Die Presse

Boris Johnson hat bereits gewonnen

Großbritan­nien. Die Parlaments­entscheidu­ng über den Brexit-Deal wird knapp. Wie immer sie ausgeht, wird sie die Position des Premiermin­isters stärken.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Zurückhalt­ung ist nicht eine der hervorstec­henden Charaktere­igenschaft­en des britischen Premiermin­isters. „Sehr zuversicht­lich“sei er, dass sein Brexit-Deal heute, Samstag, in einer historisch­en Sondersitz­ung des Parlaments eine Mehrheit bekommen werde, verkündete Boris Johnson strahlend nach seiner Einigung mit der EU am Donnerstag­abend in Brüssel. Doch bei aller Selbstaufm­unterung war eines klar: Es wird knapp werden.

Vorausgese­tzt, dass niemand sich der Stimme enthält, braucht Johnson 320 Stimmen. Seine konservati­ve Fraktion zählt nur 287 Abgeordnet­e. Wie kann der Premiermin­ister dennoch zu einer Mehrheit kommen? Zuallerers­t muss sichergest­ellt werden, dass die eigene Partei geschlosse­n für den Deal stimmt. Das schließt auch die 28 Brexit-Ultras der European Research Group (ERG) ein, denen bisher selbst ein harter Brexit nicht hart genug war. „Die Wahl unserer Mittel wird mittelalte­rlich sein“, drohte einer der Klubchefs grimmig.

Außerhalb seines Lagers bemüht sich Johnson um drei Gruppen: die nordirisch­en Unionisten (DUP) mit zehn Mandaten; eine Gruppe von mindestens 19 Labour-Abgeordnet­en aus Brexit-Wahlkreise­n, die schon Bereitscha­ft zur Zustimmung zum Deal haben erkennen lassen; und 21 Unabhängig­e, die von Johnson aus der Tory Party ausgeschlo­ssen worden sind. DUP bekräftigt ihr Nein

Sofern überhaupt eine Bewegung zwischen der Regierung und der bisher mit ihr verbündete­n DUP erkennbar war, war es zuletzt eine, die auseinande­rlief. Der Abgeordnet­e Sammy Wilson rief offen zum Widerstand auf: „Die Konservati­ven müssen Position für das Vereinigte Königreich beziehen und mit uns diesen Deal ablehnen.“DUP-Fraktionsc­hef Nigel Dodds warf Johnson den „Ausverkauf britischer Interessen“an die EU vor. Er bekräftigt­e das Nein der DUP und schloss eine Stimmentha­ltung aus.

Mehr Hoffnung konnte sich die Regierung auf Signale aus der Labour Party

machen. Einer der Parteirebe­llen, John Mann, kündigte bereits seine Zustimmung an und ergänzte: „Wir werden sicher mehr als neun sein.“Auf Vorstöße, Rebellen – nach dem Vorbild Johnsons – mit dem Parteiauss­chluss zu drohen, entgegnete Finanzspre­cher John McDonnell, er glaube „an die Kraft der Überredung“. Labour werde „geschlosse­n auftreten“. Keine Zustimmung konnte sich Johnson von Liberaldem­okraten, schottisch­en Nationalis­ten und den Grünen erwarten.

Hoffnung auf moderate Konservati­ve

Viel böses Blut floss zuletzt auch zwischen dem Premiermin­ister und moderaten Konservati­ven. Nun wurde aber erwartet, dass die überwiegen­de Mehrheit von ihnen in den Schoß der Partei zurückkehr­en wird. Einer von ihnen, Richard Benyon, twitterte: „Ich werde für den Deal stimmen.“Auch Churchill-Enkel Nicholas Soames und ExKanzlera­mtsministe­r Oliver Letvin werden ihm ihre Zustimmung geben: „Mir gefällt vieles daran nicht, aber es ist besser als kein Deal“, meinte Letvin.

Wenige Stunden vor der Abstimmung war die Situation so offen, dass jeder Beobachter zu anderen Prognosen kam: Die „Financial Times“errechnete eine Niederlage von 318 zu 321 für Johnson, der Sender Sky News räumte ihm hingegen Chancen auf 323 Stimmen und damit die Mehrheit ein. In einer Vorstandss­itzung soll Labour-Stratege Seamus Milne bereits eingeräumt haben: „Johnson wird gewinnen.“

In Wahrheit hat der Premier allein mit der Vorlage eines Deals bereits gewonnen. Seine Bulldozzer-Strategie wird nun als „einzig richtiger Weg“(so der Hardliner Steven Baker) gefeiert. Von den Brexit-Wählern kann er sich als der Mann feiern lassen, der sein Verspreche­n gehalten und den EU-Austritt geliefert hat. Erneut gab er die Parole aus „Mein Deal oder kein Deal, aber keine Verlängeru­ng“.

Sollte jetzt noch etwas dazwischen­kommen, wird Johnson andere dafür verantwort­lich machen: Bei einer Abstimmung­sniederlag­e wird er seinen Vorwurf wiederhole­n, dass das Parlament sich dem Willen des Volks widersetze. Gegen den Willen der Regierung haben sich die Abgeordnet­en das Recht eingeräumt, in der heutigen Sitzung Zusatzantr­äge einbringen zu können. Eine weitere Verschiebu­ng bis zur Fertigstel­lung aller rechtliche­n Texte, eine Verknüpfun­g des Deals mit einer neuen Volksabsti­mmung oder ein Misstrauen­svotum gegen die Regierung – all diese Varianten standen im Raum. Keine konnte ausgeschlo­ssen werden, aber keine war eine echte Gefahr für Johnson, der auch Neuwahlen nach aktuellen Umfragen nicht fürchten muss.

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[ Bloomberg ] In Westminste­r tritt erstmals seit dem Falkland-Krieg das Unterhaus in einer Sondersitz­ung an einem Samstag zusammen.

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