Kurz, der türkis-grüne Posterboy der EVP
Kroatien. Der ÖVP-Chef war beim EVP-Kongress in Zagreb ein begehrter Gesprächspartner, weil er Wahlerfolg hatte und eine Koalition mit den Grünen modellhaft werden könnte.
Zagreb. Für Sebastian Kurz war es wie ein kleiner Urlaub von den Koalitionsverhandlungen und der Casinos-Affäre, zu der er übrigens keine Stellungnahme abgeben wollte. Beim Gipfel der Europäischen Volkspartei (EVP) in Zagreb durfte sich der ÖVP-Chef wie ein Stargast fühlen. Der Ex-Kanzler absolvierte am Mittwochnachmittag im Zwanzig-Minuten-Takt ein Vieraugengespräch nach dem anderen: erst mit dem französischen Brexit-Chefverhandler Michel Barnier, dann mit dem scheidenden polnischen EURatspräsidenten Donald Tusk, direkt im Anschluss mit der designierten Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen; daraufhin mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, bevor er mit dem EVP-Fraktionschef Manfred Weber, dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar und schließlich mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel redete.
Sie alle gehören der Familie der christdemokratischen Parteien an, um die es schon einmal besser bestellt war. Neun Staats- und Regierungschefs stellt die EVP nur noch im Kreis des Europäischen Rats.
Kurz war in der kroatischen Hauptstadt ein begehrter Gesprächspartner. Denn er hat Erfolg, den größten in Westeuropa gemessen am Wahlergebnis der Konservativen. Insgesamt ist die ÖVP in dieser Prozent-Liste hinter dem ungarischen Fidesz von Viktor Orban´ und der griechischen Nea Dimokratia die drittstärkste Kraft innerhalb der EVP. Die Mitgliedschaft des Fidesz ist freilich derzeit suspendiert. Das Thema blieb ausgeklammert beim EVP-Kongress. Die drei Weisen, denen auch Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel angehört, wollen ihren Berichts erst im Frühjahr vorlegen. Man spielt auf Zeit.
„Starke Kraft der Mitte in Europa“
Und noch eines macht Kurz dieser Tage interessant für seine Kollegen: die Wiener Verhandlungen mit den Grünen. Die Koalition könnte modellhaft werden für Europa, wenn sie denn zustande kommt. Kurz wollte sich zu den Erfolgschancen nicht äußern, doch er wurde immer wieder danach gefragt.
Eine „starke Kraft der Mitte in Europa“soll die EVP nach Vorstellung von Kurz sein, gerade in Zeiten, in denen die Ränder und die polarisierten Kräfte zunehmen. Keiner der rund 700 Delegierten in der in Nachtblau getauchten Arena hätte da wohl widersprochen. Harmonie war angesagt in der von einem gigantischen Stahlbeton-Brustkorb umhüllten Mehrzweckarena, in der sonst Konzerte oder Handballspiele stattfinden.
Doch in welchem Rhythmus soll das schwächer werdende Herz der EVP in Zukunft schlagen? Kurz warb für drei Themen, die künftig den Takt vorgeben sollen. Erstens müsse Europa ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort sein, sagte der ÖVP-Chef vor österreichischen Journalisten in Zagreb. Das sei die Voraussetzung für alles andere, insbesondere für die Sicherung der Arbeitsplätze.
Zweitens müsse sich die EVP dem Kampf gegen die illegale Migration verschreiben und Zuwanderung aktiv steuern, um die „europäische Identität“und das christlich-jüdische Erbe der Aufklärung zu erhalten. Über den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenze dürfe nicht bloß diskutiert werden, es müsse endlich auch etwas geschehen. Drittens, so Kurz, gelte es, die „Schöpfung zu wahren“und das Klima zu schützen. Österreich präsentierte er dabei als Vorreiter – mit einem Anteil erneuerbarer Energien, der demnächst 100 Prozent erreichen werde. Da blitzte es auf, das neue grüne Gewissen des Sebastian Kurz.
Höhepunkt des Abends war die Wahl Donald Tusks zum neuen EVP-Präsidenten. Es gab keinen Gegenkandidaten. Kurz lobte den Polen für seine Haltung während der
Flüchtlingskrise. Er war einer seiner Verbündeten in Europa, als es darum ging, die Masseneinwanderung einzudämmern. Seine Kür zum EVP-Chef und Nachfolger des Franzosen Joseph Daul war auch als Signal an die Osteuropäer gedacht: Sie gehören trotz aller Zores mit dem illiberalen Fidesz-Chef Viktor Orban´ zur Familie.
Für die CDU nahm Kanzlerin Merkel am EVP-Kongress teil. Annegret Kramp-Karrenbauer, die Parteivorsitzende, hatte alle Hände voll zu tun, den CDU-Parteitag in Leipzig vorzubereiten und zu verhindern, dass ihre Position dort weiter geschwächt wird. Mit Ursula von der Leyen wollte Kurz besprechen, wann die neue EU-Kommission in die Gänge kommt. Das kann sich noch länger hinziehen. Die Ex-Verteidigungsministerin muss abwarten, bis die Briten einen Kommissar benannt oder den ersten Akt im Brexit-Drama über die Bühne gebracht haben. Bei Mitsotakis erkundigte sich Kurz über die anschwellenden Flüchtlingsströme. Das wird wohl eines der zentralen Themen bei den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen sein – wenn der ÖVP-Chef wieder in Wien ist.