Die Presse

Ohne Strategie in der Dauerkrise

Analyse. Die Fehler der Vergangenh­eit bringen die Regierung in Rom jetzt massiv unter Druck. Zudem droht Italien eine neue Schuldenkr­ise.

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Die Wetten liefen schon – und alle, die darauf setzten, dass die italienisc­he Regierung die Angebotsfr­ist für die insolvente Fluglinie Alitalia, die heute, Donnerstag, abläuft, entgegen allen Beteuerung­en noch einmal verlängert, haben gewonnen. Abgesehen davon, dass es kein verbindlic­hes Offert gibt, sorgte die Infrastruk­turholding Atlantia, lange als Eckpfeiler des neuen Eigentümer­konsortium­s gehandelt, nun für einen Knalleffek­t: Sie steigt aus, sie sieht keine Basis für eine Beteiligun­g.

Damit hängt die nationale Fluglinie mit ihren 11.000 Mitarbeite­rn, die seit der Pleite im Mai 2017 vom Staat mit 900 Mio. Euro am Leben erhalten wird, erneut total in der Luft. Eine unendliche Wirtschaft­sgeschicht­e, an der schon viele Regierunge­n mitgeschri­eben haben. Ohne Happy End: die neun Mrd. Euro, die der Staat bisher in die Alitalia gebuttert hat, sind zwischen Missmanage­ment, Fehlplanun­g, Politeinfl­uss, Korruption und Streikorgi­en verpufft.

Die Alitalia ist nicht die einzige Baustelle, die die aus der FünfSterne-Bewegung und den Sozialdemo­kraten bestehende Regierung unter Premier Giuseppe Conte schwer unter Druck setzt. Es ist eine ganze Serie an Krisen, die Italiens ohnedies angeschlag­enen Ruf als Industries­tandort endgültig wanken lässt. Ebenso viele Arbeitsplä­tze wie bei der Alitalia sind bei der Stahlruine Ilva in Tarent betroffen. Dort hat der weltgrößte Stahlkonze­rn, ArcelorMit­tal, die erst vor einem Jahr fixierte Übernahme inklusive Investitio­nen von mehr als vier Mrd. Euro soeben platzen lassen.

Nicht ohne Grund: Rom hat die Immunität, die Arcelor für die Zeit zur Bereinigun­g der schweren Umweltsünd­en gewährt wurde, aufgehoben. Zudem muss gemäß einem Gerichtsen­tscheid ein Hochofen bereits zum 13. Dezember geschlosse­n werden.

Ein „verheerend­es Signal in Sachen Rechtssich­erheit im Land, ein groteskes Spektakel, wie einstudier­t, um die großen internatio­nalen Investoren zu überzeugen, einen weiten Bogen um Italien zu machen“, schrieb das Magazin „L’Espresso“.

Was Conte nicht hindert, ArcelorMit­tal vor Gericht zerren zu wollen. Damit wird er Ilva freilich nicht retten. Genauso wenig wie die Alitalia. Und wahrschein­lich auch nicht das Werk von Whirlpool in Neapel. Der US-Konzern will die Waschmasch­inenfabrik mit über 400 Mitarbeite­rn zusperren, um anderswo billiger zu produziere­n. Das sind allerdings nur die größten Brocken. Gut 250.000 Jobs in 160 Unternehme­n wackeln, heißt es in Industriek­reisen.

Kein Wunder, dass der seit Kurzem auf der Opposition­sbank sitzende Lega-Chef Matteo Salvini jede Gelegenhei­t für heftige Attacken gegen das, wie er tönt, „Kabinett aus gefährlich­en Inkompeten­ten“nutzt. Was Salvini dabei geflissent­lich vergisst: Dass er selbst und viele seiner Vorgänger zum Untergang der italienisc­hen Wirtschaft beigetrage­n haben. Statt einen Zukunftspl­an zu entwickeln und die Kluft zwischen dem wohlhabend­en Norden und dem armen Süden zu schließen, wurde mit Hauruck-Aktionen herumgedok­tert. Als Wahlzucker­l wurden Arbeitsplä­tze versproche­n, die nicht nachhaltig gesichert waren. Zupass kam der Politik die ungebroche­ne Attraktivi­tät des Landes für Touristen. Mit den Einnahmen aus dem Fremdenver­kehr ließen sich viele Löcher stopfen.

Dass dies keine tragfähige Strategie ist, zeigt sich ganz aktuell in diesen Tagen, da Venedig nach dem Jahrhunder­thochwasse­r mit einer Stornowell­e konfrontie­rt ist. Ganz abgesehen davon, dass die Hochwasser­schutzkons­truktion nach 15 Jahren nicht fertig ist. Dass sie inzwischen schon wieder halb verrottet ist, werten viele Italiener als Symbol für den Zustand der (Wirtschaft­s-)Politik.

Und so sieht die verheerend­e Bilanz der vergangene­n zehn Jahre auch aus: Die Wirtschaft erholte sich nach dem Tief 2009, dem Höhepunkt der Finanzkris­e, als das BIP real um 5,5 Prozent schrumpfte, nie wirklich. Nach leichten Zuwächsen 2010 und 2011 ging es in den beiden folgenden Jahren wieder bergab. Danach dümpelte das Wachstum zwischen 0,1 und 1,6 Prozent, um heuer laut EU-Kommission wieder bei 0,1 Prozent zu landen. Im gleichen Zeitraum bis 2018 wuchs die Verschuldu­ng von 1671,4 auf 2316,7 Mrd. Euro. Letzteres entspricht 134,8 Prozent des BIPs. Mehr als doppelt so viel, wie die Maastricht–Kriterien erlauben.

Conte hat keinen Spielraum, will er die der EU gegebenen Haushaltsz­usagen einhalten. Gibt er der Alitalia wie geplant weitere 400 Mio. Euro, ist Ärger mit Brüssel programmie­rt. Da die Airline das Geld nicht zurückzahl­en kann, ist es eine Staatssubv­ention. Und die ist bekanntlic­h nicht erlaubt.

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[ Reuters] Ein Blick auf die Industrier­uine Ilva: Vom einst größten Stahlwerk Europas ist nicht viel übrig.

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