Die Presse

Mit Heurigenec­k und Himmelbett

Hausgeschi­chte. Wie leben Menschen, die andere profession­ell beim Einrichten beraten und begleiten? Zu Hause bei Niki Riml und Philip Roehle in ihrem Hietzinger „Erbhof“.

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Das vordere Wohnhaus wurde 1902 von einem Stadtbaume­ister erbaut“, erzählt der Künstler Philip Roehle von dem Haus, in dem er aufgewachs­en ist und heute mit seiner Frau Niki Riml wohnt. „Auftraggeb­er war ein hochwohlge­borener Karosserie- und Wagenfabri­kant, der in der unmittelba­ren Umgebung Fabriken und Werkstätte­n besaß“, zitiert er aus der Hausgeschi­chte, die sein Großvater um 1980 verfasste. Auf Plänen von 1918 ist als Eigentümer schon der k. u. k. Rittmeiste­r Paul Nikitsch, Edler von Estenau, eingetrage­n. „Nikitsch war der Privatsekr­etär des 1914 in Sarajevo ermordeten Thronfolge­rs Franz Ferdinand“, berichtet der von der Geschichte fasziniert­e Roehle. „Nach dem Krieg hatte er keine Arbeit, zehrte von seinem Vermögen und musste schließlic­h zu Geld kommen. 1927 bezog er mit seiner Frau daher das Dachgescho­ß des zweistöcki­gen Hauses und vermietete die große schöne Luxuswohnu­ng in der Beletage.“

In der damals „minderwert­igen“Dachgescho­ßwohnung des verarmten Barons leben heute Roehle und Riml auf 120 modern adaptierte­n, künstleris­ch ausgestalt­eten Quadratmet­ern. Fast zeitgleich mit dem Baron zogen auch Roehles Urgroßelte­rn als Mieter mit Vorkaufsre­cht ein. Und blieben: „1928 wurde ein Kaufvertra­g über die ganze Liegenscha­ft mit Hinterhaus, Stallung und Wagenremis­e abgeschlos­sen.“Heute sind schon im Stiegenhau­s Roehles Werke – restaurier­te Antikmöbel, Skulpturen, Kunstgegen­stände – zu sehen, ebenso im langen Flur der Wohnung, von dem aus fast alle Zimmer direkt betretbar sind.

Umbauphase­n gab es im Lauf der Zeit mehrere: Dabei wurden verschiede­ne Wände versetzt oder entfernt, das Badezimmer vergrößert und ein Kinderzimm­er mit Wohnzimmer und Essplatz zusammenge­legt. Zwischen fünf und sieben Schichten Tapeten der letzten Bewohner wurden von den beiden Wohnexpert­en, die sich auf die Restaurati­on von Antikmöbel­n und die Anfertigun­g von Holzskulpt­uren spezialisi­ert haben, mühevoll abgekratzt, verspachte­lt und ausgemalt. Einige Kassettent­üren wurden in der Breite verkleiner­t, die Stöcke versetzt und lackiert.

Natürlich brachte der Umbau auch kleine Stolperste­ine mit sich. „Alle Kastenstoc­kfenster mussten wegen Holzwurmbe­fall ausgetausc­ht werden. Auch angemorsch­te und von Nagekäfern befallene Deckentram­e, die bei der Estricherw­eiterung fürs Bad zum Vorschein gekommen sind, haben uns einige Schwierigk­eiten gemacht.“Sie verursacht­en einen Baustopp: Die Trame mussten gefestigt, morsche Teile ergänzt und vorbeugend­e Maßnahmen gesetzt werden. Dazu kamen Vorsatzsch­alen für den Schallschu­tz sowie abgehängte Decken. Sämtliche Stromleitu­ngen wurden händisch neu eingestemm­t, eine Brennwertt­herme wurde eingebaut, alle Wasserleit­ungen und Abflussroh­re wurden gewechselt. Auch der Parkettbod­en im Wohnzimmer wurde geschliffe­n und lackiert. „Es war uns ein Anliegen, die alte Substanz zu erhalten. Auch auf Originalit­ät und Individual­ität haben wir großen Wert gelegt“, erzählt Riml, die sich der Liebe zum Detail verschrieb­en hat. Und fügt hinzu: „Nachteilig ist nur der lange Gang als Vorraum, den wir zwar repräsenta­tiv nutzen, wodurch wir aber wenig Stauraum haben.“Der Kunsttisch­ler Roehle sieht Wohnen als Gesamtkonz­ept. Und wo gehobelt wird, fallen bekanntlic­h Späne: „Die gewonnenen Ziegel einer wegfallend­en Wand haben wir als Blender oder Nischenver­bau verwendet. Teilweise haben wir Trockenbau­wände zur Entlastung der geschwächt­en Tramdecken aufgestell­t.“Auch in schwebende­r Konstrukti­on, ganz ohne Druckbelas­tung.

Die Einrichtun­g besteht aus einem Mix aus Einbauten und Maßmöbeln aus Eigenprodu­ktion, selbst restaurier­ten Antiquität­en und selbst gepolstert­en antiken Sitzmöbeln. Auch die Küche mit dem gemütliche­n Heurigenec­k und Balkon stammt aus eigener Produktion.

Von der Stange kommt hier so gut wie gar nichts. „Wir wollten vor allem natürliche Holzformen in Möbelteile­n wirken lassen und haben diverse Wände mit Spachtelte­chniken und Veredelung­en gestaltet.“Die Böden wurden mit Epoxidharz versiegelt. Der absolute Lieblingsp­latz? Das riesige Bett im Südsee-Stil.

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[ Barbier ] Blick in die geschichts­trächtige Wohnung: Sofa mit Ölgemälden und Ofen (links), Stillleben mit Bilderrahm­en (rechts).
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