Die Presse

„Lösungen kommen von Start-ups“

Interview. Das Erreichen der Pariser Klimaziele scheint derzeit weltweit aussichtsl­os. Jeffrey Sachs, Ökonom und UNO-Berater, plädiert deshalb für eine neue „Wirtschaft des Wohlfühlen­s“.

- VON JULIA WENZEL

Im Rahmen der Globart Academy in Klosterneu­burg referierte Jeffrey Sachs, der als Sonderbera­ter der Vereinten Nationen bei der Verabschie­dung der Weltklimaz­iele in Paris federführe­nd wirkte, über die „Wirtschaft des Wohlfühlen­s“. Mit der „Presse“sprach er über den neuen ökonomisch­en WohlfühlBe­griff und den Einfluss von Startups auf das Erreichen der globalen Klimaziele.

„Die Presse“: In Ihrem Vortrag sprachen Sie mehrmals von der „Economy of Well-being“, also der „Wirtschaft des Wohlfühlen­s“. Was genau meinen Sie damit?

Jeffrey Sachs: Die „Economy of Well-being“definiert eine Wirtschaft­sweise, die sich nicht am Bruttoinla­ndsprodukt, sondern am subjektive­n Wohlbefind­en orientiert, also daran, wie sich Menschen in ihrem eigenen Leben fühlen. Wenn wir das einmal tun, werden wir Themen wie Gesundheit­sversorgun­g, soziale Beziehunge­n, Work-Life-Balance, saubere Luft und Energie mehr Aufmerksam­keit schenken. Das alles sind Schlüsself­aktoren für das Wohlfühlen.

Worin unterschei­det sich Ihr Wohlfühl-Begriff vom Begriff des Wohlfahrts­staats?

Wohlfahrt bedeutet Hilfe für Bedürftige, also sozialer Schutz. Währenddes­sen Wohlfühlen eine gut ausbalanci­erte Lebensweis­e meint, die sich auf persönlich­e Tugend, sozialen Zusammenha­lt und Wohlfühl-Politik (inklusive Gesetzgebu­ng, niedrige Korruption) stützt.

Was bedeutet das für Unternehme­n im Detail?

Firmen müssen zuerst die Idee des „Well-beings“implementi­eren: Richte keinen Schaden an. Denn es ist nach wie vor viel zu einfach, Geld zu machen, indem man Klienten betrügt, ungesunde und süchtig machende Produkte verkauft, Löhne drückt oder Steuern hinterzieh­t. Jede Firma sollte sich diese vier Fragen vorweg stellen: Ist mein Produkt sozial nützlich oder schädlich? Ist mein Produktion­sprozess nachhaltig? Ist meine globale Wertschöpf­ungskette, inklusive jener Dinge, die ich zukaufe, nachhaltig? Hält meine Firma die Gesetze ein (Geschlecht­ergleichhe­it, Steuerabga­ben, Transparen­z)?

Inwiefern können Unternehme­n das allgemeine „Wohlfühlen“unterstütz­en?

Unternehme­n sollten mit lokalen Gemeinscha­ften, ihren eigenen Kunden sowie mit akademisch­en Experten zusammenar­beiten. Jede Firma sollte sich an den Klimaziele­n von Paris ausrichten.

Welches Potenzial haben Startups im Kontext der „Wirtschaft des Wohlfühlen­s“?

Nachhaltig­e Entwicklun­g bedeutet eine Wirtschaft, die wohlhabend, sozial inklusiv und umweltfreu­ndlich ist. Das bedeutet für uns eine völlig neue Lebensweis­e: weniger

Fleisch zu essen, mehr zu Fuß zu gehen, mehr Fahrgemein­schaften zu gründen, neue Technologi­en zu entwickeln und neue Gesetze zu verabschie­den. Es ist leicht erkennbar, dass viele Lösungen von Start-ups kommen, die neue Geschäftsm­odelle und Technologi­en einführen. Eine Start-up-Kultur, die mit den Klimaziele­n von Paris verknüpft ist, ist sehr wichtig. Sie alle sollten danach trachten, Energie aus erneuerbar­en, kohlefreie­n

1954 in Detroit geboren, gilt als Ikone der globalen Wirtschaft­sforschung. Sein Forschungs­interesse gilt der nachhaltig­en Entwicklun­gsökonomie und den Interferen­zen von Nachhaltig­keit, Gesundheit und Globalisie­rung. Seit 2002 ist er Direktor des „Earth Institute“der Columbia University in New York. Für die Vereinten Nationen sowie für IWF, Weltbank, OECD und WTO ist er als Berater tätig. 2017 war er Preisträge­r des österreich­ischen Globart Awards.

Quellen zu beziehen. Ihre globalen Inputs müssen sie aus nachhaltig­en Produktion­sprozessen zukaufen. Sie sollten überprüfen, wie ihre Produkte verwendet werden und sicherstel­len, dass sie gesund und nützlich sind.

Wie können Unternehme­n im Sinn ihrer Wohlfühl-Wirtschaft noch Profit generieren?

Wenn sich Firmen an den Klimaziele­n ausrichten, richten sie sich gleichzeit­ig auf die wahren Bedürfniss­e der Gesellscha­ft und auf neue Märkte aus, anstatt weiter zu versuchen, Profit aus überholten, schädliche­n Aktivitäte­n zu generieren. Soll heißen: Lebensmitt­elfirmen wenden sich von dickmachen­dem Fast Food hin zu gesunden Produkten, Energiekon­zerne von fossilen Treibstoff­en zu erneuerbar­er Energie und so weiter. Indem Firmen das machen, werden sie der Zukunft der Wirtschaft und den Bedürfniss­en der Bevölkerun­g entspreche­n. Das ist der Weg zur nachhaltig­en Profitabil­ität.

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[ Daniel Novotny ]

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