Ist das Schlimmste wirklich vorüber?
Die Pessimisten an den Märkten hatten in diesem Jahr das Ruder in der Hand. Zuletzt aber fehlte von ihnen beinahe jede Spur. Das Pendel beginnt in die andere Richtung zu schlagen.
An den Anleihenmärkten findet schon seit Längerem etwas statt. Etwas, das man getrost als Gegenbewegung bezeichnen kann. Bis August dieses Jahres stellte sich die Sache noch folgendermaßen dar: Der amerikanischchinesische Handelsstreit spitzte sich eher zu, statt sich in Wohlgefallen aufzulösen, und der Austritt der Briten aus der EU deutete eher auf Eskalation und Komplexität statt auf Entspannung und einen gütlichen Ausgang hin. So weit, so realpolitisch.
An den Geldmärkten bereitete man sich deshalb auf eine Verschlechterung des konjunkturellen Umfelds vor. Also begann man in den USA, die Zinsen zu senken, und in Europa, die Erwartungen vor einer weiteren geldpolitischen Lockerung zu schüren. Das führte dazu, dass sich Investoren munter weiter mit sicheren Papieren eindeckten und in Bausch und Bogen zu Staatsanleihen griffen. Rentenpapiere im Umfang von 16 Billionen Dollar stiegen zu dieser Zeit gehörig im Kurs, was zu immer extremeren Negativzinsen führte.
In Deutschland waren davon beispielsweise alle Anleihen, unabhängig von ihrer Laufzeit, betroffen, selbst jene, bei denen Investoren ihr Geld erst in 30 Jahren wieder sehen. Und so sank die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen, die in Europa als Maßstab gelten, im August auf ein – bisheriges – Rekordtief von minus 0,7 Prozent. „Vor der Bekanntgabe eines großen Programms durch die Notenbank gibt es eine ziemlich stark vorauseilende Wirkung, die dann, wenn ein Programm in Kraft tritt, eine Gegenreaktion verursacht“, sagt RBIChefökonom Peter Brezinschek.
Im September kündigte die Europäische Zentralbank (EZB) unter ihrem scheidenden Chef Mario Draghi tatsächlich an, ab November monatlich Anleihen im Umfang von 20 Mrd. Euro zu kaufen. Doch diese Entscheidung war innerhalb der Notenbank höchst umstritten, der Unmut war so groß, dass er an die Öffentlichkeit drang. Inzwischen aber hat Draghi an Christine Lagarde übergeben. Von ihr erwartet man sich, dass sie das Gemeinsame vor das Trennende stellt und ein zerstrittenes Gremium eint.
Selbst wenn Lagarde an Draghis Politik nicht unmittelbar etwas ändern kann, so kann sie es in Zukunft. „Für langfristige Anleihen ist nicht nur interessant, was in einem Jahr am Geldmarkt passiert, sondern auch darüber hinaus“, sagt Brezinschek. Tatsächlich haben sich die Erwartungen der Geldmarkthändler in den vergangenen Wochen deutlich verändert, nämlich verbessert. Sie glauben inzwischen kaum mehr an weitere Zinssenkungen, ihre Prognosen sind nicht mehr so düster wie zuvor.
Auch die Nebel im Handelskonflikt haben sich seither gelichtet, China und die USA steuern aufeinander zu, man hofft sogar auf einen Durchbruch bei den Gesprächen. Auch beim Brexit wird es wahrscheinlich ein Scheidungskonzept geben, so Brezinschek. Diese Nachrichten haben den Risikoappetit der Anleger genährt. „Alles, was nach sicherem Hafen aussieht, wurde abverkauft.“
Staatsanleihen wurden auf dem Markt auf breiter Front verkauft, die Kurse fielen. In den USA stieg die Rendite für zehnjährige Papiere seit August um rund ein Viertel, in Deutschland halbierte sich die Negativrendite für Anlagen derselben Kategorie.
Auch das sichere Gold kam unter Druck und wurde billiger, während es an den Aktienmärkten munter bergauf ging. In den USA kletterten die Indizes auf neue Rekordstände, selbst in den lang gemiedenen europäischen Markt kamen die Investoren zurück. „The worst is over“, sagt Brezinschek. Zumindest was die Angst vor negativen Wachstumsraten und Deflationssorgen betrifft. An den Anleihemärkten könnte man die Tiefststände bereits gesehen haben.