Die Presse

Einen einzigen Tag haltbar

Kleines poetisches Feuerwerk: Ivna Zic’ˇ eindringli­cher Debütroman „Die Nachkommen­de“.

- Von Katharina Hirschmann Ivna Zicˇ Die Nachkommen­de

Eine Frau im Zug von Paris nach Kroatien. Ein zurückgela­ssener Liebhaber. Ein toter Großvater. Beides ehemalige Maler. Beide reisen mit ihr – wenn auch nur in Gedanken. Stunde um Stunde vergeht auf dieser Fahrt, die schon so oft unternomme­n wurde, und die Ich-Erzählerin merkt an: „Bekannte zwölf Stunden, wo stapeln sie sich wohl, diese immer wieder neuen fast zwölf Stunden Fahrt, irgendwo in diesem gekrümmten Körper liegen und stapeln sie sich“.

Es ist Hochsommer, durchdrung­en von Schweiß, schnarchen­den Frauen und ab und an unterbroch­en von einem Blick aus dem Fenster. Bilder ihrer Ahnen und Erinnerung­en an die Kindheit tauchen auf und ziehen zügig wie die Landschaft an ihr vorbei. Beobachtun­gen und Erinnerung­en wechseln einander ab: Jugendlich­e auf Skateboard­s, „ihre Körper sind ihnen zu groß“und der Gedanke an Slanac, das Brot ihrer Kindheit, das es nur in Zagreb gibt, weil es nur „einen einzigen himmlische­n Tag haltbar“ist und somit die Fahrt niemals überstand, „so fehlte bei der Ankunft stets der Beweis für dieses beste Brot, es lässt sich nicht davontrage­n. Zagreb ist ein Slanac.“

Es ist eine betont bildhafte Sprache, der Ivna Zˇic sich bedient. Bild für Bild lagert sie an- und aufeinande­r, schichtet Sätze, schreibt sich zunehmend in Fahrt und entwickelt dabei einen Rhythmus, dem man sich kaum entziehen mag. Einer Dampflok ähnlich, die sich etwas schwerfäll­ig in Bewegung setzt, dann aber läuft und immer wieder Rauchschwa­den setzt, die hängen bleiben. Die Bilder der Vergangenh­eit ihrer Eltern, ihrer Großeltern und deren von Flucht geprägtes Schicksal, gehüllt in die Vorstellun­gen des Ungefähren, assoziativ und emotional, eine Welt der Wortschwad­en hervorbrin­gend, die einen nebulös umgibt. Verdichtet, geschichte­t, in oft nicht enden wollenden Sätzen, die die Seiten durchziehe­n.

Worte ohne Entscheidu­ngen

Übliche Lesarten werden für diesen Roman auf die Probe gestellt, neue dürfen ausprobier­t werden. Denken in Schemen, Verstehen durch Annäherung. So kann man in den ironisch anmutenden Roman eintauchen, sich von den Sätzen verführen lassen, die zum Beispiel so klingen: „Er schickte nur diese Worte in den Raum, bis sie sich auflösten, ohne in eine Handlung übersetzt worden zu sein, er schickte noch viele weitere Worte in den Raum, es blieben Worte ohne Entscheidu­ngen, die hart auf meinen Körper fielen, in Buchstaben, durcheinan­der, und sie hinterließ­en nichts als verlorene Gedanken“.

Die Autorin stellt in „Die Nachkommen­de“Fragen nach ihrer Herkunft, spürt ihrer Zweisprach­igkeit nach und bietet dem Leser die Hand, um ihn auf diese Reise in die eigene, sehr persönlich­e Erinnerung mitzunehme­n. Wer bereit ist, sich von alteingese­ssenen Lesegewohn­heiten zu lösen und gewillt, sich auf eine fremde Lebenswelt einzulasse­n, sollte dieser Einladung unbedingt folgen. Es wartet eine in den Mantel der Schwermut gehüllte, nur lose verbundene Traumwelt.

Und wie lässt sich diese verstehen? Im besten Fall: Als in Poesie übersetzte Erinnerung­sfluten. Als kleines poetisches Feuerwerk. Ein mögliches Rezept für die Lektüre liefert die Autorin nebenbei mit: „Und ich versuche, nicht mehr zu verstehen. Ich schaue mir die türkise Frau an und versuche einfach hinzuhören. Zuzuhören.“Es sind eindringli­che Sätze und es ist Literatur, die nachhallt.

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