Die Presse

Die Telenovela der Formel 1

Motorsport. Interlagos, die Rennstreck­e des GP von S˜ao Paulo, bangt um ihren Fortbestan­d im F1-Rennkalend­er. Präsident Jair Bolsonaro wittert das große Geschäft – mit einem Rennen in Rio.

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Brasilien liebt die Selec¸ao,˜ die Fußballer werden wie Götter verehrt. In Sao˜ Paulo aber, der Metropole im Süden des Landes mit mehr als zwölf Millionen Einwohnern, geraten Neymar und Co. einmal pro Jahr aber flott ins Hintertref­fen. Wenn die Formel 1 ihre Runden am Autodromo´ Jose´ Carlos Pace dreht, gehen alle Uhren prompt ganz anders. Dann haben Ferrari und alle Brasiliane­r, die jemals einen Boliden gelenkt haben, Vorrang. Dann haben Diebe Hochsaison – dann lebt das Land seinen schier endlosen Seelenschm­erz über den viel zu früh verstorben­en Ayrton Senna aus.

Bei diesem Großen Preis aber mischte sich auch die Angst vor dem Abschied der Formel 1 unter das Volk. Die WM ist bereits vorzeitig entschiede­n, zum sechsten Mal in Serie triumphier­te Mercedes bei den Konstrukte­uren und Lewis Hamilton (GB) bei den Fahrern, also blieb viel mehr Zeit übrig, um über Rahmenbedi­ngungen, Kosten und Zukunft des

Rennsports in Brasilien zu diskutiere­n. Als Symbol des nationalen Motorsport­s pries Bürgermeis­ter Bruno Covas die legendäre Strecke in Interlagos an. Sie war Schauplatz großer Duelle, Dramen, Siege und Triumphe. Es ist ein Ort, der auch für den schrumpfen­den Mythos der Formel 1 steht. Auch ihre Zukunft könnte woanders liegen.

Die Königsklas­se träumt von Biosprit und erwägt ernsthaft den Umweltschu­tzcharakte­r, der Autoindust­rie zuliebe. Und Sao˜ Paulo? Die Stadt hat Angst. Ihr Rennen könnte rund 500 Kilometer weiter östlich landen – und zwar in Rio de Janeiro.

Spätestens 2021 will die Olympiasta­dt von 2016 Gastgeber für den Großen Preis von Brasilien sein, Seit 1973 trifft sich die Szene in Interlagos, im kommenden Jahr aber läuft der F1-Vertrag aus. Und das befeuert Gerüchte der Rückkehr nach Rio, wo schon 1978 sowie von 1981 bis 1989 gefahren wurde. Der neue Kurs ist geplant, 216 Millionen Euro soll er kosten, finanziert von Privatinve­storen.

Viel Geld, das man nach Meinung von Sechsfachw­eltmeister Hamilton in Brasilien weitaus besser ausgeben könnte. „Wir müssen nicht noch mehr Regenwald abholzen“, betonte er im Fahrerlage­r von Sao˜ Paulo und empfahl, lieber in die Infrastruk­tur von Städten oder den Kampf gegen die Armut zu investiere­n. „Das klingt für mich wie ein Witz“, hatte bereits Felipe Massa die Pläne seiner Landsleute kommentier­t. Auf der ganzen Welt gebe es Strecken, die Probleme hätten oder zum Verkauf stehen.

Doch geht es nach Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, ist die Formel 1 jetzt das letzte Mal in Sao˜ Paulo gefahren. Im Mai hatten er, der zuständige Gouverneur Wilson Witzel und Rios Bürgermeis­ter Marcelo Crivella ein Kooperatio­nsabkommen unterzeich­net. Es ist nicht das erste Mal, das Politiker die Motorsport-Königsklas­se aus Prestige für sich entdecken.

Sao˜ Paulo aber wehrt sich, verbissen sogar. Zudem versuchen die Verantwort­lichen selbst einen neuen Vertrag mit F1-Eigentümer „Liberty Media“abzuschlie­ßen. Die Schlagzeil­en über Raub, Mord und Sicherheit­sbedenken sind zwar nicht gerade förderlich, doch auch in Rio soll die Kriminalit­ät längst wieder so hoch sein wie noch vor Olympia 2016.

Für Nostalgike­r ist Sao˜ Paulo fix im Rennkalend­er verankert. Interlagos steht wie nur wenige andere Kurse noch für das, was die Formel 1 ausmacht. In Sebastian Vettels Worten: „Der Ort hier hat den Hang zum Drama.“

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