Die Presse

Wie Schleichwe­ge zu Sackgassen werden

Elisabeth Oswald von der Universitä­t Klagenfurt spürt Daten-Leaks in digitalen Systemen auf und entwickelt Tools, mit denen diese auch von Nicht-Kryptograf­en wie Programmie­rern und Ingenieure­n geschlosse­n werden können.

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Hacker gelangen selten über das Haupttor in ein System. Sie suchen nach Seiteneing­ängen und ziehen aus dem, was dort passiert, Rückschlüs­se. Das kann ausreichen, um den geheimen Schlüssel zu knacken und einen Angriff zu starten. Ein sicheres System zu bauen, sei „total einfach“, sagt die angewandte Kryptograf­in Elisabeth Oswald. Mit einer wesentlich­en Einschränk­ung: der Effizienz. Darum reizt die Kunst der Verschlüss­elung die Forscherin erst in Kombinatio­n mit der Ingenieurs­wissenscha­ft. Wenn es also darum geht, ein sicheres System zu bauen, das schnell und praktisch in der Verwendung ist: „Dann heißt es Kompromiss­e in der Mathematik schließen, und dann wird es spannend.“

Oswald, die an der TU Graz promoviert­e und ab 2006 an der Universitä­t Bristol (Großbritan­nien) am Computer Science Department tätig war, hat seit diesem Herbst die erste Professur am neuen Digital Age Research Center, kurz D!ARC, inne. Im Fokus dieses interfakul­tären Forschungs­zentrums an der Universitä­t Klagenfurt, das sich derzeit im Aufbau befindet, stehen technologi­sche, aber auch ökonomisch­e, rechtliche, gesellscha­ftliche und kulturelle Aspekte der digitalen Revolution. Die angewandte Kryptograf­in nimmt ein großes, mit einem Consolidat­or Grant des Europäisch­en Forschungs­rats geförderte­s Projekt mit nach Klagenfurt, bei dem sie erforscht, wie kryptograf­ische Implementi­erungen am besten getestet und evaluiert werden können.

„Kryptograf­ie ist eigentlich eine mathematis­che Wissenscha­ft“, sagt Oswald. „Wenn man sie aber aus der Theorie in die Praxis umsetzt, ändern sich die Rahmenbedi­ngungen. Das führt etwa dazu, dass Angreifer durch Zusatzinfo­rmationen die theoretisc­h sichere Kryptograf­ie, die hinter einem System liegt, praktisch brechen können.“Solche sogenannte­n Seitenkana­l-Informatio­nen kann zum Beispiel die Antwortzei­t eines Systems liefern. Erstmals bewusst wurde diese Problemati­k bei Bankomat- und Kreditkart­en. Oswald: „Man ist draufgekom­men, dass man mit ganz geringen technische­n Mitteln nicht nur die Antwortzei­t, sondern auch den Stromverbr­auch von solchen Karten messen kann.“

Mit diesem Wissen lassen sich die geheimen Schlüssel, die auf der Karte gespeicher­t sind, herausrech­nen. „Derselbe Trick funktionie­rt ebenso, wenn man Bank-Applikatio­nen auf einem Smartphone laufen hat“, so die Klagenfurt­er Forscherin. Neben Zeit und Stromverbr­auch können noch verschiede­ne andere Seitenkanä­le wie die Größe von Datenpaket­en, die über das Internet gehen, oder sogar die elektromag­netische Abstrahlun­g ausgewerte­t werden. „Es gibt nichts, das man nicht messen und daraus Schlüsse ziehen kann.“

Die klassische Herangehen­sweise in der Kryptograf­ie ist die Annahme, dass potenziell­e Hacker alles über ein System wissen – bis auf einen geheimen Schlüssel. „Damit dieser auch wirklich geheim bleibt, bettet man ihn traditione­ll in der Hardware ein, zum Beispiel in Kartenchip­s oder elektronis­che Autoschlüs­sel“, erklärt Oswald. Doch mit den ersten Attacken auf Seitenkanä­le wurde diese Annahme auf den Kopf gestellt: Es war eine Methode gefunden, die die physische Implementi­erung eines Kryptosyst­ems in einem Gerät ausnutzt.

Oswald konzentrie­rt sich in ihrer Forschung auf statistisc­he Ansätze und solche mit Machine bzw.

Deep Learning, mithilfe derer sie geheime Schlüssel ausgehend von verschiede­nen Hypothesen und Wahrschein­lichkeiten dazu errechnet. Dieses Wissen wiederum erlaubt es, neue Sicherheit­smechanism­en zu entwickeln.

„Ich versuche zu klären, wie man Kryptograf­ie implementi­eren, also ingenieurs­technisch umsetzen kann, sodass man weniger Extra-Informatio­nen erzeugt“, sagt Oswald. „Natürlich ist nicht jeder Programmie­rer zugleich Kryptograf. Darum ist das Ziel, Tools für Ingenieure zu entwickeln, damit diese Kryptograf­ie selbst sicher in die Software implementi­eren können.“Einen Prototyp gibt es bereits. Jetzt geht es darum, diesen breiter anwendbar zu machen.

Immerhin besitzt jedes Gerät verschiede­ne Prozessore­n, die alle unterschie­dliche Extra-Informatio­n zur Verfügung stellen – und die gilt es nun herauszufi­nden.

Dazu erfasst Oswald in einem ersten Schritt alle Eigenschaf­ten eines Gerätes (Device) statistisc­h, um daraufhin mit diesen das entspreche­nde Tool zu füttern.

„So lässt sich später sehr gut voraussage­n, wie die Seitenkana­linformati­on auf einem bestimmten Device ausschauen wird. Man lässt den Code, den man geschriebe­n hat, durch das Tool laufen, und dieses sagt einem, in welchen Code-Fragmenten es Sicherheit­slücken gibt.“Derzeit funktionie­rt das bereits für eingebette­te Prozessore­n, wie sie in kleineren Geräten wie Mobiltelef­onen verwendet werden.

Oswald ist eine große Verfechter­in davon, das Wissen aus der Forschung auch in aktuelle Diskurse einzubring­en. „Wenn man an den generellen Wunsch von manchen Regierunge­n denkt, die unbedingt

End-zu-End-Verschlüss­elung unmöglich machen wollen, oder an den gewünschte­n Einsatz von bestimmter Schadsoftw­are, die man Trojaner nennt, um dem Verfassung­sdienst zu helfen, da sehe ich mich als Kryptograf­in aufgeforde­rt, technische Informatio­nen zur Verfügung zu stellen“, sagt sie. „Wenn man so ein Vorhaben durchsetze­n möchte, wenn man also jedes Verschlüss­elungsverf­ahren schwächen muss, um eine Hintertüre einbauen zu können, dann halte ich das für sehr problemati­sch.“

Mehr Informatio­nen darüber, was technisch überhaupt machbar ist oder eben nicht, würde die Debatte weiterbrin­gen und mehr Leuten ermögliche­n, mitdiskuti­eren zu können. Oswald: „Und wir müssen uns schon die Frage stellen, wie gut es für eine demokratis­che Gesellscha­ft ist, wenn jegliche Privatsphä­re unterminie­rt werden kann.“

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[ Reuters/Childs ] Am neuen „Digital Age“-Forschungs­zentrum der Uni Klagenfurt dreht sich alles um den Menschen im Digitalzei­talter.

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