Vom Handy-Spreading und anderen modischen Lastern
Kurz vor dem Advent geloben wir, etwas gelassener zu werden. Die Bekämpfung des Zorns beginnt man am besten im Detail. Ach, wie befreiend ist es, das Teufelszeug durch den Raum fliegen zu sehen!
Erbarmungslos nähert sich der Advent, selbst im entlegenen „Arbeitskreis Kontemplation“(AKK) im Gegengift spürt man sein spätherbstliches Herannahen. Noch aber will sich die seit der Kindheit vertraute Stimmung der Besinnlichkeit nicht einstellen. Kommt es nur uns Lesern politischer Literatur so vor? Oder wurde das Jahr 2019 tatsächlich über weite Strecken vom Volkszorn dominiert? Aufgebrachte Massen von Lateinamerika bis Südostasien, wie in fernen Frühlingen, Kriegstreiber weit über die Fieber-Zone Nahost hinaus.
Selbst ein bisher akademisch vorbelastetes Thema, das uns längst nachdenklich stimmen sollte, wird zur Kampfzone: Der Klimawandel spaltet die Völker in wutentbrannte und noch viel wütender brennende.
Als gelehrige Schüler der Stoa wissen wir: Mit Auszucken allein werden wir die Welt nicht ändern, sondern weiter radikalisieren. Also fangen wir in unserem AK Kontemplation mit kleinen Dingen an. Was sind die Ursachen für alltäglich-minimale Wut, Bürger? Mich macht es rasend, wenn geschäftige Passanten, die aus der U-Bahn steigen, in der Tür stoppen und einen Blick auf ihr Mobiltelefon werfen. Überboten wird solch ein Bremsmanöver, wenn diese Person am Ende der Rolltreppe erneut stehen bleibt und ein SMS checkt. Nur mit
Mühe konnte ich es bisher unterdrücken, dieses „Handy-Spreading“mit einem Schubs zu beenden.
Eine Kollegin leidet unter dem berüchtigten Heftklammer-MaschinenZorn. (Für die Jüngeren: das ist eine ganz kleine Büroklammer. Die kennt man heute noch virtuell als Zeichen für „Attachment“.) Einmal im Monat, sagt die Kollegin, braucht sie dieses Klammer-Ding, und dann ist es leer, und dann sind natürlich auch die Heftklammern nicht zu finden. Ach, wie befreiend ist es, dies Teufelszeug durch den Raum fliegen zu sehen!
Ein anderer hat die Kabel-Phobie: das unentwirrbar verwobene Knäuel in der Schreibtischlade – und keines der Enden passt zum elektrisch betriebenen Gerät, das man anschließen will. Nein, dieser AKK-Redakteur hat noch niemanden stranguliert, der über solch ausweglose Situationen eines modernen Laokoon lachte.
Wir alle aber haben uns an diesem Freitag nach eins, noch rechtzeitig vor dem vollen Einsatz der Weihnachtslieder in den Einkaufsstraßen und vor den Punschhütten, dazu entschlossen, unseren ganz privaten Volkszorn im Kleinen zu zügeln: Kein Anstoßen der armen Autisten mit ihren Gadgets, kein Werfen unschuldig entleerter Maschinen, kein Galgenstrick aus Kupferdraht und Plastik. Ganz achtsam gehen wir in die Dunkelheit, bis die Raunächte anbrechen. So können wir das große Toben besser verkraften. Vielleicht hilft unsere neue Gelassenheit sogar dem Klima.