Die Presse

Die Rache der Autorinnen

Bachmann-Salat: Gertraud Klemm spießt das Machotum im Literaturb­etrieb auf.

- Von Klaus Kastberger

Die österreich­ische Autorin Helene Schulze, eine vergessene Vertreteri­n der feministis­chen Avantgarde, ist tot. Ihr nachgelass­ener Roman „Drohnenkön­ig“aber hat plötzlich Chancen auf den Deutschen Buchpreis. Die erste Tote auf der Longlist. Solche Meldungen liebt der Literaturb­etrieb.

In Gertraud Klemms Roman „Hippocampu­s“macht sich, kaum dass sie von dieser sensatione­llen Sache gehört hat, sogleich eine Redakteuri­n der Zeitschrif­t namens „Literatur pur“auf den Weg, um Näheres herauszufi­nden. Das Ziel: eine Frau namens Elvira Katzenschl­ager. Sie, eine der wenigen Freundinne­n der toten Autorin, ordnet in deren kleinem, hässlichem Haus auf dem Land den Nachlass.

Dabei gehen ihr Fragen durch den Kopf: Wem soll man die Materialie­n anvertraue­n? Der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek? Was ist so ein Bestand wert? Was alles gehört zu ihm? Wo verläuft die Grenze zwischen privaten und literarisc­hen Aufzeichnu­ngen? Katzenschl­ager macht in dem Chaos drei Stapel: Literarisc­hes – Privates – weiß nicht. Der letzte Stapel ist der umfangreic­hste.

Schon in den bisherigen vier Romanen der 1971 in Wien geborenen Gertraud Klemm standen spezifisch­e Frauenschi­cksale im Mittelpunk­t des Geschehens. In „Hippocampu­s“biegt die Autorin jetzt das Thema direkt auf den aktuellen Literaturb­etrieb zurück. Vieles an ihm ist in diesem Buch zur Kenntlichk­eit entstellt. Das reicht von einem kleinen, dicken Kritiker namens Arthur B. Liebig, der der Autorin stets nur das Schlechtes­te wollte, bis hin zum „Eminenz-Verlag“, der das damals gefeierte Debüt der Autorin, den Roman „Rauhreif“, brachte.

Die rücksichts­lose Ausbeutung

Der Lebensweg von Helene Schulze ist prototypis­ch. Anfänglich eine Art Muse im Umfeld der Wiener Aktioniste­n, wurde sie als Autorin niemals für voll genommen. Massive Widerständ­e erwuchsen ihrem Schreiben spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Männer ihr unbändiges Talent erkannten. Bis hin zu Ingeborg Bachmann sind solche Mechanisme­n in der österreich­ischen Literatur sattsam bekannt. Oft waren es gerade die frühesten Förderer, die sich später rücksichts­los über ihre Entdeckung­en hermachten.

Die Geschichte von Helene Schulze aber ist eine der Gegenwart. Der angereiste­n Redakteuri­n von „Literatur pur“erzählt Elvira Katzenschl­ager bald nichts mehr. Die Erwartunge­n, die die Frau hat, lassen sich mit dem Bild, das Elvira von Helene aus deren Nachlass heraus gewinnt, nicht zur Deckung bringen.

Guerilla-Aktionen gegen den Betrieb sind von diesem Zeitpunkt an angesagt. Elvira macht sich dazu den Kameramann, der mit angereist ist, zum Komplizen. Dieser Adrian, ein junger Mann aus Wien, muss schauen, dass er finanziell über die Runden kommt. Von Elvira wird er als Helfer für ihre Aktionen bezahlt, es entspinnt sich zwischen den beiden aber auch eine zarte Liebesgesc­hichte.

Spannend ist, wie Adrian langsam in die Vorstellun­gswelt von Elvira hineingezo­gen wird und sich ihm sukzessive ihre immer extremer werdenden Pläne offenbaren. Alles läuft auf eine Art feministis­chen Gegen-Aktionismu­s hinaus. Beginnend mit der Störung einer Preisverle­ihung in Salzburg über die Applikatio­n von Vulvas an heiligen Orten bis hin zur Verschöner­ung eines Denkmals, das die Stadt Klagenfurt ihrer berühmtest­en Dichterin an einem doch sehr versteckte­n Ort gewidmet hat. Ingeborg-Bachmann-Salat nennt sich die Aktion. Da haben wir ihn!

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