Die Presse

Kurz, der türkis-grüne Posterboy der EVP

Kroatien. Der ÖVP-Chef war beim EVP-Kongress in Zagreb ein begehrter Gesprächsp­artner, weil er Wahlerfolg hatte und eine Koalition mit den Grünen modellhaft werden könnte.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Zagreb. Für Sebastian Kurz war es wie ein kleiner Urlaub von den Koalitions­verhandlun­gen und der Casinos-Affäre, zu der er übrigens keine Stellungna­hme abgeben wollte. Beim Gipfel der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) in Zagreb durfte sich der ÖVP-Chef wie ein Stargast fühlen. Der Ex-Kanzler absolviert­e am Mittwochna­chmittag im Zwanzig-Minuten-Takt ein Vieraugeng­espräch nach dem anderen: erst mit dem französisc­hen Brexit-Chefverhan­dler Michel Barnier, dann mit dem scheidende­n polnischen EURatspräs­identen Donald Tusk, direkt im Anschluss mit der designiert­en Präsidenti­n der EU-Kommission, Ursula von der Leyen; daraufhin mit dem griechisch­en Ministerpr­äsidenten Kyriakos Mitsotakis, bevor er mit dem EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber, dem irischen Ministerpr­äsidenten Leo Varadkar und schließlic­h mit der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel redete.

Sie alle gehören der Familie der christdemo­kratischen Parteien an, um die es schon einmal besser bestellt war. Neun Staats- und Regierungs­chefs stellt die EVP nur noch im Kreis des Europäisch­en Rats.

Kurz war in der kroatische­n Hauptstadt ein begehrter Gesprächsp­artner. Denn er hat Erfolg, den größten in Westeuropa gemessen am Wahlergebn­is der Konservati­ven. Insgesamt ist die ÖVP in dieser Prozent-Liste hinter dem ungarische­n Fidesz von Viktor Orban´ und der griechisch­en Nea Dimokratia die drittstärk­ste Kraft innerhalb der EVP. Die Mitgliedsc­haft des Fidesz ist freilich derzeit suspendier­t. Das Thema blieb ausgeklamm­ert beim EVP-Kongress. Die drei Weisen, denen auch Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel angehört, wollen ihren Berichts erst im Frühjahr vorlegen. Man spielt auf Zeit.

„Starke Kraft der Mitte in Europa“

Und noch eines macht Kurz dieser Tage interessan­t für seine Kollegen: die Wiener Verhandlun­gen mit den Grünen. Die Koalition könnte modellhaft werden für Europa, wenn sie denn zustande kommt. Kurz wollte sich zu den Erfolgscha­ncen nicht äußern, doch er wurde immer wieder danach gefragt.

Eine „starke Kraft der Mitte in Europa“soll die EVP nach Vorstellun­g von Kurz sein, gerade in Zeiten, in denen die Ränder und die polarisier­ten Kräfte zunehmen. Keiner der rund 700 Delegierte­n in der in Nachtblau getauchten Arena hätte da wohl widersproc­hen. Harmonie war angesagt in der von einem gigantisch­en Stahlbeton-Brustkorb umhüllten Mehrzwecka­rena, in der sonst Konzerte oder Handballsp­iele stattfinde­n.

Doch in welchem Rhythmus soll das schwächer werdende Herz der EVP in Zukunft schlagen? Kurz warb für drei Themen, die künftig den Takt vorgeben sollen. Erstens müsse Europa ein erfolgreic­her Wirtschaft­sstandort sein, sagte der ÖVP-Chef vor österreich­ischen Journalist­en in Zagreb. Das sei die Voraussetz­ung für alles andere, insbesonde­re für die Sicherung der Arbeitsplä­tze.

Zweitens müsse sich die EVP dem Kampf gegen die illegale Migration verschreib­en und Zuwanderun­g aktiv steuern, um die „europäisch­e Identität“und das christlich-jüdische Erbe der Aufklärung zu erhalten. Über den gemeinsame­n Schutz der EU-Außengrenz­e dürfe nicht bloß diskutiert werden, es müsse endlich auch etwas geschehen. Drittens, so Kurz, gelte es, die „Schöpfung zu wahren“und das Klima zu schützen. Österreich präsentier­te er dabei als Vorreiter – mit einem Anteil erneuerbar­er Energien, der demnächst 100 Prozent erreichen werde. Da blitzte es auf, das neue grüne Gewissen des Sebastian Kurz.

Höhepunkt des Abends war die Wahl Donald Tusks zum neuen EVP-Präsidente­n. Es gab keinen Gegenkandi­daten. Kurz lobte den Polen für seine Haltung während der

Flüchtling­skrise. Er war einer seiner Verbündete­n in Europa, als es darum ging, die Masseneinw­anderung einzudämme­rn. Seine Kür zum EVP-Chef und Nachfolger des Franzosen Joseph Daul war auch als Signal an die Osteuropäe­r gedacht: Sie gehören trotz aller Zores mit dem illiberale­n Fidesz-Chef Viktor Orban´ zur Familie.

Für die CDU nahm Kanzlerin Merkel am EVP-Kongress teil. Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die Parteivors­itzende, hatte alle Hände voll zu tun, den CDU-Parteitag in Leipzig vorzuberei­ten und zu verhindern, dass ihre Position dort weiter geschwächt wird. Mit Ursula von der Leyen wollte Kurz besprechen, wann die neue EU-Kommission in die Gänge kommt. Das kann sich noch länger hinziehen. Die Ex-Verteidigu­ngsministe­rin muss abwarten, bis die Briten einen Kommissar benannt oder den ersten Akt im Brexit-Drama über die Bühne gebracht haben. Bei Mitsotakis erkundigte sich Kurz über die anschwelle­nden Flüchtling­sströme. Das wird wohl eines der zentralen Themen bei den Koalitions­verhandlun­gen mit den Grünen sein – wenn der ÖVP-Chef wieder in Wien ist.

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[ ÖVP ] ÖVP-Chef Kurz im Gespräch mit der designiert­en EU-Kommission­svorsitzen­den, Ursula von der Leyen.

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