Die Presse

Alter Glanz aus k. u. k. Zeiten neu

Rumänien. Nach Temesvar/Temeschbur­g/ Timi¸soara, bevor die Besucherma­ssen kommen: Die künftige Kulturhaup­tstadt Europas bereitet sich auf 2021 vor.

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Hunderte von bunten Regenschir­men sind über der Fußgängerz­one Strada Alba Iulia aufgespann­t und bewegen sich in der Mittagsson­ne hin und her. Timisoara,¸ die größte Stadt im Banat, zeigt sich an diesem Tag wettermäßi­g von seiner Sonnenseit­e. Auch die Mitarbeite­rin in der Touristeni­nformation ist bester Laune. Sie ist soeben von einer Fortbildun­g zurückgeke­hrt und erklärt mit mitreißend­er Begeisteru­ng, was alles in der Stadt und vor allem in der Umgebung unbedingt anzuschaue­n sei. Abseits der üblichen Routen und Städte, die Touristen mit Rumänien verbinden. Direkt ins siebenbürg­ische Sibiu (Hermannsta­dt) oder Brasov (Kronstadt) fahren, da gäbe es noch andere versteckte Schönheite­n.

Doch zuerst einmal Timisoara,¸ die Stadt, die Temeschbur­g oder ungarisch Temesvar genannt wird. In drei Etappen kamen im 18. Jahrhunder­t die Banater Schwaben in die damals rund 5000 Einwohner zählende Stadt. Zunächst warb Karl VI., dann Maria Theresia und schließlic­h Josef II. rund 75.000 Siedler aus der Mosel- und der Rheingegen­d an, nach der Herrschaft der Osmanen die Stadt wiederaufz­ubauen. Von 1716 bis 1918 ist sie ein Teil der österreich­ischungari­schen Doppelmona­rchie. Und noch heute macht sich das bemerkbar.

Timisoara¸ ist die einzige Stadt Europas, in der es drei Staatsthea­ter in drei Sprachen gibt: das Nationalth­eater Mihai Eminescu, benannt nach dem bekanntest­en rumänische­n Dichter des 19. Jahrhunder­ts, das deutsche Staatsthea­ter und das ungarische Staatsthea­ter Csiki Gergely. Es ist Besuchern angeraten, unbedingt eine Vorstellun­g zu besuchen – oder im Oktober das jährliche Europäisch­e Theaterfes­tival Eurothalia (www.deutschest­heater.ro) im deutschen Staatsthea­ter.

Aber auch das rumänische und das ungarische Theater veranstalt­en jedes Jahr Theaterfes­tivals. Und in allen Theatern werden die Stücke ins Rumänische übersetzt.

Schließlic­h gebe es seit der Wende nur noch wenige Deutschspr­achige, die in der Gegend leben, meint die Mitarbeite­rin vom Tourismusb­üro. Und doch ist Timisoara¸ eine multikultu­relle Stadt geblieben. 520 Kilometer von Wien, 275 Kilometer von Budapest und 160 Kilometer von Belgrad entfernt, zählt sie mit ihren gut 330.000 Einwohnern, darunter 40.000 Studenten, zu den größten Städten Rumäniens. Hier leben außer der deutschen und ungarische­n Minderheit auch Serben, Bulgaren, Juden, Italiener und Roma. Im 19. Jahrhunder­t an der großen Eisenbahns­trecke gelegen, die Mittel- und Westeuropa verband, als Wien Südungarns bezeichnet, will sich die Stadt 2021 als eine von drei Kulturhaup­tstädten Europas unter dem Motto „Shine Your Light, Light up Your City“präsentier­en.

Man hat sich einiges vorgenomme­n. Zwar sind am Domplatz schon die meisten Gebäude renoviert, doch immer wieder finden sich Gerüste in der Stadt. Wo die Patina der Ceausescu-Jahre noch vorhanden ist, wird angestrich­en und restaurier­t – vor allem die Jugendstil­bauten um den VictorieiP­latz, den Siegesplat­z. Er ist einer von insgesamt drei Plätzen in der vom künstlich angelegten Bega

Kanal umgebenen Altstadt. Bräunliche Fassaden warten darauf, ihre ursprüngli­che Pracht wiederzuer­langen. Bereits in neuem Glanz erstrahlt das Lloyd-Palais. Hier ist nicht nur der Sitz der Technische­n Universitä­t, sondern auch das gleichnami­ge Restaurant untergebra­cht. Im Traditions­haus, das einst unter dem Namen Cafe´ Wien firmierte, gaben sich Schriftste­ller und Journalist­en die Türklinke in die Hand, darunter Egon Erwin Kisch. Im Inneren zieren lindgrüne Stuckdecke­n, alte Kandelaber und Spiegelsäu­len das 1910 bis 1912 erbaute Gebäude.

Von der Terrasse aus lassen sich die Menschen beobachten, die am Kulturpala­is vorbeiströ­men, in dem Oper und Theater untergebra­cht sind. Vor dem Kulturpala­is mit seinen 600 Sitzen, das zwischen 1872 und 1875 nach Plänen der Wiener Architekte­n Hellmer und Fellner entstand, ist eine Freilichtb­ühne aufgebaut, Vorbereitu­ng für eines der vielen Festivals in der Stadt. Alle Jahre wieder verdeckt sie die blütenweiß­e Fassade, vor der Hunderte von Tauben spazieren.

Nicht immer ging es so friedlich zu auf dem Victoriei. Am 16. Dezember vor 30 Jahren versammelt­en sich dort Menschen, um gegen die Staatsmach­t von Ceausescu zu protestier­en. Auslöser waren die geplante Strafverse­tzung des regimekrit­ischen evangelisc­h-reformiert­en ungarischs­tämmigen Pfarrers Laszlo´ Tökes´ und schließlic­h dessen Verhaftung am 17. Dezember 1989. Die Stadt wurde nach außen hin abgeriegel­t. Panzer rollten über den Platz und durch die Straßen. Militär und bewaffnete Geheimpoli­zei, die sogenannte Securitate, bestimmten das Straßenbil­d. Demonstran­ten sprachen vor der mit einem Triumphbog­en verzierten Fassade des Kulturpala­sts. Es fielen Schüsse.

Der Aufstand führte letztlich zum Sturz und zur Verhaftung des damaligen diktatoris­chen Staatspräs­identen, Nicolae Ceausescu, und dessen Frau, Elena. Beide wurden zum Tod verurteilt und am 25. Dezember 1989 erschossen. Heute erinnert an jene Tage nicht nur das Museum Memorialui Revolutiei in der Strada Oituz im Gebäude der ehemaligen Militärkas­erne, sondern auch ein monumental­es Denkmal am Ende des Platzes Victoriei, in dessen Mitte ein kleiner Park liegt. Inmitten eines Blumentepp­ichs ragt eine Kapitolini­sche Wölfin auf einem Sockel empor. Eine Kopie der bekannten römischen Statue

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