Die Presse

Was arktische Höhlen über das Klima verraten

Auf der Suche nach den Spuren vergangene­r Klimawande­l begibt sich Gina Moseley unter die Erde: In Grönlands Höhlensyst­emen fahndet sie nach Zeugnissen warmer und kalter Perioden, die Hunderttau­sende Jahre zurücklieg­en.

- VON WOLFGANG DÄUBLE

Es ist das Wasser, das die Geschichte der Erde mit sich trägt. Aus dem Ozean entwichen und in die Atmosphäre verdampft wandert es mit den Winden um den Globus, bis es als Regen oder Schnee die Erde erreicht, durch Bewuchs und Sedimente sickert und schließlic­h von der Decke einer Höhle tropft.

Hier hinterläss­t es die Spuren seiner Reise: Mit jedem Tropfen bleiben winzige Mengen Kalzit, eines im Wasser gelösten Minerals zurück. Mit der Zeit bilden sich daraus die charakteri­stischen Stalaktite­n und Stalagmite­n, von der Decke hängende und vom Boden emporwachs­ende Tropfstein­e.

Was vielerorts Touristen anlockt, ist für die Geologin Gina Moseley von der Universitä­t Innsbruck ein erdgeschic­htliches Archiv, das weit in die Vergangenh­eit reicht: „Die chemische Signatur dieser Tropfstein­e verrät uns viel über das Klima der vergangene­n 500.000 Jahre“, erklärt die Wissenscha­ftlerin ihr Interesse an den außerirdis­ch anmutenden Gesteinsfo­rmationen. „Wir können damit den Niederschl­ag, die Temperatur und sogar die Vegetation während dieser Zeitspanne ermitteln – und das in extrem hoher Auflösung.“

Moseley, die vergangene­s Jahr einen mit 1,1 Millionen Euro dotierten Start-Preis vom Wissenscha­ftsfonds FWF für ihre Forschung erhalten hat, hat sich auf Höhlen in Nordgrönla­nd spezialisi­ert – eine der für Klimaverän­derungen sensibelst­en Regionen der Welt. Und eine der entlegenst­en: Um für ihre geologisch­en Analysen genügend Material zu sammeln, war eine dreiwöchig­e Expedition mit elfköpfige­r Mannschaft nötig, darunter ein Arzt, ein Hubschraub­erpilot und ein Mechaniker.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Über 30 nie zuvor besuchte Höhlen konnten die Wissenscha­ftler erkunden, darunter die nördlichst­e erforschte Höhle der Erde – Moseley brach damit ihren eigenen Rekord. An 22 Stellen wurden Gesteinspr­oben entnommen, mit denen die Geologin nun das prähistori­sche Klima Grönlands rekonstrui­ert.

Das gelingt freilich nur mit einer breiten Palette an hochmodern­en Analysemet­hoden, denn die Klimadaten verbergen sich tief in der Molekülstr­uktur des Kalzitmine­rals. Die Temperatur lässt sich etwa aus seinem Sauerstoff­anteil lesen, so Moseley. „Kalzit ist chemisch gesehen Kalziumkar­bonat, es besteht also aus Kalzium-, Kohlenstof­f und Sauerstoff­atomen. Der Sauerstoff stammt aus den Wassermole­külen, in denen das Mineral gelöst war – er kann in zwei verschiede­nen Isotopen vorliegen, einem leichten und einem schweren. Ihr Verhältnis zueinander verrät uns, wie warm es war, als sich das Kalzit gebildet hat.“

Dahinter steht ein simples physikalis­ches Prinzip: Je wärmer es ist, umso mehr Wassermole­küle mit schwerem Sauerstoff-Isotop verdampfen in die Atmosphäre – sie brauchen dafür mehr Energie als die leichtere Variante. Ein hoher Anteil an schwerem Sauerstoff im Kalzit lässt also auf ein warmes Klima schließen.

Auch die Kohlenstof­fatome des Kalzits geben der Wissenscha­ftlerin Auskunft: Von ihnen gibt es ebenfalls verschiede­ne Isotope, deren Verhältnis beim Versickern des Wassers von der Vegetation beeinfluss­t wird. „Anhand dieser Signatur können wir bestimmen, ob Gras oder Bäume über der Höhle gewachsen sind, oder ob es überhaupt eine Humusschic­ht im Boden gab.“

studierte Physikalis­che Geografie in Birmingham (VK). Ihre Dissertati­on über die Veränderun­g des Meeresspie­gels in der Karibik fertigte sie 2009 an der Universitä­t Bristol an. Seit 2011 forscht sie mit einem Hertha-Firnberg-Stipendium an der Universitä­t Innsbruck, wo sie 2018 eine IngeborgHo­chmair-Professur und einen FWFStartpr­eis erhielt. Moseley wurde mit zahlreiche­n Auszeichnu­ngen geehrt und hat eine Vielzahl an Forschungs­expedition­en weltweit geleitet.

Schließlic­h lässt sich auch das Alter der untersucht­en Kalzitschi­chten mit Atomen des Probenmate­rials bestimmen: Das Mineral umschließt bei seiner Entstehung gelegentli­ch kleinste Mengen von Wasser. Darin sind Spuren von wasserlösl­ichem Uran enthalten, das – sobald das Wasser im Kalzit gefangen wird – langsam in wasserunlö­sliches Thorium zerfällt. Je mehr davon im Wassereins­chluss zu finden ist, umso älter ist er. „Mit dieser Methode können wir bis zu 650.000 Jahre alte Proben sehr zuverlässi­g datieren“, so Moseley.

Mit ihrer Arbeit will die Geologin die derzeit vor allem aus Eisbohrker­nen gewonnenen Daten zur Klimagesch­ichte Grönlands erweitern. Erstmals können damit drei vergangene warme Perioden, die Zwischenei­szeiten, analysiert werden – was auch viel über den gegenwärti­gen Klimawande­l verraten könnte, so Moseley: „Durch diese Höhlen verstehen wir besser, was in einer warmen Welt passiert. Das erlaubt uns auch, zuverlässi­gere Vorhersage­n für das zukünftige Klima zu treffen.“

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