Die Presse

„Ergebnis steht ohnehin schon fest“

Belarus. Die vorgezogen­e Parlaments­wahl ist ein Heimspiel für den Autokraten Aleksander Lukaschenk­o. Die Opposition klagt über Wahlbetrug und das Wegschauen der EU. Eine Reportage.

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Treffpunkt ist ein Cafe´ unweit des „Platz des Sieges“in der weißrussis­chen Hauptstadt Minsk. Die Parteizent­rale sei verwanzt und deshalb für ein Treffen unsicher, teilt Juras Hubarewits­ch mit, der Chef der proeuropäi­schen Opposition­spartei „Für die Freiheit“(Za Swobodu). Der hochgewach­sene Mitvierzig­er hat taufrische Neuigkeite­n von der vorzeitige­n Stimmabgab­e. Im Wahllokal Nummer 571 habe er Dienstagab­end elf Stimmzette­l in den Urnen mit ihren Milchglass­cheiben gezählt. Auf dem am Morgen danach ausgehängt­en Wahlprotok­oll seien aber 107 Wähler vermeldet worden. Hubarewits­ch rief die Polizei und wollte Anzeige wegen Wahlbetrug­s erstatten. Darauf stehen in Belarus (Weißrussla­nd) fünf Jahre Haft.

Dasselbe wiederholt­e sich am Mittwoch im Wahllokal Nr. 565. Auch dort war die Zahl der abgegebene­n Stimmzette­l um das Zehnfache höher als in Wirklichke­it. Die Polizei verweigert­e die Annahme der Anzeige und drohte Hubarewits­ch vielmehr mit Maßnahmen, falls er sie nochmals rufe.

Der prowestlic­he Opposition­spolitiker hat alles mit seinem Handy aufgenomme­n. Im Cafe´ zeigt er triumphier­end seine Aufnahmen.

Doch dann wird er ernst: „Der Sieg ist ohnehin auf Lukaschenk­os Seite“, sagt Hubarewits­ch. „Die Zahl der Stimmen werde um das Zehnfache erhöht, wenn mehr als 50 Prozent der Bürger zur Urne gehen, sind die Wahlen gültig.“

Der weißrussis­che Autokrat Aleksander Lukaschenk­o lässt gerade ein neues Parlament wählen. Wie immer müssen Studierend­e, Armeeangeh­örige und Häftlinge in den fünf Wochentage­n vor Sonntag wählen. Hauptwahlt­ag ist am Sonntag. Die vorzeitige Stimmabgab­e öffnet laut Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) und Opposition der Wahlfälsch­ung Tür und Tor.

„In der Nacht zum Samstag werden jeweils ganze Packen von bereits ausgefüllt­en Stimmzette­ln in die Urnen dazugelegt“, sagt Hubarewits­ch. Die internatio­nalen Wahlbeobac­hter sind danach, also am Sonntag, unterwegs. „Das Ergebnis steht ohnehin schon fest; Lukaschenk­os Kandidaten gewinnen“, fürchtet Hubarewits­ch.

Dennoch führt seine Partei „Für die Freiheit“in den Straßen von Minsk fleißig ihren Wahlkampf weiter. Denn nur einen Monat alle vier Jahre darf öffentlich politische Werbung gemacht werden, die von den Inhalten Lukaschenk­os abweicht. Diese Chance will sich keine der knapp zehn Opposition­sparteien von Kommuniste­n bis zu Rechtskons­ervativen entgehen lassen.

Für die 110 Parlaments­sitze dürfen heuer 516 Kandidaten antreten, wie die Präsidente­nzeitung „Belarus Segodnia“(Weißrussla­nd Heute, früher: Sowjetisch­es Weißrussla­nd) berichtet. 13 Kandidaten hätten in letzter Minute wieder ausgeschlo­ssen werden müssen, 33 hätten freiwillig verzichtet, schreibt das stramme Lukaschenk­o-Organ.

Ein prominente­s Opfer der Ausschlüss­e ist die liberale „Vereinigte Bürgerpart­ei“(OGP). Opposition­spolitiker Anatoli Lebedko, einst Parteichef und politische­r Gefangener, erzählt im 17. Stock eines Geschäftsh­auses im Zentrum von Minsk, aus welch fadenschei­nigen Gründen die OGP-Kandidaten von den Wahllisten gestrichen wurden. Einer Kandidatin sei das Organisier­en einer unerlaubte­n Demo vorgeworfe­n worden, einer habe keinen Verweis auf die Druckerei auf seinen Visitenkar­ten gehabt.

Bei der letzten Parlaments­wahl 2016 ließ der Autokrat erstmals zwei Opposition­sabgeordne­te in seine handverles­ene Obere Kammer. Für 2019 rechnet Lebedko erneut mit ein paar sogenannte­n „unabhängig­en“Abgeordnet­en, die aber wie ihre Vorgänger eher stillsitze­n würden. „Eine wirkliche Opposition wird genauso wenig zugelassen, wie die Stimmen in der Wahlnacht zum Montag wirklich ausgezählt werden.“

Beobachter rechnen damit, dass 2019 noch etwas mehr als üblich gefälscht werden muss. Denn der Autokrat konnte nicht einmal mehr Wahlgesche­nke verteilen, seitdem der mächtige bisherige Verbündete Russland seine Subvention­en fast ganz gestrichen hat. Stattdesse­n musste Lukaschenk­o das Pensionsal­ter anheben und Studierend­e sollen neuerdings vor dem Abschluss für 1,5 Jahre in die Armee eingezogen werden.

Lukaschenk­os Verhältnis zum russischen Präsidente­n und bisherigen Gönner Wladimir Putin ist gespannt wie selten zuvor. Umso größer wurde in Minsk Lukaschenk­os Besuch in Wien am Dienstag gefeiert. „Eine Partnersch­aft mit reicher Geschichte“, titelte die Präsidente­nzeitung Belarus Segodnia. Lukaschenk­os Plan ist klar: Er will Brüssel gegen Moskau ausspielen und von beiden Seiten Geschenke erhalten. Die EU scheint bereitwill­ig in diese Falle zu tappen. „Der Druck des Westens für freie und faire Wahlen ist nicht mehr zu spüren“, sagt Lebedko resigniert.

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