Was arktische Höhlen über das Klima verraten
Auf der Suche nach den Spuren vergangener Klimawandel begibt sich Gina Moseley unter die Erde: In Grönlands Höhlensystemen fahndet sie nach Zeugnissen warmer und kalter Perioden, die Hunderttausende Jahre zurückliegen.
Es ist das Wasser, das die Geschichte der Erde mit sich trägt. Aus dem Ozean entwichen und in die Atmosphäre verdampft wandert es mit den Winden um den Globus, bis es als Regen oder Schnee die Erde erreicht, durch Bewuchs und Sedimente sickert und schließlich von der Decke einer Höhle tropft.
Hier hinterlässt es die Spuren seiner Reise: Mit jedem Tropfen bleiben winzige Mengen Kalzit, eines im Wasser gelösten Minerals zurück. Mit der Zeit bilden sich daraus die charakteristischen Stalaktiten und Stalagmiten, von der Decke hängende und vom Boden emporwachsende Tropfsteine.
Was vielerorts Touristen anlockt, ist für die Geologin Gina Moseley von der Universität Innsbruck ein erdgeschichtliches Archiv, das weit in die Vergangenheit reicht: „Die chemische Signatur dieser Tropfsteine verrät uns viel über das Klima der vergangenen 500.000 Jahre“, erklärt die Wissenschaftlerin ihr Interesse an den außerirdisch anmutenden Gesteinsformationen. „Wir können damit den Niederschlag, die Temperatur und sogar die Vegetation während dieser Zeitspanne ermitteln – und das in extrem hoher Auflösung.“
Moseley, die vergangenes Jahr einen mit 1,1 Millionen Euro dotierten Start-Preis vom Wissenschaftsfonds FWF für ihre Forschung erhalten hat, hat sich auf Höhlen in Nordgrönland spezialisiert – eine der für Klimaveränderungen sensibelsten Regionen der Welt. Und eine der entlegensten: Um für ihre geologischen Analysen genügend Material zu sammeln, war eine dreiwöchige Expedition mit elfköpfiger Mannschaft nötig, darunter ein Arzt, ein Hubschrauberpilot und ein Mechaniker.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Über 30 nie zuvor besuchte Höhlen konnten die Wissenschaftler erkunden, darunter die nördlichste erforschte Höhle der Erde – Moseley brach damit ihren eigenen Rekord. An 22 Stellen wurden Gesteinsproben entnommen, mit denen die Geologin nun das prähistorische Klima Grönlands rekonstruiert.
Das gelingt freilich nur mit einer breiten Palette an hochmodernen Analysemethoden, denn die Klimadaten verbergen sich tief in der Molekülstruktur des Kalzitminerals. Die Temperatur lässt sich etwa aus seinem Sauerstoffanteil lesen, so Moseley. „Kalzit ist chemisch gesehen Kalziumkarbonat, es besteht also aus Kalzium-, Kohlenstoff und Sauerstoffatomen. Der Sauerstoff stammt aus den Wassermolekülen, in denen das Mineral gelöst war – er kann in zwei verschiedenen Isotopen vorliegen, einem leichten und einem schweren. Ihr Verhältnis zueinander verrät uns, wie warm es war, als sich das Kalzit gebildet hat.“
Dahinter steht ein simples physikalisches Prinzip: Je wärmer es ist, umso mehr Wassermoleküle mit schwerem Sauerstoff-Isotop verdampfen in die Atmosphäre – sie brauchen dafür mehr Energie als die leichtere Variante. Ein hoher Anteil an schwerem Sauerstoff im Kalzit lässt also auf ein warmes Klima schließen.
Auch die Kohlenstoffatome des Kalzits geben der Wissenschaftlerin Auskunft: Von ihnen gibt es ebenfalls verschiedene Isotope, deren Verhältnis beim Versickern des Wassers von der Vegetation beeinflusst wird. „Anhand dieser Signatur können wir bestimmen, ob Gras oder Bäume über der Höhle gewachsen sind, oder ob es überhaupt eine Humusschicht im Boden gab.“
studierte Physikalische Geografie in Birmingham (VK). Ihre Dissertation über die Veränderung des Meeresspiegels in der Karibik fertigte sie 2009 an der Universität Bristol an. Seit 2011 forscht sie mit einem Hertha-Firnberg-Stipendium an der Universität Innsbruck, wo sie 2018 eine IngeborgHochmair-Professur und einen FWFStartpreis erhielt. Moseley wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt und hat eine Vielzahl an Forschungsexpeditionen weltweit geleitet.
Schließlich lässt sich auch das Alter der untersuchten Kalzitschichten mit Atomen des Probenmaterials bestimmen: Das Mineral umschließt bei seiner Entstehung gelegentlich kleinste Mengen von Wasser. Darin sind Spuren von wasserlöslichem Uran enthalten, das – sobald das Wasser im Kalzit gefangen wird – langsam in wasserunlösliches Thorium zerfällt. Je mehr davon im Wassereinschluss zu finden ist, umso älter ist er. „Mit dieser Methode können wir bis zu 650.000 Jahre alte Proben sehr zuverlässig datieren“, so Moseley.
Mit ihrer Arbeit will die Geologin die derzeit vor allem aus Eisbohrkernen gewonnenen Daten zur Klimageschichte Grönlands erweitern. Erstmals können damit drei vergangene warme Perioden, die Zwischeneiszeiten, analysiert werden – was auch viel über den gegenwärtigen Klimawandel verraten könnte, so Moseley: „Durch diese Höhlen verstehen wir besser, was in einer warmen Welt passiert. Das erlaubt uns auch, zuverlässigere Vorhersagen für das zukünftige Klima zu treffen.“