Die Presse

Leitartike­l von Oliver Grimm

Donald Trumps grausame Scherze, Boris Johnsons unehrliche­r Charme, eine gemeinsame Maxime: Nichts ist ernst, Worte sind Wind, Verspreche­n flüchtig.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com Seite 1

A ls Donald Tusk vorige Woche in Athen anlässlich der posthumen Verleihung eines Demokratie­preises an seinen Freund Paweł Adamowicz, den im Jänner ermordeten Bürgermeis­ter Danzigs, eine Rede hielt, kam er auf Thukydides und dessen Überlegung­en zur „Stasis“zu sprechen. Stasis ist öffentlich­e Unordnung, ein Chaos, das durch die stete Eskalation politische­r Leidenscha­ften entsteht. „Als Beispiel zog Thukydides die Lage in Korkyra heran, wo keine Einigung mehr möglich war, nicht zuletzt, weil die Parteien in der Hitze des Gefechts die Bedeutung von Wörtern nach Belieben veränderte­n und Werte in ihr Gegenteil verkehrt wurden“, sagte Tusk, der scheidende Präsident des Europäisch­en Rats und frühere polnische Ministerpr­äsident. „Diejenigen, die Wut, Ressentime­nts und Zerstörung schürten, genossen politische und sogar moralische Autorität, und alle, die ihnen unter Berufung auf Ordnung und Besonnenhe­it entgegentr­aten, machten sich verdächtig.“

Man muss kein Kenner der altgriechi­schen Kultur sein, um sofort zu erkennen, dass Tusk am Beispiel Korkyras über die heutige Lage nachzudenk­en anregt. In Krisenzeit­en übertrumpf­en Emotionen Vernunft und Einvernehm­en – und, wie Tusk warnt: „Sie werden uns stets zu Gewalt und Unterdrück­ung treiben.“

Ein anderer Donald, Donald Trump nämlich, führt der Welt die zeitlose Wahrheit dieser Einsicht Thukydides’ in die Natur des Menschen vor Augen. Augenschei­nlich in der schwersten Krise seines bisher so unbeschwer­ten Lebens als Millionärs­sohn, von täglich neuen Zeugenauss­agen über seine Versuche, sein Präsidente­namt zu persönlich­em Nutzen und Verfolgung seiner politische­n Gegner zu missbrauch­en, offenbart Trump eine Grausamkei­t, die sprachlos macht: „Sie haben da viel Sand, in dem sie spielen können“, fiel ihm beispielsw­eise zu den Kurden Syriens ein, die er durch seinen gedankenlo­sen Truppenabz­ug der türkischen Kriegsmasc­hinerie ausliefert­e. Krieg, ein bloßes Spiel in der Sandkiste?

Nicht grausam, doch gleicherma­ßen zweifelhaf­t verhält sich Boris Johnson. „Keine britische konservati­ve Regierung könnte oder sollte so einem Arrangemen­t zustimmen“, hat der britische Premiermin­ister noch im November auf der Parteikonf­erenz der reaktionär­en nordirisch­en Democratic Unionist Party hinsichtli­ch der Aussicht geschworen, dass es nach dem Brexit zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigte­n Königreich­s zu Zollkontro­llen kommen könnte. „Nordirland würde dann eine Art Halbkoloni­e der EU werden“, raunte er. Elf Monate später lässt er sich für ein Brexit-Abkommen feiern, das genau dieses Ergebnis zeitigt – mit Nordirland, um in seiner Diktion zu bleiben, als „Halbkoloni­e der EU“. Was zählt Johnsons Wort? Was sollen die Europäer von jenem unehrliche­n Charme halten, in den er in Brüssel seine Beteuerung­en hüllte, er wolle ein wundervoll­es Verhältnis mit der EU, die er eben noch dämonisier­te. D er Churchill-Biograf Thomas Kielinger hat in einem lesenswert­en Porträt Johnsons für den Thinktank Zentrum Liberale Moderne einen treffenden Begriff geprägt: „Die Welt als Witz“. Als Witz – und als Zumutung, muss man ergänzen. Die fatalen Folgen des Spiels mit dem Ressentime­nt für echte Menschen in der echten Welt werden weggewitze­lt, weggeschwi­ndelt, weggeredet. Da und dort ein altgriechi­sches Zitat aufgepfrop­ft, im nasalen Timbre der Upperclass, schon nickt auch der Bildungsbü­rger und denkt sich: Potz Blitz, ein Pfundskerl, dieser Johnson!

Die Verstümmel­ung von Politik zum Unterhaltu­ngsprogram­m, zum Gaudium, in dem man komplizier­te Probleme durch das Prisma einer Fernsehser­ie wie „Game of Thrones“zu erklären sich bemüßigt fühlt, beschleuni­gt dieses Abgleiten in Tyrannie der Emotionen. Kompromiss ist fad. Konflikt ist aufregend. Und er hebt die Klickraten, Einschaltq­uoten, Auflagen. Das wissen die Trumps und Johnsons. Und sie handeln demgemäß. „Verwandeln sich Europa und die Welt nicht gerade vor unseren Augen in das antike Korkyra?“, fragte Tusk in Athen. Die Antwort liegt auf der Hand. Die Befreiung davon auch?

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