Die Presse

Ein Hotel als sentimenta­les Museum

Ausstellun­g. Der Chef der vorigen Documenta, Adam Szymczyk, hat mit Studierend­en der Wiener Kunst-Akademie im Hotel am Brillanten­grund eine Ausstellun­g über das Zerfallen und Zusammense­tzen in Kunst und Leben erarbeitet.

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Womit wir wieder bei Punkt zwei wären: Aus all dem entstand diesmal am Ende eine spannende Ausstellun­g. Szymczyk ließ die Studierend­en nach der von Ptaszkowsk­a beschriebe­nen künstleris­chen Praxis zur Hierarchie­vermeidung, die sich durch bewusstes Reden und Zuhören, Handeln und Beobachten ergeben soll, auf drei ältere Künstler reagieren. Zwei davon stellte er bei der Documenta aus – die 1922 in Wien geborene Wild sowie die 1913 in Lemberg geborene, 2004 verstorben­e Erna Rosenstein, die in den 1930er-Jahren in Wien studierte. Dazu kommt der 1930 in Rumänien geborene, in Wien lebende Daniel Spoerri, der mit seinen „Fallenbild­ern“Kunstgesch­ichte schrieb.

Verbunden sind alle durch Wien als Ausgangspu­nkt oder Ziel. Die Wahl, die Ausstellun­g in ein Hotel zu implementi­eren, ist also nicht nur logisch, sondern auch sentimenta­l.

Szymczyk wählte dafür das Hotel, in dem er selbst gern absteigt und das sich durch den bekannt kunstaffin­en Besitzer anbietet: das Hotel am Brillanten­grund. Jedem der drei Ursprungsk­ünstler ist hier für ein paar Tage eine Suite gewidmet, in der sich die teils von der Erste-Bank-Sammlung „Kontakt“, bei der Szymczyk im Board sitzt, ausgeborgt­e Kunst von „Wild Spoerri Rosenstein“mit Referenzar­beiten der Studierend­en mischt.

Wobei – natürlich – auch die Verweigeru­ngshaltung möglich war. So soll man, heißt es, sich nicht groß den Kopf darüber zerbrechen, worauf Bob Schatzi Hausmann mit den Namen „Nancy“oder „Lou“anspielt, die er auf knallbunte Tafelbilde­r fetzte. Andere griffen die Technik auf, die alle drei „Oldies“verbindet, die Collage. Gleb Amankulovs lässt die vorgefunde­nen Möbel miteinande­r tanzen, sich stapeln, jedenfalls sich anders benehmen als üblich. Laura Pirgie zeigt sich immer noch beseelt vom Erlebnis, als sie parallel zu Wild, die jeden Tag eine Collage schafft, im guatemalte­kischen Atelier ihre eigenen reduzierte­n Collagen schuf.

Der Besuch war für die Studierend­en sichtlich intensiv. Auch das Telefon läutete angeblich immerzu. Camila Rhodi hat daher eines aufgestell­t – hebt man ab, kommt man sozusagen in Guatemala heraus und kann sich in die Reisegrupp­e einhören.

Auch biografisc­h-historisch war einiges zu holen: Dean Maassen recherchie­rte alle Schülerinn­en und Lehrende der privaten Wiener Frauenakad­emie, an der Rosenstein lernte. Das Ergebnis ist so surreal wie ihre Holz-Collagen: Obwohl Frauen bis 1919/20 in Wien ausschließ­lich dort Kunst studieren konnten, war Rosenstein in den 30er-Jahren die zumindest einzig offiziell gelistete. 1938 musste sie nach Argentinie­n emigrieren.

Heute hat man zumindest im Westen den Luxus, sich ins Private zurückzuzi­ehen, wenn einem das System nicht passt. Im Badezimmer und im Gang der Wild-Suite hat Yul Kho daher ihr „Amt für innere Emigration“eingericht­et. Man kann den Antrag ausfüllen. Oder sich gleich mit einer Flasche Cava in die Badewanne legen. Nicht Schampus. Wie bescheiden. Das Budget für sein Equality-Projekt habe Szymczyk nicht überschrit­ten, versichert die Akademie auf Nachfrage. Man ist vielmehr in Verhandlun­g, ob er seinen Lehrauftra­g fortsetzt.

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[ Pianka/esel.at] Hebt man hier ab, kommt man akustisch im Atelier von Elisabeth Wild in Guatemala heraus: Wild-Suite mit ihren Collagen und dem Telefon von Laura Pirgie.

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