Die Presse

Qualitätsk­ontrolle oder Zensur?

Twitter will ab sofort, anders als Facebook, keine politische Werbung mehr zulassen. Das Netz jubelt. Warum eigentlich?

- VON HENRIKE BRANDSTÖTT­ER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Twitter verabschie­det sich von politische­r Werbung, Facebook dagegen kündigte an, Fakten in politische­n Anzeigen auch künftig nicht auf Wahrheitsg­ehalt prüfen zu wollen. Dafür musste sich FacebookCh­ef Mark Zuckerberg vom USamerikan­ischen Kongressmi­tglied Alexandria Ocasio Cortez dazu befragen lassen, wie weit man bezahlte Lügen im größten Social Network verbreiten könne.

Das klingt fürs Erste schlecht. Lügen sind keine feine Sache, bezahlte Lügen noch einen Tick unfeiner. Sollten Medienmana­ger nicht auf ein Mindestmaß an Kommunikat­ionshygien­e achten und bei zweifelhaf­ten Botschafte­n die Reißleine ziehen? Liegt es tatsächlic­h nur am eingesetzt­en Kapital, welche Halb- und Unwahrheit­en online verbreitet werden können?

Es liegt auf der Hand, dass Mindeststa­ndards für Qualität auch in der Onlinewerb­ung gelten müssen. Anderersei­ts: Eine Debatte über Qualitätsk­ontrolle für Onlinewerb­ung ist ein dramatisch­es Signal dafür, welchen Stellenwer­t Informatio­n hat und welchen Kanälen und Formaten Relevanz beigemesse­n wird. Onlinewerb­ung in Form von Anzeigen, zielgruppe­ngenau kampagnisi­erenden Kommunikat­ionskanäle­n und reichweite­nstarken Social Media-Profilen erscheint in diesem Szenario als einzige Kommunikat­ionsform, in der Inhalte noch Menschen erreichen. Traditione­llen Medien bleibt dagegen bloß die Rolle des Datenträge­rs.

Welche Wahrheit ist genehm?

Das ist eine beachtlich­e Verschiebu­ng – dabei wird die Debatte allerdings reichlich ungenau geführt. Ist es denn tatsächlic­h „die Wahrheit“, der die Werbetreib­enden verpflicht­et sein sollen? Denn diese Frage wirft die Frage auf, wer diese Wahrheit prüfen soll, wie sie festgestel­lt wird und welche Maßstäbe angewendet werden. Muss die wahre Behauptung so konkret sein, dass die falsifizie­rt werden kann? Das wäre ja das Ende politische­r Kommunikat­ion überhaupt. So weit muss man allerdings nicht gehen; es gibt ja schließlic­h auch Wahrheiten, die, wenn sie nur persönlich oder entblößend genug sind, ebenfalls nicht verbreitet werden – und auch nicht verbreitet werden sollen.

Wenn nicht die Wahrheit das ausschlagg­ebende Kriterium ist, sind es dann weichere Faktoren wie Nettigkeit und Gefälligke­it? Sollte es das Ziel politische­r Werbung sein, keine unangenehm­en Stimmungen in der Welt zu verbreiten? Oder bleibt die Entscheidu­ng schlussend­lich doch auf Fragen der Macht konzentrie­rt: Wer hat genügend Kapital, die Werbung zu finanziere­n, und wer hat ausreichen­d Mittel, um im Gegenzug die unliebsame­n Stimmen auch wieder zu übertönen?

Mit unlauterem Wettbewerb und Verleumdun­g gibt es zumindest in Österreich auch ausreichen­d Möglichkei­ten, gegen die Urheber unerwünsch­ter Kampagnen vorzugehen. Der Schaden ist dann allerdings schon angerichte­t, die Informatio­n hat ihren Lauf genommen.

Willkommen im Safe Space

Also politische Werbung in sozialen Medien doch verbieten? Dann wäre immer noch die Frage zu klären, welche Art von Politik verboten ist. Sind es nur Parteien? Auch NGOs? Dürfen Vorfeldorg­anisatione­n, Bünde, Kammern, Gewerkscha­ften weiter kampagnisi­eren? Diese Fragen führen zum eigentlich­en Kern, der gern übersehen wird, wenn man sich eine geregelte und gesäuberte Welt als friedliche­n, freundlich­en Safe Space für alle vorstellt. Wer im Glauben, das Gute zu tun, verallgeme­inert, was nicht zu verallgeme­inern ist, sägt an dem Ast, an dem er oder sie sitzt. Wenn politische Werbung über Transparen­zregeln hinaus verboten oder reguliert werden soll – wie soll man denn dann für das Gute kampagnisi­eren?

Henrike Brandstött­er (* 1975) ist Autorin sowie Nationalra­tsabgeordn­ete und Medienspre­cherin der Neos.

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