Einen einzigen Tag haltbar
Kleines poetisches Feuerwerk: Ivna Zic’ˇ eindringlicher Debütroman „Die Nachkommende“.
Eine Frau im Zug von Paris nach Kroatien. Ein zurückgelassener Liebhaber. Ein toter Großvater. Beides ehemalige Maler. Beide reisen mit ihr – wenn auch nur in Gedanken. Stunde um Stunde vergeht auf dieser Fahrt, die schon so oft unternommen wurde, und die Ich-Erzählerin merkt an: „Bekannte zwölf Stunden, wo stapeln sie sich wohl, diese immer wieder neuen fast zwölf Stunden Fahrt, irgendwo in diesem gekrümmten Körper liegen und stapeln sie sich“.
Es ist Hochsommer, durchdrungen von Schweiß, schnarchenden Frauen und ab und an unterbrochen von einem Blick aus dem Fenster. Bilder ihrer Ahnen und Erinnerungen an die Kindheit tauchen auf und ziehen zügig wie die Landschaft an ihr vorbei. Beobachtungen und Erinnerungen wechseln einander ab: Jugendliche auf Skateboards, „ihre Körper sind ihnen zu groß“und der Gedanke an Slanac, das Brot ihrer Kindheit, das es nur in Zagreb gibt, weil es nur „einen einzigen himmlischen Tag haltbar“ist und somit die Fahrt niemals überstand, „so fehlte bei der Ankunft stets der Beweis für dieses beste Brot, es lässt sich nicht davontragen. Zagreb ist ein Slanac.“
Es ist eine betont bildhafte Sprache, der Ivna Zˇic sich bedient. Bild für Bild lagert sie an- und aufeinander, schichtet Sätze, schreibt sich zunehmend in Fahrt und entwickelt dabei einen Rhythmus, dem man sich kaum entziehen mag. Einer Dampflok ähnlich, die sich etwas schwerfällig in Bewegung setzt, dann aber läuft und immer wieder Rauchschwaden setzt, die hängen bleiben. Die Bilder der Vergangenheit ihrer Eltern, ihrer Großeltern und deren von Flucht geprägtes Schicksal, gehüllt in die Vorstellungen des Ungefähren, assoziativ und emotional, eine Welt der Wortschwaden hervorbringend, die einen nebulös umgibt. Verdichtet, geschichtet, in oft nicht enden wollenden Sätzen, die die Seiten durchziehen.
Worte ohne Entscheidungen
Übliche Lesarten werden für diesen Roman auf die Probe gestellt, neue dürfen ausprobiert werden. Denken in Schemen, Verstehen durch Annäherung. So kann man in den ironisch anmutenden Roman eintauchen, sich von den Sätzen verführen lassen, die zum Beispiel so klingen: „Er schickte nur diese Worte in den Raum, bis sie sich auflösten, ohne in eine Handlung übersetzt worden zu sein, er schickte noch viele weitere Worte in den Raum, es blieben Worte ohne Entscheidungen, die hart auf meinen Körper fielen, in Buchstaben, durcheinander, und sie hinterließen nichts als verlorene Gedanken“.
Die Autorin stellt in „Die Nachkommende“Fragen nach ihrer Herkunft, spürt ihrer Zweisprachigkeit nach und bietet dem Leser die Hand, um ihn auf diese Reise in die eigene, sehr persönliche Erinnerung mitzunehmen. Wer bereit ist, sich von alteingesessenen Lesegewohnheiten zu lösen und gewillt, sich auf eine fremde Lebenswelt einzulassen, sollte dieser Einladung unbedingt folgen. Es wartet eine in den Mantel der Schwermut gehüllte, nur lose verbundene Traumwelt.
Und wie lässt sich diese verstehen? Im besten Fall: Als in Poesie übersetzte Erinnerungsfluten. Als kleines poetisches Feuerwerk. Ein mögliches Rezept für die Lektüre liefert die Autorin nebenbei mit: „Und ich versuche, nicht mehr zu verstehen. Ich schaue mir die türkise Frau an und versuche einfach hinzuhören. Zuzuhören.“Es sind eindringliche Sätze und es ist Literatur, die nachhallt.