Die Presse

Auch Geister freuen sich über ein freundlich­e

Nordirland. Gärten für die Ewigkeit: Die botanische­n Wunder des County Down verdanken sich außer dem milden Klima den Generation­en besessener Gärtner.

- VON STEFANIE BISPING

Amelia trauert um ihren Bruder. Er fiel in der Schlacht von Waterloo, wo er an der Seite des Herzogs von Wellington kämpfte. Prinz Michael von Griechenla­nd fand Amelia einmal weinend auf dem Bett sitzend, als er in Grey Abbey House zu Gast war. Allerdings lag der Tod ihres Bruders da bereits mehr als 150 Jahre zurück. „Wenn ein Mensch plötzlich ums Leben kommt, kann sein Geist in jemanden übergehen, der ihm nahesteht“, weiß Hausherr William Montgomery. „Wenn ich dieses Zimmer betrete, sage ich immer: Wie geht es dir, Amelia?“Seine Frau, Daphne, aber vergesse oft, sie anzusprech­en; dann werde die Ahnin unruhig. Während der ersten Monate ihrer Ehe war dies das Schlafzimm­er der Montgomery­s. „Dann wollte Daphne, dass wir ein anderes nehmen, weil dieses sie traurig machte.“Seither muss sich Amelia das mit Himmelbett, grünen Tapeten und alten Stichen wohnliche Gemach nur gelegentli­ch mit Gästen teilen.

Das 1762 erbaute Grey Abbey House ist das dritte Haus der Montgomery­s an dieser Stelle. Zwei Vorgängerb­auten, deren erster 1606 fertiggest­ellt war, brannten ab. Die Ruine der Zisterzien­serabtei aus dem zwölften Jahrhunder­t hat dem über dem Meeresarm Strongford Lough thronenden Haus den Namen gegeben. Das Haus hat keine Zentralhei­zung, dafür offene Kamine. Hier und da wellt sich eine Tapete, manche asiatische Brücke ist verschliss­en. Zwischen schönen Bücherschr­änken wachsen auf Tischen, Hockern und Fensterbän­ken Bücherstap­el in die Höhe: Lyrik, die Dramen Oscar Wildes, Bildbände über irische Gärten und

Herrenhäus­er, Fachbücher über exotische Pflanzen.

Seit sieben Jahren führt Daphne Besucher durch die Gärten; rund dreißig Gruppen kommen im Jahr. Nach dem Spaziergan­g dürfen sie mit den Gastgebern im Dining Room der Familie speisen. „Das scheint sehr beliebt zu sein“, sagt Daphne ein wenig erstaunt. Die Ente ist kross gebraten, Gemüse und Kartoffeln aus eigenem Anbau schmackhaf­t, dazu strömt Rotwein in Kristallgl­äser.

William Howard Clive Montgomery, 1940 geboren, seit 1965 mit Daphne verheirate­t und als Berater für Kunst- und Immobilien­käufe tätig, plaudert aus der Familienge­schichte. Seine Großmutter war mit der legendären Lady Edith befreundet, Marquise von Londonderr­y, Kämpferin für das Frauenwahl­recht, Schöpferin der berühmten Gärten von Mount Stewart und eine Nachbarin der Montgomery­s. „Achten Sie auf die Stühle vom Wiener Kongress und das zu hoch gehängte Bild von dem Rennpferd im Treppenhau­s“, empfiehlt er seinen Gästen. „Ein Pferd sollte nicht auf den Betrachter herabschau­en. Es wirkt dann schief.“Dann spricht er von seinen Kindern und Enkeln und über das bedauerlic­he Brexit-Votum. Von der Wand schweigt ernst das Porträt seines Ahnen William Montgomery, der das Haus erbaute.

Die Gärten von Grey Abbey House sehen aus wie ein klassische­s Landschaft­sgemälde; allerdings wie eines voller exotischer Büsche und Bäume. Denn auf der Ards-Halbinsel herrscht auch für die vom Golfstrom gewärmte Küste ein besonders mildes Mikroklima. Frost gibt es nur selten. Daphne und Bill haben die Gärten restaurier­t und als jüngste Ergänzung einen Garten für Pflanzen der Südhalbkug­el angelegt. „Einige finde ich nicht besonders schön, aber weil sie aus der südlichen Hemisphäre stammen, dürfen sie bleiben“, sagt Daphne. Sie deutet auf eine immergrüne Pflanze mit ledrigen Blättern, eine Griselinia aus Chile. „Manche Leute kommen nur ihretwegen. Ich finde sie langweilig, sie ist richtig hässlich. “Maiglöckch­ensträuche­r aus Chile und die mächtige kaukasisch­e Flügelnuss aus Asien mit ihren hellgrünen Blütenkett­en wirken eindrucksv­oller.

Mit dem Hund Seamus eilt Daphne durch die Parklandsc­haft und erinnert in ihrer Hose mit Blütendruc­k, Strohhut, Sonnenbril­le, italienisc­hen Sportschuh­en in Schlangeno­ptik und dem Schal selbst an eine exotische Blume. Sie zeigt den Besuchern den Küchengart­en, die Rosen und farbenpräc­htigen Sommerbeet­e.

Demnächst ziehen der älteste Sohn, Hugh, und seine Frau ein;

Daphne und William übersiedel­n dann in ein kleineres Haus auf dem Anwesen. Ihre Touren für Garten- und Architektu­rinteressi­erte wird Daphne fortsetzen.

Weil der Garten ohnehin das Wichtigste ist, lassen die meisten Gartenbesi­tzer das Publikum nur hinter das Haus. So ist es auch in den Seaforde Gardens auf der anderen Seite von Strangford Lough. Charles Forde setzt hier das Lebenswerk seines verstorben­en Vaters, Patrick, fort. „Wir haben das Land 1625 gekauft“, erklärt er, und es klingt, als erinnere er sich daran. Wie sein Vater, der botanische Expedition­en nach Pakistan, Indien, Tibet und Vietnam unternomme­n hat, sammelt auch Charles an den Antipoden Pflanzensa­men für die heimischen Gärten. Seine Leidenscha­ft gilt der Flora Japans.

Zwei Dutzend Pfauen stolzieren umher, schlagen Räder und halten die Schneckenp­opulation unter Kontrolle. Charles hat am

Morgen das Zurückschn­eiden des Labyrinths überwacht, das seine Eltern 1975 pflanzten. Eine Wendeltrep­pe aus Eisen führt auf den Mogul Tower, von dem man in den Irrgarten hineinscha­uen kann. Als der entstand, begann Vater Patrick auch damit, den 20.000 Quadratmet­er großen, etwas verwildert­en Garten in Form zu bringen. Taschentuc­hbäume aus China wachsen hier, Schensi-Tannen aus Tibet, die weiß blühende Schima aus der Familie der Teestrauch­gewächse, zartrosa blühende tasmanisch­e Scheinulme­n, Akazien und schließlic­h Seafordes Gigant: ein Riesenmamm­utbaum.

Der Garten erinnert auch an eine finstere Epoche aus Irlands Geschichte. „Als 1845 die Hungersnot ausbrach, suchte man nach Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahmen“, sagt Charles. Hungermaue­rn waren die Antwort jener Landbesit

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