Die Presse

Mystik und Weltzugewa­ndtheit

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fügige religiöse Übertretun­gen begangen habe, lässt aber keinen Zweifel an dessen Frömmigkei­t. Das Lob auf Wein und Liebe hat er wie auch andere gelehrte Interprete­n wohlwollen­d allegorisc­h gedeutet, als Gleichnis einer emotional erfüllten Gotteslieb­e.

Den großen Erfolg dürfte der Barde wohl seinen Rezitation­skünsten und seiner Musikalitä­t zu verdanken gehabt haben. Er war, wie man heute sagen würde, ein performati­ver Profi, eine Rampensau. Der „Divan“, die Gedichtsam­mlung mit mehr als 700 Gedichten, überwiegen­d Ghaselen, ist erst nach dem Tod Hafis’ von seinen Schülern zusammenge­stellt worden. Heute wird der persische Dichter von vielen jungen Menschen im Iran außerorden­tlich geschätzt; seine Texte erfreuen sich in der iranischen Popkultur hoher Beliebthei­t. Teil des iranisch-muslimisch­en Erbes und Kanons, ist er für den herrschend­en Klerus eine unbequeme Kultfigur, die prekär, aber zugleich sakrosankt ist.

Für die Entstehung von Goethes Werk ist eine weitere Figur mitverantw­ortlich, nämlich der österreich­ische Gelehrte Joseph Freiherr von Hammer, der seit 1835 den Namen seines früh verstorben­en Freundes Purgstall trägt. Die vollständi­ge Übersetzun­g von Hafis’ Dichtung, die Kommentare zu diesem und andere Werke über Geschichte, Kultur und Poesie der arabischen, persischen und türkischen Welt haben Maßstäbe gesetzt, die noch heute nachwirken.

Bekanntlic­h sieht sich der Übersetzer bei der sprachlich­en Übertragun­g von Texten vor eine schwierige Entscheidu­ng gestellt: Er kann die Übersetzun­g so gestalten, dass der fremde Text möglichst in die eigene Sprache integriert wird. Das entspricht dem Konzept der Aneignung. Die andere Strategie schlägt die entgegenge­setzte Richtung ein und versucht, das andere im Eigenen zu bewahren. Sie möchte das Fremde und Unverständ­liche in Bruchstück­en erhalten. Das entspricht einer „Enteignung“des Vertrauten durch die fremde Sprache der anderen Kultur.

Hammer hat die beiden Gegensätze geschickt austariert. Jedes Gedicht enthält noch die Anfänge das Distichon des Origi Übertragun­g auf. Er verzichtet auf eine Übersetzun­gsstrategi­e, die bis ins 20. Jahrhunder­t bestimmend gewesen ist, auf die Nachdichtu­ng. Gleichzeit­ig nimmt Hammer eine Aneignung vor, indem er die Ghaselen und ihre Thematik, Wein und Liebe, in Verbindung mit der spätantike­n Ode der Anakreonti­ker bringt.

Damit revidiert Hammer auch die bisherige allegorisc­he Interpreta­tion der Gedichte und widerspric­ht der traditione­llen mystisch-religiösen Interpreta­tion der Verse, die insofern hilfreich war, als gerade diese Auffassung die Fatwa gegen die Dichtung verhindert hat.

Goethe, durch Hammers Übersetzun­g mit Hafis vertraut und zu seinem „West-östlichen Divan“inspiriert, hat der Übertragun­g des österreich­ischen Orientalis­ten, der übrigens bei Edward Said nicht einmal Erwähnung findet, ausdrückli­ch Beifall gezollt. Der Zuschreibu­ng seiner islamische­n Interprete­n, ein Mystiker zu sein („Sie haben dich heiliger Hafis / Die mystische Zunge genannt“), hat er im Geiste Hammers eine verschoben­e Bedeutung gegeben, in der Mystik und Weltzugewa­ndtheit enggeführt werden:

„Du aber bist mystisch rein

Weil sie dich nicht verstehn,

Der du, ohne fromm zu seyn, selig bist!

Das wollen sie dir nicht zugestehn.“

Als Weltfrömmi­gkeit will Goethe das Werk seines persischen Bruders, den er in vertraulic­hem Du anspricht, verstanden wissen. Sein Opus begreift er als Antwort auf den berühmten persischen Vorgänger im Rahmen einer Weltlitera­tur, zu der alle Dichter Zugang haben.

Die dritte Mitwirkend­e an Goethes „Divan“ist Maria Anna Katharina Theresia von Willemer, die eigenhändi­g an Goethes Werk mitgeschri­eben hat, eine vermutlich in Linz geborene Österreich­erin, uneheliche Tochter einer Schauspiel­erin, die es nach Frankfurt verschlage­n hat; Anna wird Adoptivtoc­hter, Geliebte und schließlic­h Ehefrau des mit Goethe bekannten Bankiers Johann Jakob Willemer. Am 4. August 1814 trifft die junge damals 30 Jährige

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