Die Presse

Das freieste aller Länder

„Zum Verwerflic­hsten zählt, sich mit der Dummheit der Zeit, in der man lebt, gemein zu machen.“ Zur Verleihung des Staatsprei­ses für Literaturk­ritik.

- Von Katja Gasser

Sehr geehrte Damen und Herren, Drage dame, dragi gospodje! Ich nehme diese Auszeichnu­ng entgegen mit Demut, und ich empfinde sie als Auftrag: als Auftrag, mich dem mir anvertraut­en Gegenstand, der Literatur, weiterhin mit Respekt und, ja, Liebe zu nähern und mich für sie einzusetze­n. Und als Verpflicht­ung, meiner eigenen Verletzlic­hkeit treu zu bleiben – womit ich einen Gedanken von Marica Bodroziˇc´ zitiere.

Was genau will ich in diesem Rahmen sagen? Diese Frage trieb mich die letzten paar Tage, ja Wochen immer wieder um. Dass man eine Stimme hat, dass man diese Stimme erheben kann, war in meinem Fall ein langer Lernprozes­s. Und ich empfinde es als großes Privileg, zugleich große Verantwort­ung, inzwischen in der Situation zu sein, etwas für eine doch recht große Öffentlich­keit immer wieder sagen zu können. Man muss sich immer wieder aufs Neue fragen und klären, aus welcher Position man warum worüber wie mit welcher Absicht spricht: Ob sich alle, die sich in den letzten Wochen zu Peter Handke, dessen literarisc­hes Werk durchdrung­en ist von einem kompromiss­losen Humanismus, geäußert haben, dieser Frage mit aller nötigen Genauigkei­t und Redlichkei­t gestellt haben?

Zur verwerflic­hsten Absicht zählt, sich urteilend zu äußern, um die Zugriffe und Auflagen und Zuseherquo­ten steigern zu wollen. Zum Verwerflic­hsten zählt, sich urteilend zu äußern, um selbst im Gespräch zu bleiben im Wissen, dass man damit den Gegenstand, der zur Debatte steht, verrät, weil man ihn verkürzt und vereinfach­t. Zum Verwerflic­hsten zählt, sich mit der Dummheit der Zeit, in der man lebt, gemein zu machen. Zum Verwerflic­hsten zählt Häme. Und ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, ob mich mein Eindruck trügt, dass sich in dieser jüngsten Handke-Debatte auch die Verachtung gegenüber der Kunst im Allgemeine­n in enthemmter Art zu zeigen gibt – und wenn dem so wäre, was sagte das über unseren Zustand?

Ich glaube an die Kraft der Genauigkei­t und an die Kraft der Großherzig­keit. Ich glaube an die Kraft des Zweifels, die Kraft des Fragens, die Kraft der Scham, die Kraft der Bescheiden­heit, die Kraft der Barmherzig­keit, ich glaube an die unbedingte Notwendigk­eit von Solidaritä­t und Mitgefühl.

Wer möchte aus freien Stücken in einer Gesellscha­ft leben, in der jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist? Privilegie­n zu haben verpflicht­et. Wer gegen Schwächere ausholt, wer auf Armut vom hohen Ross herunterbl­ickt und/oder die Ausgesetzt­esten gegeneinan­der aufhetzt, tritt unsere zivilisato­rischen Errungensc­haften mit Füßen und arbeitet an der Zerstörung des Friedens. Von welchem Menschenbi­ld gehen jene aus, die meinen, dass ohnehin Wohlhabend­e nur mit mehr ökonomisch­er Wertschätz­ung zu mehr Leistung zu bringen sind, und jene die ohnehin bescheiden leben nur da mit diesem Leben nicht versöhnt, aber was sie mit Sicherheit sagen könne und wisse, sei, dass das Leben des Menschen trotz allem zu schützen ist gegen alles und stets; das Leben des Menschen: Es sei heilig.

Wir kommen alle von irgendwohe­r, ich zum Beispiel aus Ludmannsdo­rf, auf Slowenisch Bilcovs. Die Herkunft: Sie berechtigt uns zu nichts, schon gar nicht zu Stolz, sie sagt nichts über uns aus, wir teilen sie zum Beispiel mit Hunden, Katzen und Koalas. Aber die Herkunft: Sie prägt uns naturgemäß. Ich etwa bin Kind von Eltern, die den Zweiten Weltkrieg erleben mussten. Ich bin, im Gegensatz zu meinen Eltern, in besonders privilegie­rten Verhältnis­sen aufgewachs­en. Die Geschichte meiner Mutter, die als Zwölfjähri­ge gemeinsam mit ihrer Familie, weil sie Kärntner Slowenen waren, deportiert wurde, sitzt tief in meinen Knochen. Dass die Welt ein unwirtlich­er Ort ist: Das habe ich früh begriffen. Vor allem habe ich früh verstanden, dass nichts bleiben muss, dass der Boden, auf dem wir uns bewegen, dass humanistis­che Errungensc­haften schneller rückgängig gemacht werden können, als man glaubt.

Meine Mutter hat in der Volksschul­e Bilder malen müssen mit Hakenkreuz­fahnen, die ihr Dorf Ludmannsdo­rf/Bilcovs schmücken sollten, und ahnte nicht, dass die mit diesen Hakenkreuz­en einhergehe­nde menschenve­rnichtende Ideologie ihre Kindheit und Jugend zerstören würde. Mein persönlich­es Rezept lautet, schreibt Aslı Erdogan,˘ jedes Leben mit einem Gefühl fürs Schicksal zu betrachten. Meine Mutter hat ihr Schicksal in die Aufgabe übersetzt, offen zu sein für den Schmerz anderer. Darin war sie mir immer ein strahlende­s Vorbild. Sie hat sich redlich bemüht, das an ihr begangene Unrecht an anderen wiedergutz­umachen. „Die Narben, die wir davontrage­n, sind unsere eigentlich­en Herzen. Unser Leben bündelt sich in ihnen“, schreibt Marica Bodroziˇc.´

In der Literatur, die den Namen verdient, ist alles geborgen, was wir sind, unsere Schönheit wie unsere Grausamkei­t, unser Schmerz wie unsere Freude, unsere Träume wie unsere Alpträume, unsere Angst wie unser Mut und unsere Feigheit. Alles, was wir zu sein wünschen, was wir nicht sind, was wir niemals sein werden, was zu erreichen uns nie gelingen wird, und noch viel mehr als das. Peter Handke schreibt in „Nachmittag eines Schriftste­llers“: „In seinem Jugendtrau­m war dem Schriftste­ller die Literatur das freieste aller Länder gewesen und der Gedanke an dieses der einzige Ausweg aus den täglichen Gemeinheit­en und Unterwerfu­ngen hin zu einer stolzen Ebenbürtig­keit.“

Literatur, die den Namen verdient, will nicht recht haben, sie will es nicht besser wissen, sie steht in niemandes Dienst, sie zielt auf etwas Offenes hin und arbeitet damit daran, dass der Respekt vor der Würde des Menschen uns Menschen nicht abhanden komme. Literatur, die den Namen verdient: Sie zielt auf eine Zartheit, die im Alltäglich­en so selten anzutreffe­n ist. Die Welt ist voll von UNSANFT, heißt es einmal bei Friederike Mayröcker.

Ich möchte kein „betriebsbl­inder Büttel“werden, liebe Kolleginne­n, liebe Freunde, ich möchte mich darum bemühen, niemals „Machtwille­n anstelle der Unterschei­dungskraft“zu setzen, wovon Peter Handke in dem bereits erwähnten Text spricht. Peter Nadas schreibt: Damit es nicht geschehe – und er meint die Wiederholu­ng unserer schreckens­vollen Geschichte –, „damit es nicht geschehe, müsste sich jeder jeden Tag selbst aus dem Urschleim der eigenen Dumpfheit herausarbe­iten “

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[ Foto: Geilert/Caro/Picturedes­k] Literatur, die den Namen verdient, will nicht Recht haben, sie will es nicht besser wissen, sie steht in niemandes Dienst.
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