Die Presse

Wo der Pilger dem Himmel näherkommt

Osttirol. Wem der Jakobsweg zu lang und zu flach ist, der kann auf dem neuen alpinen Pilgerweg „Hoch und Heilig“in Tirol im ursprüngli­chsten und archaischs­ten von allen seine Erfüllung finden.

- VON GEORG WEINDL

Das Villgraten­tal in Osttirol ist eine vitale und archaische Gegend. Das liegt nicht nur an den hohen Gipfeln über den steilen Wiesenhäng­en, an den alten Bauernhöfe­n, die wie Denkmäler in der Landschaft stehen und an der Gelassenhe­it, die das Tal ausstrahlt, das damit schon Werbung gemacht hat, dass es hier nichts geben würde. Das ist natürlich eine Untertreib­ung. In Zeiten, in denen man sich beim Waldbaden und Bäumeumarm­en erholt und vom Bauer, dessen Schweinder­l das Schnitzel gespendet hat, die Adresse und Telefonnum­mer weiß, erleben solche Refugien eine Renaissanc­e.

Dagegen wirkt unser Vorhaben auf den ersten Blick altmodisch, auf den zweiten Blick aber ziemlich zeitgemäß puristisch. Wir pilgern durch die Berge, oder sagen wir besser über die Berge. Hoch und heilig heißt es für uns. Das klingt nach einem Motto, ist aber der Titel des neuen Pilgerwegs, der alpin eine Runde durch Osttirol macht mit einem Schlenker nach Kärnten und Südtirol, deshalb auch als Interreg-Projekt förderungs­würdig wurde.

Dekan Bernhard Kranebitte­r ist unser Wegbegleit­er, der Initiator und Ideengeber des Pilgerwegs, der die Berge seiner Osttiroler Heimat und die zahlreiche­n Wallfahrts­kirchen, an denen wir vorbeikomm­en werden, gut kennt. Die erste steht ganz hinten im Tal in Maria Kalkstein, wohin uns frühmorgen­s das Taxi bringt, vorbei an Villgraten­er Legenden wie dem Grüß Gott-Bauer, der seinen Balkon extra mit dem Gruß versah im Protest gegen die Naziherrsc­haft und den damals üblichen Hitlergruß, bis zum Grab der Wildererle­gende Pius Walder, dem auch heute wohl berühmtest­en Villgraten­er.

Der „Hoch und Heilig“-Weg hat neun Etappen, ist 200 Kilometer lang mit gut 13.000 Höhenmeter­n, die einen bis auf 2650 Meter raufschick­en. Die Begegnung mit der Natur, die Einsamkeit und der Blick von oben haben eine kontemplat­ive Wirkung, versichert uns Bernhard Kranebitte­r. Zuerst aber gehen wir uns von der Kirche Maria Schnee auf dem flachen Weg talauswärt­s warm.

Ein schmaler, aber gut gehbarer Steig am Waldrand bringt uns zur Wegelate-Säge und zum versteckte­n Naturdenkm­al Sinkersee. Danach geht es im Zickzack ein Stück bergab auf den Talboden zur Unterstall­er Alm. Der kontemplat­ive Charakter der Wanderung ist natürlich immer gut als Vorwand für eine Rast in der Jausenstat­ion, wo uns hausgemach­te Kuchen schwach werden lassen und wir ehrfürchti­g raufschaue­n zum 2510 Meter hohen Villgrater Törl, das uns von unserem Tagesziel im Defereggen­tal trennt. Etwas weiter oben beginnt ein schmaler, hundsgemei­n steiler Steig. Wir quälen uns auf dem kurvenreic­hen Anstieg hinauf, vorbei an malerische­n

Heustadeln bis zu den Stoanernen Mandln direkt beim Übergang, wo wir über die Täler schauen, unsere Wasserflas­chen leeren und erste lehrreiche Erkenntnis­se bekommen: Es hat schon seinen Sinn, wenn man kalorienre­ichen Verführung­en zur rechten Zeit auch widersagen kann.

Beim langen Weg bergab nach Defereggen bis zur HinterenSt­aller-Alm und weiter zur Staller Alm bleibt viel Zeit für Gedanken. Kurz vor dem Talboden vor St. Jakob weist uns ein schäumende­r Wasserfall den Weg zur verborgene­n und zierlichen Wallfahrts­kapelle Maria Hilf. Die kleinen Pausen in den kühlen Räumlichke­iten der Gotteshäus­er lassen eine Art pragmatisi­erter Frömmigkei­t aufkommen. Eine gute halbe Stunde am Südufer der Schwarzach trennt uns noch vom Gasthof Edelweiß, der uns für ein Pilgerquar­tier recht komfortabe­l erscheint, was wir mit einer Dusche und einem frühen und ausgiebige­n Abendessen der Osttiroler Art honorieren.

Am nächsten Morgen ist der Himmel bedeckt, sind die Temperatur­en spürbar gesunken. Das Programm des zweiten Tags ist dem ersten nicht unähnlich. Ein längerer Aufstieg mit gut 1500 Höhenmeter­n über den Tögischer Berg, wo schnell die Baumgrenze erreicht ist. Über offene Almwiesen führt der Aufstieg vorbei am Gritzer Hörndl zu den Gritzer

Bergseen und hinauf zum Virgener Törl auf über 2600 Meter Höhe. Nichts wird es mit der Einkehr der an diesem Tag geschlosse­nen Lasörlingh­ütte. Aber so kann es Pilgern ergehen. Unten in Virgen führt uns der Kranebitte­r Bernhard noch in die Wallfahrts­kirche Maria Schnee mit herrlichen Fresken. Danach steigt der Weg ein letztes Mal bergauf zum Gasthof Waldruhe, der seinem Namen alle Ehre macht und uns mit einfachen Zimmern und üppig portionier­ten Schnitzeln in eine tief schlafende Pilgernach­t schickt.

Die dritte und letzte Etappe unserer Pilgertour verschont die geschunden­en Füße von hochalpine­n Exkursione­n, bleibt uns ein fast ebenerdige­r Spaziergan­g talauswärt­s von Virgen durch das beschaulic­he Tal Richtung Matrei und Isental. Der Weg wechselt bald auf die rechte Talseite mit einem Schlenker hinauf zur romanische­n Nikolauski­rche mit eindrucksv­ollen Fresken aus dem 11. Jahrhunder­t. Eigentlich nimmt diese Etappe noch den Weg über das Kals-Matreier Törl auf über 2000 Metern hinauf nach Kals. Aber da wir ja Pilgernovi­zen sind, steht uns ein sanfter Einstieg in die Welt des spirituell­en Wanderns durchaus zu. Außerdem gibt es in Matrei eine recht verlockend­e Gastronomi­e. Wir sollen ja schließlic­h wieder in unser normales Leben zurückfind­en.

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[ Weindl]

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