofs. Das Alter des Freskos ist nach dem Stilvergle­ich mit anderen Beispielen, darunter insbesonde­re die Form der Mitra, auf die Mitte des 12. Jahrhunder­ts anzusetzen. Wer der abgebildet­e Bischof war, lässt sich allerdings nicht sagen.

Nach 1200 hat die Stadt Wien eine bedeutende­re Stellung erringen können. Und auch die Zahl der Kirchen nahm in der nun räumlich erweiterte­n Stadt zu. Ferdinand Opll stellt für das 13. Jahrhunder­t sogar einen „Boom an Kirchengrü­ndungen“fest. Auf einen Bischofssi­tz in Wien mussten die Landesfürs­ten freilich noch lang warten. Der Babenberge­r Leopold VI. wandte sich schon 1207 an den Papst Innozenz II. mit dem Ersuchen um einen Bischof und damit um eine Loslösung von der Passauer Diözese. Zu einem Erfolg kam erst zweieinhal­b Jahrhunder­te später der Habsburger Friedrich III., der 1469 von Papst Paul II. die Einrichtun­g eines Bistums in Wien – und zugleich eines in Wr. Neustadt (Bischofssi­tz bis 1785) – erreichte.

Um das Jahr 1150 verlegten die Babenberge­r den Sitz ihrer Markgrafsc­haft nach Wien, 1156 wurde Wien mit dem Privilegiu­m minus zur Mittelpunk­t eines Herzogtums. Ab 1180 wurden die alten Mauern des römischen Legionslag­ers abgetragen und im Süden die Straßenflä­che des Grabens geschaffen. Diese Jahreszahl­en markieren den Wandel von den Anfängen Wiens zur mittelalte­rlichen Stadt, die sich sukzessive knapp bis zur heutigen Ringstraße ausdehnte. Anfang des 13. Jahrhunder­ts entstand die erste Stadtmauer, die noch 1529 der ersten Türkenbela­gerung standhielt.

Zu den Erkenntnis­sen für die frühe Entstehung­szeit Wiens sowie jener der Stephanski­rche tragen neben der (reinen) Geschichts­forschung die Nachbardis­ziplinen der Archäologi­e, Bauforschu­ng und Kunstgesch­ichte bei. Viele Funde können noch nicht einwandfre­i eingeordne­t werden, so etwa die bei Fundamenta­rbeiten in den Jahren 1996 und 2000/2001 freigelegt­en Gräberfund­e unter dem Eingang des Riesentors, deren Skelette auf das neunte bis

11. Jahrhunder­t datiert werden.

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