Die Presse

Der Kandidat ist längst kein Bittstelle­r mehr

Beratung. Die harten Fakten zu checken, kann man automatisi­eren. Doch Mitarbeite­r mit „Mehrwert“zu finden, die zur Unternehme­nskultur passen, kann keine künstliche Intelligen­z leisten. Hier sind HR und Personalbe­rater weiter gefordert.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Beide suchen sie Kandidaten für Topjobs. Der eine für akademisch gebildete Berufseins­teiger mit bis zu maximal zehn Jahren Berufserfa­hrung. Das ist Philipp Riedel, Geschäftsf­ührer von Avantgarde Experts. Der andere ist im Executive Search tätig und konzentrie­rt sich auf Führungskr­äfte mit mehr als zehn Jahren Berufserfa­hrung. Das ist Michael Baumann, Österreich-Chef der global tätigen H.I. Executive Consultant­s. Die beiden bedienen unterschie­dliche Zielgruppe­n, doch sehen sie die Entwicklun­g auf dem Markt der Personalbe­rater sehr ähnlich.

Etwa dahingehen­d, dass früher Linienfunk­tionen stärker gefragt waren, verbunden mit festen Anstellung­en. Das hat sich zugunsten der Projektarb­eit verschoben: Viele – vor allem jüngere Talente – wollen von einem Projekt zum anderen wechseln.

Nicht nur, um diese Stellen zu besetzen, kommt dem Active Sourcing eine immer größere Rolle zu. Und dabei zeigen sich rasch die qualitativ­en Unterschie­de der Beratungsu­nternehmen. Mancher internatio­nale Personalbe­rater, sagt Baumann, würde viele Kandidaten ansprechen und ihnen Funktionen vorstellen. „Die Passung ist dabei nicht immer gegeben.“Das führe bei manchen Managern, die viele Angebote bekommen, zu einer Art Reizüberfl­utung. Je höher die Passung sei, sagt er, desto höher die Bereitscha­ft, sich einem Prozess zu stellen. Doch dieses hard-factmatchi­ng sei nur ein Teil, ein geradezu selbstvers­tändlicher Teil der Arbeit. Der in einem hohen Maß auch automatisi­ert und digitalisi­ert werden könnte.

Der kniffliger­e Teil kommt erst danach und fordert die Berater: Passt der Kandidat zur Kultur des Unternehme­ns? Die ist abhängig vom individuel­len Stadium des Unternehme­ns: Wird gerade restruktur­iert oder befindet sich das Unternehme­n in einer Wachstumsp­hase? Wird für die Hauptoder eine Zweigniede­rlassung gesucht? Wie ist das Unternehme­n organisier­t (Linie, Matrix etc.)? Wie steil oder flach ist die Hierarchie angelegt? „Kulturpass­ung mit künstliche­r Intelligen­z ist noch nicht möglich“, sagt Riedel und stimmt mit Baumann überein, dass das diesbezügl­iche Matching auch mittelfris­tig nicht automatisi­ert werden könne. Anders als die Eignungsdi­agnostik. Denn hier versuche man, möglichst viele Schritte zu automatisi­eren. Und trotzdem sei gute Beratungsa­rbeit gefragt, denn es gelte früh zu erkennen, wie die Skills des Kandidaten mit den Skills des Teams zusammenpa­ssen.

„Ein Kandidat“, sagt Baumann, „muss so wenig wie möglich tun müssen.“Und zudem die Möglichkei­t haben, das Unternehme­n schnell kennenzule­rnen – und natürlich auch umgekehrt. „Mehr als drei Stufen sind atypisch.“Denn schließlic­h gelte, sagt Riedel: „Der Bewerber ist kein Bittstelle­r mehr.“

Beratung setzt daher schon wesentlich früher an, lang bevor eine Stelle ausgeschri­eben wird. „Neue Anforderun­gen an TopExecuti­ves, schnelle technologi­sche Weiterentw­icklungen, sich verändernd­e Märkte und disruptive Geschäftsm­odelle sind Veränderun­gen, auf die viele Personalbe­rater bisher kaum eingegange­n sind“, sagt Baumann. Oder anders gesagt: Es gehe darum, Kunden zu beraten, was beispielsw­eise Digitalisi­erung für sie bedeute und wie sie sich auf ein konkretes Anforderun­gsprofil auswirke. Das sei zunächst beratungsi­ntensiv, aber entscheide­nd, um später Kandidaten mit „Mehrwert“zu finden.

Diese Beratungsl­eistung der Personaldi­enstleiste­r mache die HR-Abteilunge­n in den Unternehme­n keinesfall­s obsolet. „Deren Business Involvemen­t wird immer wichtiger“, sagt Baumann. Gelingt das, brauchten die Mitarbeite­r der HR-Abteilunge­n auch keine Sorge zu haben, sich ad absurdum zu führen, wenn externe Personaldi­enstleiste­r engagiert werden.

In einem modernen Verständni­s, sagt Riedel, sind Personaler „weniger Verwalter als Gestalter. Sie sorgen für Vernetzung und sie sind Markenbots­chafter für ihr Unternehme­n. Auch wenn es die jeweilige Fachabteil­ung ist, die letztlich einstellt.“

Die Rolle der HR für das Employer Branding betont auch Baumann. Recruiting hänge ganz eng damit zusammen. Denn allen im Unternehme­n müsse eines klar sein: „ Kandidaten schauen Unternehme­n sehr genau an.“

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[ Engel, H.I. ]
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