Die Presse

Begraben unter Brettspiel­en

-

Senger gibt die ärgsten Sextipps und gleich daneben eine Fotostory vom Bundeskanz­ler im Vierkantho­f mit Babykatze, hoffentlic­h steigt er nicht versehentl­ich auf die Babykatze, weil es dann vorbei ist mit der Kanzlerkar­riere, in Österreich sind Babykatzen die heiligsten aller Tiere.

Ja, wenn es um Babykatzen geht, verstehen wir keinen Spaß. Ebenso wenig beim Thema Schnitzel. In Österreich gewinnt man Wahlen, indem man „Die EU kann mir mein knuspriges Schnitzel nicht verbieten“plakatiert, und es gibt Applaus für den MUTIGEN Politiker, der schreibt: „In MEINEM Land erklärt mir niemand, wie ich mein Schnitzel panieren soll“, weil endlich traut sich einer, endlich sagt jemand, WIE ES IST.

Vielleicht sollte ich mir doch ein Bier kaufen, denke ich, und gleichzeit­ig, dass ich nicht über Politik diskutiere­n werde mit meinen Verwandten, oder wenn der Nachbar zum Punschtrin­ken vorbeikomm­t und erzählt, wie schön er seinen Keller ausgebaut hat. Der Typ auf der Bank neben mir hat sich gerade Bier Nummer 3 aufgemacht.

Mein Display leuchtet auf, eine Nachricht von dir, ein Foto von dir, gut schaust du aus, denke ich mir, du schaust so aus, wie ich gerne hätte, dass du ausschaust, wenn du mich vermisst, und ich will dir antworten, will dir schreiben, dass hier am Bahnhof etwas mit der Weihnachts­dekoration nicht stimmt, dass auch etwas mit der Weihnachts­dekoration in mir drinnen nicht stimmt, dass ich vielleicht versehentl­ich in einen David-Lynch-Film hineingeru­tscht bin, und ich überlege kurz, Schnitzler zu zitieren – ABER WAS WEISST DU VON MEINER LIEBE ZU DIR –, stattdesse­n schicke ich dir ein Foto von einem Haargummi, den irgendwer verloren hat, gleich neben einem Tschickstu­mmel.

Zu Hause wartet ein feierlich geschmückt­er Weihnachts­baum auf mich, darauf kann ich mich verlassen, ein Baum, der jedes Jahr ein wenig kleiner wird, so wie auch meine Familie jedes Jahr ein wenig kleiner wird. Vielleicht liegt es am fehlenden Schnee, dass auch die Menschen abgehen, dass ich auf einmal die leer stehenden Häuser bemerke, die im Sommer noch bewohnt waren, dass ich auf einmal den abbröckeln­den Verputz am Nachbarhau­s bemerke, dass mir auf einmal die Autos ohne Nummerntaf­el auffallen, dass ich endlich begreife: Die Fußballtor­e haben nicht nur im Winter keine Netze, sondern es gibt niemanden mehr, der hier spielt, auch im Sommer bleiben die Netze unten.

Ich öffne die Onlinedati­ng-App, immer, wenn ich mich beruhigen will, öffne ich die Onlinedati­ng-App. Es ist ein Spiel: Wir wickeln uns in Geschenkpa­pier und hoffen, dass uns irgendwer aufmacht, ohne uns vorher zu schütteln, denn dann könnte man hören, dass nichts drin ist, dass da nur Luft ist, möglichst schön verpackte Luft. Mich fasziniere­n Menschen, die ihren InstagramA­ccount mit ihrem Onlinedati­ng-Profil verknüpfen. Das ist, als würde man zum ersten Date ein Fotoalbum mitbringen. Ich wische nach links, ich wische nach rechts, ich sollte mir wirklich ein Bier kaufen.

Die Nachbarski­nder in meinem Dorf haben dieses Problem nicht, die benutzen keine Dating-Apps, die gehen in die Disko oder auf ein Zeltfest. Die Nachbarski­nder haben das Dorf nie verlassen, sie kaufen die Grundstück­e gleich neben den Elternhäus­ern, bauen dort ihr eigenes riesiges Haus hin, gründen ihre eigene Familie und fangen irgendwann an, eigene Marmelade einzukoche­n und eigene Keksrezept­e auszuprobi­eren. Die Nachbarski­nder sind bei der Freiwillig­en Feuerwehr oder bei der Landjugend oder spielen Fußball im Verein. Am Sonntag gehen sie in die Kirche, manchmal auch zur Beichte. Ich hätte dir auch einiges zu beichten, denke ich, zum Beispiel, dass meine Figur beim Bleigießen letztes Jahr wie ein geplatztes Kondom ausgeschau­t hat.

Irgendwann will ich dich dorthin mitnehmen, habe ich dir einmal versproche­n, irgendwann will ich dir zeigen, wo ich aufgewachs­en bin, dann zeige ich dir den Löschteich, in dem ich als Teenager fast ersoffen wäre, dann zeige ich dir den Parkplatz vor der Leichenhal­le, wo wir als Kinder mit unseren Wasserpist­olen herumgesch­ossen haben, dann zeige ich dir das Stück Wald, das mir mein Vater vererbt hat, dann zeige ich dir vielleicht auch meine Mastersof-the-Universe-Sammlung und meinen He-Man, dem leider beide Beine fehlen. Du weißt, ich verspreche viel, wenn ich was getrunken habe, aber trotzdem: irgendwann.

QIch will dir erzählen, dass mein Verlag angerufen hat, dass sie wissen wollen, wie weit ich mit meinem Buch bin. Und dass sie auch ein paar Pressefoto­s machen wollen für die Website, vielleicht im Cafe´ Sperlhof, dort stapeln sich alle möglichen Brettspiel­e, vielleicht im Cafe´ Sperlhof vor einem Turm Brettspiel­e, und ich könnte ja ein paar Spielkarte­n in der Hand halten oder für das Foto ein paar Spielkarte­n mischen, das Kartenmisc­hen als Metapher sozusagen für das MISCHEN von WIRKLICHKE­IT und FIKTION in meinen Texten. Ich will dir erzählen, dass mein Verlag angerufen hat und dass ich ihnen gesagt habe, sie sollen mich lieber dabei fotografie­ren, wie ein Stapel Brettspiel­e langsam umkippt und auf mich draufstürz­t, mich unter sich begräbt, das würde besser passen zu meinem Schreibsti­l.

Ich schaue auf die Uhr. In zehn Minuten geht meine S-Bahn. Ich packe meine Sachen zusammen, nicke dem Mann neben mir anerkennen­d zu (er ist mittlerwei­le bei Bier Nummer 4) und wünsche ihm schöne Feiertage. Auf der Rolltreppe versuche ich nicht daran zu denken, dass du einmal zu mir gesagt hast, dass es Wahnsinn sei, einen Roman zu schreiben. Stattdesse­n schreibe ich dir: Hey, stell dir vor: Ich bin noch nüchtern. Weil Weihnachte­n, das ist verkatert den Zug ins Waldvierte­l verpassen und zwei Stunden lang auf den nächsten warten und noch bevor du antworten kannst, in den richtigen Zug einsteigen.

Beziehungs­status: Es gibt die große und es gibt die kleine Liebe, so wie es im Wirtshaus ein großes und ein kleines Bier gibt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria