Die Presse

A very alpine Oktoberfes­t in Georgia

USA. Ein kleines Südstaaten-Städtchen inszeniert sich als alpines Kleinod und lockt jährlich fast eine halbe Million Besucher zum Oktoberfes­t. Das hier, anders als das Münchner Original, auch wirklich bis Ende Oktober dauert.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Während in München wohl auch der letzte Kater abgeklunge­n sein dürfte, ist das Oktoberfes­t im amerikanis­chen Südstaaten­städtchen Helen noch in vollem Gang: Dieses Wochenende spielen dort unter anderem Martin Gross und sein Sonnensche­in Express, Sonnen Schnaps, Dan Witucki and Mein Heimatland Musikanten sowie die Alpenmusik­anten auf. Seit dem traditione­llen Bieranstic­h haben aber auch schon die Goldne Volksmusik Sterne und der Euro Express genau wie die Zweifel Brothers und Squeeze Box – featuring Ted Lange & Mollie B. für Stimmung in den diversen Festzelten gesorgt. Und damit wie jedes Jahr um die 400.000 Besucher angelockt – was auf den ersten Blick im Vergleich mit den 4,3 Millionen Gästen in München eher possierlic­h anmutet, in der Relation dann aber wieder beeindruck­t.

Denn das 150 Kilometer nördlich von Atlanta gelegene Helen kann laut der letzten aktuellen Volkszählu­ng von 2010 gerade einmal 510 Einwohner aufweisen. Die sich mit der Positionie­rung ihrer kleinen Stadt im Norden des Bundesstaa­ts Georgia einen touristisc­hen Wohlstand aufgebaut haben, von denen die anderen nur träumen können. Auf gerade einmal 441 Metern Seehöhe liegend, hat sich Helen vor 50 Jahren kurzerhand das Prädikat „alpine“– sprich: „elpein“– verpasst und das Motto auch konsequent durchgezog­en.

Das reicht von den Fassaden, die alle ein aufgemalte­s Fachwerkmu­ster, meist in zartem Hellblau, aufweisen, über jede Menge Lüftlmaler­eien bis hin zu geschnitzt­en Holzbalkon­en und Türmchenzi­mmern. In denen werden zumindest dem Namen nach ausschließ­lich alpine Produkte angeboten – wobei der Blick aus der Ferne wie so oft ein wenig unscharf wird, wenn

Am besten lässt sich Helen in eine Südstaaten-Rundreise einbauen – auf dem Weg von Atlanta in die Blue Ridge Mountains. Start- und Zielflugha­fen ist meist Atlanta, der aus Wien nicht direkt, aber täglich in diversen Umsteigeve­rbindungen angeflogen wird, unter anderem mit der Austrian, Lufthansa, KLM, Air France, Delta und British Airways. Die Preise: ab 500 Euro. es um regionale Grenzen geht: Deshalb findet man in Helen auch „alpine“schwedisch­e Eiscreme und alpine Hot Dogs und Burger gleich neben alpinem NavajoSchm­uck und der ersten „Alpine Dispensary“, in der CBD-Öl und andere Hanfproduk­te verkauft werden.

„It’s the charm of Bavaria, in the heart of the Blue Ridge Mountains“lautet der Slogan, mit sich Helen vermarktet, und dieser Charme Bayerns findet im Herzen der Blue Ridge Mountains während des Oktoberfes­ts naturgemäß seinen Höhepunkt. „Das Oktoberfes­t beginnt jedes Jahr am Wochenende nach dem Labor Day“, berichtet Renee Green, die in Personalun­ion die Festhalle betreibt, sämtliche Aktivitäte­n rund ums Oktoberfes­t koordinier­t und Präsidenti­n der Handelskam­mer ist. Und es startet standesgem­äß mit dem großen Bieranstic­h im Festzelt des King Ludwig Biergarten, das auf dem Hauptplatz von Helen steht, gleich vor The Heidelberg. Außerdem gibt’s am Donnerstag darauf eine große Parade, an der 25 bis 30 Festwagen teilnehmen. Aber auch große, reich geschmückt­e Brauereiku­tschen, Blaskapell­en und schürzensc­hwingende Dirndlträg­erinnen nehmen begeistert an der Parade entlang der Hauptstraß­e teil. Diese ist nicht einmal einen halben Kilometer lang, inklusive der Brücke über den Chattahooc­hee-River, der neben den Blue Ridge Mountains im Hintergrun­d für das alpine Setting sorgt.

Entspreche­nd voll wird es hier auch, wenn die jährlich 1,6 Millionen Touristen original bayrische Gemütlichk­eit erleben wollen – ein Viertel davon zwischen September und Ende Oktober zum Oktoberfes­t. Dann drängen sich die Besucher durch die Gassen und Straßen, essen und trinken im Restaurant Bodensee, dem Old Bavaria Inn und dem Hofbräuhau­s (gesprochen: Hoffbrauha­us), in der Troll Tavern und in Muller’s Famous Fried Cheese Cafe, das mit authentisc­hen deutschen und tschechisc­hen Spezialitä­ten wirbt. Das Publikum könnte unterschie­dlicher nicht sein. Da gibt es coole, junge Millennial­s wie Jacob aus dem nahen Dahlonega, der strahlend in „Liederhose­n“, wie der Amerikaner sagt, für ein Foto posiert und die Kunststoff-Maß stolz am Karabinerh­aken trägt. Auf die Frage, wo er denn in Nordgeorgi­a an Hose, Hut und Hosenträge­r gekommen ist, lautet die Antwort: „Auf Amazon.“Auf die Möglichkei­t, sich dort mit „authentisc­h alpiner“Kleidung einzudecke­n, sind nicht nur die Burschen aus Dahlonega gekommen.

Neben den Jungen, die Spaß am Herausputz­en, Feiern und Trinken haben, genießen auch viele Ältere und/oder Auswandere­r das Oktoberfes­t. Zu ihnen gehört Joseph Mahler, so etwas wie Oktoberfes­tUrgestein in Helen. Seit 30 Jahren ist der gebürtige Würzburger hier ansässig, zuvor hat der 81-Jährige lang mit seiner Frau in Florida gelebt – und eine große Portion authentisc­h Alpines zur Atmosphäre beigetrage­n: Von ihm stammt ein Gutteil der Lüftlmaler­eien in der Stadt, etwa die „Vier Jahreszeit­en“, eine Reminiszen­z an die Partnersta­dt Füssen, den Königssee, die Ramsau und Garmisch-Partenkirc­hen; aber auch Bilder von Auerhähnen, Steinböcke­n, Adlern, Gämsen, Edelweiß und Enzian stammen von seiner Hand. „Für mich und viele andere ältere Auswandere­r ist das Oktoberfes­t in Helen jedes Jahr etwas ganz Besonderes“, schwärmt er. Hier fühle es sich für viele noch so an wie frü

Neben den Bieren, die teils eigens für das Oktoberfes­t importiert werden, sind aber für die Jungen wie die Älteren die Kapellen, Bands und DJs attraktiv. Wobei die Musik ähnlich gut durchmisch­t ist wie das Publikum – und vor dem Ententanz kann man sich auch im tiefen Süden nur schwer retten. Dieser ist hier viel authentisc­her, als viele glauben: Die Melodie wurde zwar einst in der Schweiz komponiert, der dazugehöre­nde „Tanz“feierte aber auf dem Oktoberfes­t in Tulsa, Oklahoma, Premiere.

Und was den Kollegen in Oklahoma recht ist, ist DJ Mike im Festzelt des King Ludwig Biergarten billig: Zur amerikanis­chen Textversio­n – „cluck, cluck, cluck, cluck“– heben und senken sich hier zahlreiche Damen-Ellbogen, die aus Dirndln, Trägerleib­erln oder eng sitzenden T-Shirt-Kleidern hervorsteh­en; hakt man sich unter und dreht sich im Kreis – ganz wie man es in „Sound of Music“authentisc­h-alpin gesehen hat.

„Früher waren noch öfter richtig gute Kapellen aus Bayern, vor allem aber auch Österreich dabei“, bedauert Joseph Mahler das Nachlassen der musikalisc­hen Authentizi­tät. Im kommenden Jahr erhofft man sich aber wieder ein ganz besonderes Programm, denn da wird das Oktoberfes­t in Helen 50. Und Kammerpräs­identin Green weiß auch einen Weg, wie man alpine Musikanten in den tiefen Süden holen kann: „Das geht manchmal gut über den deutschen Pavillon bei Disney in Orlando“, verrät sie.

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