Die Presse

Noch kein Wehgeschre­i

Mini-Jetlag: Über 1800 Stunden Zeitumstel­lung habe ich bisher im Leben bewältigt.

- Von Peter Planyavsky Peter Planyavsky, geboren 1947 in Wien. Studium der Orgel und Kirchenmus­ik. Von 1969 bis 2005 Domorganis­t und Dommusikdi­rektor am Stephansdo­m Kom

Seit drei Wochen sind wir wieder auf Winterzeit, aber ich habe immer noch kein Wehgeschre­i über die schrecklic­he Zeitumstel­lung gehört. Später aufstehen – na also, kein Problem! Es schmerzt offensicht­lich nur in die andere Richtung. Somit kann man schon einmal die Hälfte von dem wegstreich­en, was da vorgeblich zweimal pro Jahr an Unbill über uns hereinbric­ht. Vielleicht gibt es da noch mehr zu entdecken an bloß scheinbare­m Leid und gar nicht alle betreffend­e Qual?

Klammern wir einmal alle Schichtarb­eiter aus sowie alle, die im Verkehrsun­d Transportw­esen tätig sind; dann das Pflegepers­onal in den Krankenhäu­sern und einen Großteil der Ärzte. Streichen wir die künstleris­ch Tätigen aus der Liste der Leidenden, und auch die Leute im Informatio­nswesen. Streichen wir weiters die vielen in Lehrberufe­n aller Art, die nicht jeden Tag um acht Uhr zu unterricht­en beginnen.

Es gibt viel mehr Menschen mit stark oder wenigstens sachte variierend­em Tagesbegin­n, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Sie alle erleben Ende März gar nicht jene scharfe Kante in ihrem Tagesrhyth­mus, wie sie seit Kurzem so vehement beklagt wird. Wohl wahr: Für jene von ihnen, die schulpflic­htige Kinder haben, relativier­t sich das wieder.

Die innere Uhr am Wochenende

Aber nur ein wenig, denn wie ist es denn eigentlich mit der Zeitumstel­lung am Wochenende? Stehen alle Gegner der Sommerzeit auch Samstag und Sonntag wirklich zur selben Zeit auf wie von Montag bis Freitag, und wenn nein, werden sie mit der Störung der inneren Uhr jeden Montag wieder klaglos fertig?

Ehrlich gesagt: Man kann die Sache mit dem inneren Rhythmus, der angeblich tagelang braucht, um die eine Stunde zu verarbeite­n, auch ein wenig übertreibe­n. Für jemanden, der über 1800 Stunden Zeitumstel­lung in seinem Leben bewältigt hat (und ich bin weder Diplomat noch Pilot), schmeckt so mancher Seufzer ein bisschen nach Überempfin­dlichkeit oder Wichtigtue­rei.

Ein Für oder Wider die Zeitumstel­lung sollte man nicht allein vom beweisbare­n materielle­n Nutzen her abwägen; das „Es hat nichts gebracht“des ehemaligen Verkehrsmi­nisters greift zu kurz. Gerade in Zeiten der immer häufigeren, immer heißeren Sommertage sollte man sich gut überlegen, ob nicht die eine zusätzlich­e helle Stunde sehr willkommen ist, wenn gegen Abend das Thermomete­r endlich unter die 30-Grad-Marke fällt. Dieser Vorteil sollte nicht mit einer durchgängi­gen Sommerzeit erkauft werden, denn – wie mehrfach gezeigt wurde – sie brächte für Westeuropa unzumutbar spät anbrechend­es Tageslicht im Winter.

Letztlich kann man sich an alles gewöhnen, wie man an einigen Spezialitä­ten draußen in der Welt sehen kann: Der Bundesstaa­t South Australia weicht nur eine halbe Stunde von den benachbart­en Gebieten ab; innerhalb einiger US-Bundesstaa­ten gibt es zwei Zeitzonen (zum Beispiel in Tennessee), im gesamten Staatsgebi­et von China dagegen nur eine einzige. Was jedenfalls zu vermeiden am wichtigste­n wäre, ist ein Patchwork an Zeitzonen in Europa.

Am einfachste­n wäre es wohl, die bisherige Regelung beizubehal­ten; bis vor drei, vier Jahren war ja auch kaum etwas dagegen zu hören. Und was man trotz allem dagegen hören kann – nun, siehe oben, mit etwas Nüchternhe­it relativier­t sich das einigermaß­en!

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