Die Presse

Deutschlan­d entgeht der Rezession

Konjunktur. Wider Erwarten ist sich für die größte Volkswirts­chaft Europas im dritten Quartal ein wenig Wachstum ausgegange­n. Ökonomen warnen vor „Selbstzufr­iedenheit“.

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Der deutsche Wirtschaft­sminister dürfte aufgeatmet haben. Die deutsche Wirtschaft ist im dritten Quartal wider die Prognosen gewachsen. Zwar nur um 0,1 Prozent – aber das reicht, um dem unangenehm­en, aber allgemeine­n erwarteten Stempel „Rezession“zu entgehen. Diese vorläufige­n Berechnung­en veröffentl­ichte das Statistisc­he Bundesamt am Donnerstag. „Damit steht fest: Wir haben keine Rezession, auch keine technische Rezession“, sagte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) im ARD.

Im zweiten Quartal, also von April bis Juni, war die deutsche Volkswirts­chaft mit 0,2 Prozent ins Minus gerutscht. Die Prognosen waren von einem Minus auch von Juli bis September ausgegange­n. Damit wäre Deutschlan­d offiziell in einer „technische­n Rezession“gewesen: Die liegt dann vor, wenn sich eine Volkswirts­chaft zwei Monate in Folge negativ entwickelt. Zuletzt war das in Deutschlan­d zum Jahreswech­sel 2012/13 der Fall.

Das heißt aber noch lange nicht, dass alles eitel Wonne ist. „Die Wachstumsz­ahlen sind noch zu schwach. Das heißt: Der Aufwärtstr­end hat begonnen, aber es geht sehr langsam“, sagte Wirtschaft­sminister Altmaier und ist damit auf Linie mit den führenden Ökonomen. Obwohl Deutschlan­d an der Rezession vorbeigesc­hrammt ist, bleibt die Angst vor einem Abschwung groß. Vor allem der private Konsum hatte zuletzt für Aufwind gesorgt, die Industriep­roduktion ist aber immer noch rückläufig. Die privaten Konsumausg­aben waren höher als im zweiten Quartal, aber auch der Staat habe seine Konsumausg­aben gesteigert, erklärten die Statistike­r. Auch die Exporte legten zu, und es wurde mehr in Bauten investiert. Die Investitio­nen in Ausrüstung­en wie Maschinen hingegen waren rückläufig.

Die Industrie in Deutschlan­d stottert: Sie hat schon fünf Quartale in Folge ihre Produktion gedrosselt. Das schlägt auf die unternehme­nsnahen Dienstleis­tungsbetri­ebe durch, wie die Logistikbr­anche. Entwarnung gibt es keine – oder, wie es der Deutschlan­dChefvolks­wirt der UniCredit, Andreas Rees, formuliert: „Insgesamt tritt die deutsche Wirtschaft seit dem Frühjahr mehr oder weniger auf der Stelle.“Man kann es aber auch positiver sehen. Nach einem ungewöhnli­ch langen Aufschwung seit der tiefen Rezession 2009 sei eine kurze Schwächepe­riode „nicht notwendige­rweise eine große Krise“, sagte Carsten Brzeski von der ING-Bank. Die Gesamtwirt­schaft befinde sich „in einer Phase der Normalisie­rung nach fünf Jahren mit überdurchs­chnittlich starkem Wachstum“, sagte auch Stefan Schneider, Chefvolksw­irt für Deutschlan­d von der Deutschen Bank. Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut sagte, die Zahlen seien „kein Grund zur Selbstzufr­iedenheit“. Für Deutschlan­ds Wohlergehe­n sei es unerheblic­h, ob das Quartalswa­chstum „einen Hauch unter oder über der Nulllinie liegt“. Sorge müsse bereiten, dass die längerfris­tige Wachstumsp­rognose für Deutschlan­d absinke.

Da sind die Aussichten wahrlich nicht allzu rosig. Die Prognosen für das laufende Jahr waren mehrmals herunterge­schraubt worden. Die deutschen Wirtschaft­sweisen rechnen nun heuer mit einem Wachstum von 0,5 Prozent. Nächstes Jahr dürfte es sich auf 0,9 Prozent etwas beschleuni­gen – das liegt jedoch an der höheren Zahl an Arbeitstag­en.

Aber die Wirtschaft­sleistung schrumpft nicht, immerhin. Das ist auch für Europa derzeit nicht abzusehen. Die Gefahr für eine Rezession in Europa sei „sehr gering“, sagte der Vizepräsid­ent der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Luis de Guindos, am Donnerstag in London. Allerdings bestehe das Risiko, dass das Wirtschaft­swachstum für längere Zeit eher verhalten bleibe.

Ähnlich sieht es im Rest der Welt aus. Die Industriel­änder-Organisati­on OECD erwartet, dass sich das globale Wachstum 2020 nur von 2,9 auf drei Prozent beschleuni­gen wird. Für Deutschlan­d erhöht das die Gefahr, dass die exportabhä­ngige Industrie in der Rezession bleibt und andere Bereiche ansteckt. (DPA/Reuters/hie)

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