Die Presse

Für Zinsen auf die Straße?

Geld. Erste-GroupChef Andreas Treichl über die Gefahren der Nullzinspo­litik und die berechtigt­en Sorgen vor einer Abschaffun­g des Bargelds.

- VON RAINER NOWAK UND JAKOB ZIRM

Erste-Group-Chef Andreas Treichl über Nullzinsen und Bargeld.

Die Presse: Nach 22 Jahren an der Spitze der Erste Group geben Sie Ende des Jahres die operative Führung ab. Andreas Treichl im Ruhestand? Das ist schwer vorstellba­r. Andreas Treichl: Ich stelle mich schon jetzt auf die größere Ruhe ein. Aber ich werde nicht arbeitsfre­i sein, da ich mich um die Erste Stiftung kümmern werde. Überwiegt bei Ihnen nun die Freude oder die Wehmut?

Wehmut habe ich eigentlich gar keine. Denn ich freue mich schon, mich im Rahmen der Stiftung verstärkt um das Thema Finanzbild­ung und um jene Menschen zu kümmern, um die sich die Bank nicht profitabel kümmern kann. An das neue Management gab es nur eine Vorgabe: Sie müssen die Erste Group so positionie­ren, dass wir uns in einigen Jahren nicht mehr als Bank bezeichnen, sondern als Financial Health Group.

Was heißt das?

Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen und Betriebe ein gesundes Finanzlebe­n führen können. Denn finanziell­e Gesundheit ist nach physischer Gesundheit das Zweitwicht­igste. Wir werden dadurch auch anders ausgebilde­te Mitarbeite­r haben als jetzt. Denn es ist etwas anderes, Bankproduk­te zu verkaufen, als zu sagen: Du kümmerst dich um das Zweitwicht­igste im Leben. Das ist die Chance, wie wir einen Wert erzeugen können, den Fintechs, Amazon oder Google sicherlich nie werden liefern können. Ein Blick zurück: Damals bei der Finanzkris­e, wie knapp ist man am Abgrund gestanden?

Es war eigentlich gar nicht so dramatisch, wie es rübergekom­men ist. Wir hatten 2009 ein sehr gutes Ergebnis. Zwischen Frühjahr 2008 und Anfang 2009 wurde wegen der Verunsiche­rung halt der gesamte Marktwert, den wir in den zwölf Jahren zuvor aufgebaut hatten, ausradiert. Das hat zwar nur zwei Monate gedauert, war aber ein extremer Schock. Wenn wir gewusst hätten, dass das nur so kurz dauert, hätten wir uns das Partizipat­ionskapita­l sparen können. Wie schlimm war es, Hilfe vom Staat annehmen zu müssen?

Ich habe zwei andere Angebote für privates Kapital gehabt. Insofern hätte ich auch darauf verzichten können. Die Politik hat damals aber darauf bestanden. Denn es gab auch Banken, denen es wesentlich schlechter ging und die kein privates Kapital erhalten hätten. Und das Argument war, wenn wir es nicht nehmen, dann nehmen es die anderen auch nicht. Wie war die Stimmung damals – auch rund um das Thema Hypo?

Da war die Stimmung sehr düster. Der Unterschie­d war ja auch, dass wir zuerst noch mit der Regierung Gusenbauer/Molterer verhandelt haben. Da hatte man den Eindruck, die Beteiligte­n verstehen die Thematik. Das hat sich mit der nächsten Regierung anfangs dann drastisch geändert. Das war eine Zeit lang wirklich beklemmend. War für Sie ersichtlic­h, dass die Hypo so ein Problem wird?

Ich hätte es anders gelöst. Man hätte die Bayern nicht aus der Verantwort­ung lassen dürfen. Das war ein absehbarer Bluff von ihnen. Die Krise ist nun zehn Jahre her. Wurde aus den Fehlern gelernt?

Ich glaube, es gibt eine massive Verschiebu­ng aus der regulierte­n Finanzwelt in die unregulier­te Finanzwelt. Da braut sich etwas zusammen, was die nächste Krise hervorrufe­n wird. Bei der regulierte­n Finanzwelt in Europa würde es mich extrem wundern, wenn da in den nächsten 20 Jahren ein Problem entstünde. Natürlich gibt es Firmen, die bei normalen Zinsen nicht überlebens­fähig wären. Entscheide­nder ist die Frage, wie dann die Staatsfina­nzen aussehen würden, denn die niedrigen Zinsen wurden nicht genützt. Werden wir auf absehbare Zeit wieder einen realen Zins sehen?

Nein, ich kann mir keine Entwicklun­g vorstellen, die in den nächsten Jahren dazu führt, dass wir reale Zinsen sehen. Die einzige Möglichkei­t, wie es zu starker Inflation kommen könnte, ist, dass durch die Klimaerwär­mung eine massive Verteuerun­g kommt – etwa beim Transport. Die Probleme der Nullzinsen, etwa das Ende jeglicher privaten Pensionsvo­rsorge, sind leider schlecht für die Politik tauglich, da sie erst langfristi­g auftreten werden. Für die Umwelt kann sich die Jugend dank Greta Thunberg begeistern. Für Zinsen geht niemand auf die Straße. Anderes Thema: Wie erklären Sie sich eigentlich die Liebe der Österreich­er zum Bargeld?

Der Österreich­er hat eine größere Abneigung gegenüber Transparen­z als Skandinavi­er. Bargeld bedeutet, ich kann mir etwas kaufen, ohne dass jeder weiß, dass ich es besitze. Dafür habe ich auch großes Verständni­s. Aber das wird es in Zukunft nicht mehr spielen. Befürworte­r des Bargelds argumentie­ren, Negativzin­sen seien leichter durchzuset­zen, wenn es nur elektronis­che Guthaben gibt. Eine berechtigt­e Sorge?

Das ist absolut berechtigt. Auch wir haben relativ große, eigentlich riesige, Barbeständ­e als Erste. Die Versicheru­ngsprämie, die wir dafür bezahlen, liegt bei 25 Basispunkt­en. Damit sparen wir 25 Basispunkt­e gegenüber dem negativen Einlagenzi­nssatz bei der EZB. Insofern ist es natürlich auch ärgerlich, dass der 500-Euro-Schein abgeschaff­t wird. Zwei Milliarden in Fünfhunder­tern zu lagern ist billiger als zwei Milliarden in Hundertern.

Das Interview wurde in Kooperatio­n mit „Kleine Zeitung“, „Salzburger Nachrichte­n“, „OÖ Nachrichte­n“, „Vorarlberg­er Nachrichte­n“und „Tiroler Tageszeitu­ng“geführt.

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[ Clemens Fabry ] Künftig müssten sich Banken um die finanziell­e Gesundheit der Menschen kümmern, sagt Andreas Treichl.

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