Träumen von einem Motorrad
Der bekannte Fernseh- und Kinoregisseur Peter Keglevic legt nach dem Schelmenroman „Ich war Hitlers Trauzeuge“einen neuen Roman vor. „Wolfsegg“spielt in einem fiktiven heimischen Alpental in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Das 16-jährige Mädchen Agnes aus einer Kleinhäuslerfamilie beginnt eine Lehre in einem Raiffeisen-Lagerhaus. Lieber würde sie Autos und Motorräder reparieren, aber sie fügt sich, denn sie hat Rücksichten zu nehmen.
Obwohl jung an Jahren, muss sie die Familie erhalten. Ihre beiden Geschwister sind noch im Volksschulalter, die Mutter kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen eine Krebserkrankung. Der geliebte Vater, der in einem Nachbartal arbeitete, ist nach dem Konkurs seines Arbeitgebers ohne Einkommen. Im Dorf gilt er gilt als unzugänglich und querulantisch. Immer wieder verschwindet er für längere Zeit, bringt aber gewilderte Rehe und Gämsen nach Hause. Agnes wird von ihm nicht nur in das Waidwerk und das fachmännische Aufbrechen von Wild eingewiesen, er unterrichtet sie auch in der Handhabung seiner Jagdflinten. Jugendamt und Fürsorge drohen regelmäßig, die Kinder in ein Heim zu bringen.
So führt Agnes neben ihrer Lehre den Haushalt, kocht und kümmert sich um die Geschwister, pflegt die Mutter und versorgt die wenigen Tiere im Stall. Muss die Mutter zur Chemotherapie in die Stadt, wird sie von ihr begleitet. Das Mädchen leistet schier Übermenschliches, es gibt aber auch die andere, neugierige, lebenshungrige Agnes, die von einem Leben träumt, das andere Jugendliche ganz selbstverständlich führen. Sie liest gern und verfolgt die neuesten Hits der Popmusik. Nach wie vor gilt ihre Leidenschaft den Motoren – und einem Gleichaltrigen, der mit einer Puch M 50 Racer durchs Tal braust. Der Höhepunkt des Glücks ist erreicht, wenn sie mitfahren darf. Bald aber erkaltet ihre scheue Verliebtheit, als sie mit ansehen muss, wie er eine Freundin aus vermögendem Haus erwählt.
Das prekäre, aber geordnete Leben kippt, als der Filialleiter versucht, Agnes zu vergewaltigen. Er rächt sich an der Widerborstigen, indem er sie des Diebstahls und der Mannstollheit bezichtigt. Im Dorf gilt Agnes von nun an als Aussätzige. Ihre einzige Rettung wäre die Flucht, aber wer soll sich um die Kleinen und die kranke Mutter len, die Wohnung wird verwüstet, das Vieh verjagt. Die Mutter überlebt den Überfall nicht. Die dörfliche Todesschwadron jagt den Vater in die Berge, er stürzt in einer Schlucht zu Tode. Agnes weiß: Bleibt sie im Haus, werden die Geschwister – und wahrscheinlich auch sie – in ein Heim gesteckt. Sie hat Kunde von Missbrauchsstrukturen in Jugendheimen und beschließt, die Geschwister vor diesem Schicksal zu bewahren. Sie flüchtet mit den Kleinen in eine Gebirgshütte. Sie sei nirgendwo verzeichnet, man könne dort Monate verbringen, ohne entdeckt zu werden, hat ihr der Vater eingeschärft. Der beklemmende Schluss soll nicht verraten werden. Nur so viel: Er folgt getreulich der Thriller-Dramaturgie.
Die drehbuchtaugliche Geschichte wird von einem auktorialen Erzähler vorgetragen, der wie eine Filmkamera die Schauplätze wechselt. Oft gelingen dem Autor eindringliche, ruhige Erzählpassagen. Der Plot ist tragfähig und belastbar und hält die Spannung bis zum Schluss.
Manchmal scheint aber es, als sei das Vertrauen des 1950 in Salzburg geborenen Autors in seine Geschichte brüchig, weshalb er zu überdehnten Sätzen und Bildern greift. „Da steht einer in der Mitte eines Labyrinths und findet nicht mehr hinaus. Daraufhin überkommt ihn ein tiefer Lebensüberdruss“, heißt es an einer Stelle. An einer anderen „ist der Hals eines toten Mädchens so dünn wie der Stamm eines Haselstrauchs“. Dass Burschen sich „nicht mehr einkriegen vor Lachen“und jemand „sein Ding durchzieht“, wundert da nicht. In der Presseunterlage spricht der Autor unfreiwillig komisch von einer „nicht endenden Reihe von Missbrauchsfällen die in den letzten