Reparaturservice für das Erbgut
DNA-Schäden auszubessern ist für gesunde Zellen überlebenswichtig. Wie ihnen das gelingt und welche Folgen ein Defekt dabei hat, untersucht die Molekularbiologin Joanna Loizou.
Jeden Tag passiert es etwa hunderttausendmal, in jeder einzelnen Zelle des menschlichen Körpers. Ob durch das Bombardement ultravioletten Lichts, das an einem sonnigen Tag durch unsere Hautschichten fährt, die stete Vergiftung einer Raucherlunge durch ihre Teerschicht oder simple Lesefehler beim Kopieren der Doppelhelix – das menschliche Erbgut ist eine permanente Baustelle, die auf ein flinkes und effizientes Reparaturservice angewiesen ist.
Das kann eine gesunde Zelle auch bieten, und das gleich in vielfacher Ausführung, erklärt die Molekularbiologin Joanna Loizou vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: „Insgesamt lassen sich die DNA-Reparaturmechanismen in sieben bis acht Kategorien einteilen. Für jede Art von Schaden an der Doppelhelix gibt es dabei den passenden Mechanismus.“Egal ob ein einzelner oder gleich beide Stränge der strickleiterförmigen Moleküle gerissen sind, ob sich Chemikalien an die Erbsubstanz geheftet oder ihre langen Fäden über Kreuz verknüpft haben – jeder dieser biochemischen Notfälle löst eine andere Kettenreaktion aus, die den Schaden behebt.
„Man weiß inzwischen recht gut, welche Reaktionswege für welche Art von Schaden aktiviert werden“, so Loizou. „Aber man kennt noch lang nicht alle beteiligten Moleküle. Und noch wichtiger: Man weiß nicht, wie sich die einzelnen Reparaturmechanismen überschneiden.“Um diese Wissenslücken zu füllen, konnte die Molekularbiologin vor Kurzem als erste Frau Österreichs einen ERC Synergy Grant einwerben, einen hoch dotierten Förderpreis der EU.
Die insgesamt 8,86 Millionen Euro teilt sie sich mit Forschern der ETH Zürich und der Universität Cambridge, immerhin 2,95 Millionen kann Loizou in den nächsten sechs Jahren für ihre Forschung am CeMM einsetzen. „Diese Förderung werden wir nutzen, um herauszufinden, wie Zellen ihr Erbgut gesund und stabil halten. Und was bei Krankheiten, die mit der DNA-Reparatur zusammenhängen, schiefgeht“, so die Wissenschaftlerin.
Fehler in den Reparaturmechanismen der Zelle können fatale Folgen haben, von Wachstumshemmungen und Nervenschäden über Immunschwächen bis hin zu Krebs. Besonders bei Letzterem spielt die DNA-Reparatur eine entscheidende Rolle – damit die wuchernden Geschwüre überhaupt entstehen können, braucht es eine Menge Mutationen im Erbgut der entarteten Zellen. Die sammeln sich schnell an, wenn Schäden der DNA nicht mehr vollständig behoben werden können.
Um in solchen Fällen Abhilfe zu schaffen, arbeitet Loizou an einem neuartigen Ansatz, der sogenannten synthetischen Letalität. „Wir bekämpfen dabei gewissermaßen Feuer mit Feuer: In Krebszellen mit defekter DNA-Reparatur fahnden wir gezielt nach zusätzlichen Mutationen, die in Kombination mit dem defekten Mechanismus zum Absterben des Tumors führen.“Sind solche Achillesfersen im Genom der Krebszellen gefunden, sucht Loizou im nächsten Schritt nach Wirkstoffen, die denselben tödlichen Effekt auf den Tumor haben wie die zusätzliche Mutation. Bei bestimmten Arten von Brustkrebs wurde dieses Prinzip bereits erprobt: Wird er durch einen Defekt in den BRCA-Reparaturproteinen ausgelöst, kann der Krebs mit dem Wirkstoff Olaparib gezielt bekämpft werden.
Bei anderen Erkrankungen sucht die Wissenschaftlerin dagegen nach Wirkstoffen, die den Zellen alternative Wege für die Reparatur aufzeigen. „Wir haben gezeigt, dass sich Reparaturmechanismen überschneiden und man Defekte in einem durch die Aktivierung eines anderen ausgleichen kann. Das ist wie in einem Verkehrsstau: Ist eine Straße blockiert, nimmt man eine andere Route, um an dasselbe Ziel zu gelangen.“
Ihre Arbeit sei aber reine Grundlagenforschung, um die molekularen Mechanismen der DNAReparatur zu verstehen, betont Loizou. Bevor aus den so gewonnenen Erkenntnissen tatsächlich ein Medikament hervorgehe, brauche es üblicherweise mindestens ein weiteres Jahrzehnt.