Das unbespielte Klavier
Gespenstisch biedermeierlich: Ana Marwans Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“über leidenschaftsloses Begehren.
Es ist der Zufall, was auch sonst, der Karl und Mathilde aufeinandertreffen lässt und sie die ganze Erzählung hindurch dann auf Distanz hält. Sie spricht ihn am Gepäcksförderband eines Flughafens an, weil ihr auffällt, dass die Adresse an seinem Koffer mit der ihren bis auf die Hausnummer ident ist. Man teilt sich also das Taxi nach Hause, und über zehn Monate hat man sich fortan im Visier.
Von Beginn an lässt uns Ana Marwan räumlich und auch in der Zeichnung ihrer Protagonisten im Vagen. In einer unbestimmten Art urbaner Dörflichkeit, herausgehoben aus jeglichem räumlichen und sozialen Zusammenhang, skizziert sie im Weißraum eines blassen Straßenbildes zwei Einfamilienhäuser als Schutzräume ihrer Figuren, deren gedämpftes Begehren über den Gartenzaun kaum hinauskommt.
Karl Lippitsch, der im Gegensatz zu Mathilde auch einen Familiennamen hat, schreibt in selbst gewählter Einsamkeit in der Abgeschiedenheit eines Sabbaticals an einem essayistischen Text, einer allumfassenden „ontologischen Theorie“, von der er sich Ruhm und Anerkennung erhofft. Die zunehmende Beschäftigung mit der Nachbarin blockiert seinen Schreibfluss. Die Avancen gehen dabei zunächst von Mathilde aus, die stereotyp als schön und klug, aber nicht gebildet beschrieben wird, denn: „Es bleibt nicht viel Zeit für Bildung, wenn man berufstätig und gleichzeitig so gut gepflegt ist.“
Welchen Beruf Mathilde ausübt, erfährt man im Übrigen nicht. Nur dass sie Montag bis Freitag morgens zunächst flach beschuht und im Verlauf der Geschichte dann lichkeit wieder einfindet. Der amourös nicht sonderlich ambitionierte Karl, der sich nicht entscheiden will, ob er zulasten seines intellektuellen Anspruchs zur Sammlung seiner abgelegten Frauen eine weitere Eroberung hinzufügen soll, folgt den Einladungen Mathildes in deren Salon, in dem sie nachbarschaftliche Jours fixes veranstaltet.
Zentraler Einrichtungsgegenstand dieses Salons, eigentlich eines spärlich eingerichteten Wohnzimmers, ist ein teurer Konzertflügel. Auf diesen angesprochen, erklärt Mathilde in „damenhafter Bescheidenheit“, sie „spielte ein bisschen“. Den Aufforderungen ihrer Gäste, doch eine Probe ihres musikalischen Könnens zum Besten zu geben, kommt Mathilde aber nie nach: „Sie wollte nicht und die Überzeugung Mathilde spie ein guter Klavierspieler sein muss, um einen Konzertflügel zu besitzen. Wenn man nur mäßig spielt, hat man aus Kosten- und Rücksichtsgründen ein Yamaha E-Piano. Nicht Mathilde. Sie scheute keine Kosten, spielte aber aus Rücksicht dann gar nicht.“
Das unbespielte Klavier und seine Funktion als Prestigemöbel – an dieser und einigen anderen Stellen im Text zeigt Ana Marwan ein Beobachtungs- und Schreibvermögen, das, gepaart mit einer etwas gekünstelt wirkenden Lakonie, an die letzten Romane von Wilhelm Genazino erinnert. Kalenderspruchartige Fragen wie „Ist Vergänglichkeit also die Bedingung der Schönheit?“und stammbuchartige Behauptungen a` la: „Wie tief kann man fallen, wenn man verwurzelt sein möchte!“lassen einen von einem solchen Vergleich dann aber wieder abrücken.
Das passionsfreie Begehren, das weder bei Karl noch bei Mathilde auch nur ansatzweise eine Leidenschaft aufflammen lässt, wird gegen Ende in einer Art privatimen Kaffeekränzchen ausagiert und hinterlässt nicht einmal einen Bodensatz in den Tassen. Man fühlt sich nach Lektüre dieses Buches, dem die Gattungsbezeichnung Roman angeheftet ist, in eine gespenstische Biedermeierlichkeit versetzt. Dies ist nicht zuletzt auch durch die altmodischen Verkehrsformen der Charaktere untereinander – Karl legt handschriftlich verfasste Briefe in den Postkasten Mathildes, dieser entströmt im Umgang mit Karl eine seltsame Fünfzigerjahre-Fraulichkeit – bedingt. Summa summarum: Prosa in gehobener Dämpfung.