Doskozil über linke Eliten und die SPÖ
Interview. Das Problem der SPÖ sei nicht die Parteichefin, sondern ihr Gesamtzustand, sagt Hans Peter Doskozil. Regieren wäre falsch, eine Neugründung auch: Es gehe um die Positionen.
Der burgenländische Landeshauptmann im ExklusivInterview.
Die Presse: Wie geht es Ihnen nach der Operation?
Hans Peter Doskozil: Es ist natürlich nicht lustig für einen Politiker, wenn er mit der Stimme Probleme hat. Es ist aber zumindest so – und damit möchte ich den Gerüchten vorbeugen –, dass es kein Krebs ist und nicht lebensbedrohend. Ich habe ein Problem mit den Stellknorpeln im Kehlkopf. Um das mittelfristig zu sanieren, werde ich mich im ersten Halbjahr 2020 einer dritten Operation unterziehen. Wie lässt sich diese Beeinträchtigung mit dem Wahlkampf vereinbaren, der Ihnen bevorsteht?
Es wird ständig besser, ich mache Stimmtraining. Man muss nicht immer am längsten reden. Wichtig ist, was man sagt. Und ich glaube zumindest, dass die Wähler das akzeptieren werden. Dass der politische Gegner das möglicherweise anders sieht, anders interpretiert, ausnützt, ist seine Entscheidung. Die SPÖ ist im Burgenland heuer zweimal Zweiter hinter der ÖVP geworden, bei der EU-Wahl und zuletzt bei der Nationalratswahl. Das gab es seit Jahrzehnten nicht mehr. Wie ist das zu erklären?
Dieses Phänomen lässt sich überall beobachten. In manchen Gemeinden haben wir bei Gemeinderatswahlen nichts zu melden – und bei Landtagswahlen die Mehrheit. Der Wähler differenziert ganz genau. Und auf Bundesebene haben wir ihm offensichtlich ein schlechtes Angebot gemacht. Das muss man nicht beschönigen. Kann man sagen, dass Sie bei der Landtagswahl am 26. Jänner einen Gegner haben, der persönlich gar nicht zur Wahl antritt: nämlich Sebastian Kurz?
Ich glaube nicht, dass Kurz im Burgenland zur Wahl steht. Die Burgenländer wissen, worum es geht. Wollen Sie die Koalition mit der FPÖ fortsetzen?
Zuerst müssen wir den Auftrag bekommen, den wir im Bund nicht haben. Koalitionspartner kann nur der sein, der Handschlagqualität hat und mit dem wir uns inhaltlich einig werden. Das gilt für alle. Gibt es eine Partei im Burgenland, die keine Handschlagqualität hat?
Ich habe schon viel erlebt, auch als Mitarbeiter im Land, lang bevor ich Minister wurde. Die Handschlagqualität einzelner ÖVP-Persönlichkeiten war historisch nicht so, wie sie es derzeit in der FPÖ ist. Also eine Präferenz für die FPÖ?
Es gibt eine Präferenz für die Partei, die die genannten Parameter am besten erfüllt. Vor den Burgenländern wählen die Steirer: am 24. November. Was würde der Verlust des ersten Platzes für die SPÖ bedeuten?
Das ist ein Landesergebnis, es würde an der Gesamtsituation der SPÖ nichts ändern. Die ist eh schon nicht rosig. Und personell, an der Spitze der Bundespartei?
Ich glaube nicht, dass es derzeit eine diesbezügliche Dynamik gibt. Sie haben vor der Nationalratswahl gesagt, dass die Ergebnisse unter Faymann und Kern schon ein historischer Tiefpunkt für die SPÖ gewesen seien. Man hat gesehen, dass es noch tiefer geht: 21 Prozent. Hat die SPÖ die richtigen Schlüsse daraus gezogen?
Wir haben die Schlüsse aus diesem Ergebnis noch nicht final gezogen. Das, was da passiert ist, kann man nicht so schnell verdauen. Wir müssen das aufarbeiten, aber wir brauchen keine Neugründung (wie Max Lercher vorgeschlagen hat, Anm.). Das ist ein Blödsinn. Was dann?
Die Frage ist: Wie positionieren wir uns? Die Menschen sollten sich auf uns verlassen können. Aber man kann den Schalter nicht einfach umlegen und sagen: Okay, wir sind für niedrige Mieten, für steuerfreie Einkommen bis zu einer gewissen Grenze – und dafür wollen wir das
Vertrauen. Die Forderungen müssen auch umgesetzt werden. Hat die SPÖ, als sie noch Teil der Bundesregierung war – und das war sie ja sehr lang –, zu wenige ihrer Forderungen umgesetzt?
Bitte, wir hätten doch jahrelang die Chance gehabt, mit einem gewissen Druck, mit Fantasie, einen Mindestlohn von 1700 Euro netto umzusetzen. Die SPÖ war lang genug in der Regierung. Was ist passiert? Stattdessen kam eine Arbeitszeitflexibilisierung.
Mit Faymanns Ablöse wurde die Büchse der Pandora geöffnet. Für mich war das beschämend.
Hans Peter Doskozil
Das führt zur Frage, die gerade debattiert wird: Welche Bevölkerungsgruppen soll die SPÖ heute vertreten?
Wir brauchen kein Elitendenken, wir sollten mit Hausverstand die notwendigen Dinge für die Bevölkerung regeln. Der Mensch möchte von seinem Lohn leben können. Dafür reichen 1200 Euro im Monat heute nicht mehr aus. Der Mensch will versorgt sein. Wo ist der Pflegeplan? Im Burgenland stellen wir pflegende Angehörige beim Land an. Wir sagen: Pflege darf nicht gewinnorientiert sein. Die Wirtschaftskammer sagt, das sei Verstaatlichung. Aber es kann ja nicht sein, dass die Wirtschaft mit sozialen Problemen Gewinn machen möchte. Hier muss die Sozialdemokratie einschreiten. Tut die SPÖ nicht genug?
Die Bundespartei will, dass Löhne bis 1700 Euro steuerfrei sind. Das ist nicht die richtige Antwort. Was sage ich einer Reinigungskraft, die 1250 Euro brutto verdient? Was bringt ihr das? Wir müssen darüber diskutieren, was Arbeit wert ist. Und die Wirtschaft braucht mir mit dem Blödsinn gar nicht zu kommen, dass sich das nicht ausgeht. Das geht sich locker aus. Wie reagieren die Unternehmen, wenn Sie so argumentieren?
Ich verstehe ja, dass Unternehmer ihren Gewinn maximieren wollen. Aber es kann nicht sein, dass die öffentliche Hand immer die besten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen muss – und die Menschen, die dazu beitragen, dass Gewinne erwirtschaftet werden, in Summe sicher genauso wie die Unternehmer, von ihrem Gehalt dann nicht leben können. Diese Diskussion müssen wir als SPÖ führen. Aber wir führen sie nicht. Wie geht es Ihnen mit den Zukunftslabors der SPÖ?
Das wird sicher nicht das Modewort 2019. Wir müssen uns zusammensetzen und überlegen, welche Politik wir machen wollen. Ob das dann Fokusgruppe, Zukunftslabor oder anders heißt, ist doch egal. Glauben Sie, dass Reformen in Ihrem Sinne möglich sind?
Ich denke, dass wir sie ganz dringend brauchen. Ihre Vorstellung von Migrationspolitik ist intern stark umstritten.
Wir sollten uns hier an der Bevölkerung orientieren. Vor allem, wenn sich jetzt Türkis-Grün ergibt. Denn das schaue ich mir an, wie die ÖVP diesen Brückenschlag zu den Grünen schafft. Wir dürfen nur nicht die Rolle der SPD kopieren, die plötzlich nicht mehr gewusst hat, wie sie mit Angela Merkel umgehen soll – eigentlich eine Konservative, in der Migrationsfrage aber die SPD links überholend. Ihre Kritiker meinen, dass eine restriktive Migrationspolitik urbane Wähler, Künstler und Intellektuelle vertreibe, die man für einen Wahlsieg aber genauso brauche wie die Arbeiterschaft.
Ob linke Eliten gut finden, was wir machen, ist mir wurscht. Die Politik der SPÖ kann sicherheits- und migrationspolitisch nur mittig sein, also konsequent organisiert. Und sozialpolitisch links-humanistisch. Und jeder, der sich davon angesprochen fühlt, ist willkommen.
Ist Pamela Rendi-Wagner noch die Richtige an der Parteispitze?
Das Problem der SPÖ ist nicht die Parteivorsitzende. Sondern ihr Gesamtzustand. Mit Werner Faymanns Ablöse (2016, Anm.) haben wir begonnen, uns in die falsche Richtung zu entwickeln. Da wurde die Büchse der Pandora geöffnet. Die Pfiffe auf dem Rathausplatz?
Ja – und wie man ihn aus dem Parteivorstand verabschiedet hat. Das war für mich beschämend. Gibt es für die SPÖ noch eine Chance, Teil der nächsten Bundesregierung zu werden?
Ich glaube nicht, dass es für die SPÖ gut wäre, in eine Regierung einzutreten. Wir sollten diese Periode zum Nachdenken nützen.