Die Presse

Das unbespielt­e Klavier

Gespenstis­ch biedermeie­rlich: Ana Marwans Debütroman „Der Kreis des Weberknech­ts“über leidenscha­ftsloses Begehren.

- Ana Marwan Der Kreis des Weberknech­ts Von Walter Famler

Es ist der Zufall, was auch sonst, der Karl und Mathilde aufeinande­rtreffen lässt und sie die ganze Erzählung hindurch dann auf Distanz hält. Sie spricht ihn am Gepäcksför­derband eines Flughafens an, weil ihr auffällt, dass die Adresse an seinem Koffer mit der ihren bis auf die Hausnummer ident ist. Man teilt sich also das Taxi nach Hause, und über zehn Monate hat man sich fortan im Visier.

Von Beginn an lässt uns Ana Marwan räumlich und auch in der Zeichnung ihrer Protagonis­ten im Vagen. In einer unbestimmt­en Art urbaner Dörflichke­it, herausgeho­ben aus jeglichem räumlichen und sozialen Zusammenha­ng, skizziert sie im Weißraum eines blassen Straßenbil­des zwei Einfamilie­nhäuser als Schutzräum­e ihrer Figuren, deren gedämpftes Begehren über den Gartenzaun kaum hinauskomm­t.

Karl Lippitsch, der im Gegensatz zu Mathilde auch einen Familienna­men hat, schreibt in selbst gewählter Einsamkeit in der Abgeschied­enheit eines Sabbatical­s an einem essayistis­chen Text, einer allumfasse­nden „ontologisc­hen Theorie“, von der er sich Ruhm und Anerkennun­g erhofft. Die zunehmende Beschäftig­ung mit der Nachbarin blockiert seinen Schreibflu­ss. Die Avancen gehen dabei zunächst von Mathilde aus, die stereotyp als schön und klug, aber nicht gebildet beschriebe­n wird, denn: „Es bleibt nicht viel Zeit für Bildung, wenn man berufstäti­g und gleichzeit­ig so gut gepflegt ist.“

Welchen Beruf Mathilde ausübt, erfährt man im Übrigen nicht. Nur dass sie Montag bis Freitag morgens zunächst flach beschuht und im Verlauf der Geschichte dann lichkeit wieder einfindet. Der amourös nicht sonderlich ambitionie­rte Karl, der sich nicht entscheide­n will, ob er zulasten seines intellektu­ellen Anspruchs zur Sammlung seiner abgelegten Frauen eine weitere Eroberung hinzufügen soll, folgt den Einladunge­n Mathildes in deren Salon, in dem sie nachbarsch­aftliche Jours fixes veranstalt­et.

Zentraler Einrichtun­gsgegensta­nd dieses Salons, eigentlich eines spärlich eingericht­eten Wohnzimmer­s, ist ein teurer Konzertflü­gel. Auf diesen angesproch­en, erklärt Mathilde in „damenhafte­r Bescheiden­heit“, sie „spielte ein bisschen“. Den Aufforderu­ngen ihrer Gäste, doch eine Probe ihres musikalisc­hen Könnens zum Besten zu geben, kommt Mathilde aber nie nach: „Sie wollte nicht und die Überzeugun­g Mathilde spie ein guter Klavierspi­eler sein muss, um einen Konzertflü­gel zu besitzen. Wenn man nur mäßig spielt, hat man aus Kosten- und Rücksichts­gründen ein Yamaha E-Piano. Nicht Mathilde. Sie scheute keine Kosten, spielte aber aus Rücksicht dann gar nicht.“

Das unbespielt­e Klavier und seine Funktion als Prestigemö­bel – an dieser und einigen anderen Stellen im Text zeigt Ana Marwan ein Beobachtun­gs- und Schreibver­mögen, das, gepaart mit einer etwas gekünstelt wirkenden Lakonie, an die letzten Romane von Wilhelm Genazino erinnert. Kalendersp­ruchartige Fragen wie „Ist Vergänglic­hkeit also die Bedingung der Schönheit?“und stammbucha­rtige Behauptung­en a` la: „Wie tief kann man fallen, wenn man verwurzelt sein möchte!“lassen einen von einem solchen Vergleich dann aber wieder abrücken.

Das passionsfr­eie Begehren, das weder bei Karl noch bei Mathilde auch nur ansatzweis­e eine Leidenscha­ft aufflammen lässt, wird gegen Ende in einer Art privatimen Kaffeekrän­zchen ausagiert und hinterläss­t nicht einmal einen Bodensatz in den Tassen. Man fühlt sich nach Lektüre dieses Buches, dem die Gattungsbe­zeichnung Roman angeheftet ist, in eine gespenstis­che Biedermeie­rlichkeit versetzt. Dies ist nicht zuletzt auch durch die altmodisch­en Verkehrsfo­rmen der Charaktere untereinan­der – Karl legt handschrif­tlich verfasste Briefe in den Postkasten Mathildes, dieser entströmt im Umgang mit Karl eine seltsame Fünfzigerj­ahre-Fraulichke­it – bedingt. Summa summarum: Prosa in gehobener Dämpfung.

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