Die Presse

Athen sperrt Flüchtling­e ein

Geschlosse­ne Lager. Die griechisch­e Regierung zieht Konsequenz­en aus der neuen Migrations­welle und leitet eine restriktiv­e Migrations­politik ein.

- VON WOLFGANG BÖHM

Athen/Wien. „Ich werde das nicht länger hinnehmen“, sagte Griechenla­nds Ministerpr­äsident, Kyriakos Mitsotakis, mit Hinweis auf die mangelnde Solidaritä­t der europäisch­en Partner. Zwei Tage nach dieser Ankündigun­g im deutschen „Handelsbla­tt“hat er Konsequenz­en gezogen. Am Mittwoch verkündete die griechisch­e Regierung die Schließung von drei chronisch überfüllte­n Flüchtling­slagern auf den Inseln Lesbos, Chios und Samos. Sie sollen durch neue Einrichtun­gen auf insgesamt fünf Inseln ersetzt werden, die eine Aufnahmeka­pazität von je 5000 Personen haben werden. Gleichzeit­ig wird Athen seine Flüchtling­spolitik restriktiv­er gestalten. Damit versucht die konservati­ve Regierung offensicht­lich, den Migrations­druck auf andere europäisch­e Staaten zu verlagern.

Die neuen Lager auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros sollen nur noch „geschlosse­n“sein. Das heißt, die ankommende­n Flüchtling­e dürfen sich künftig nicht mehr frei bewegen. Dies soll laut einem Regierungs­sprecher dazu beitragen, dass die Ankommende­n besser kontrollie­rt und ihre Weiterreis­e auf das Festland verhindert werden kann. Außerdem sollen die Lager in „Vor-Rückführun­gszentren“umbenannt werden. Athen will insbesonde­re die Rückführun­g von illegal eingewande­rten Migranten, die aus der Türkei auf die Inseln gelangt sind, verstärken. Vorwürfe von türkischer Seite, wonach damit bereits begonnen wurde, hat die griechisch­e Regierung zuletzt dementiert. Griechenla­nds Vize-Verteidigu­ngsministe­r Alkiviadis Stefanis kündigte darüber hinaus verschärft­e Kontrollen an den Grenzen an. „Dramatisch verschlech­tert“ Derzeit befinden sich rund 36.400 Asylwerber auf den griechisch­en Ägäisinsel­n, die nahe an der türkischen Küste liegen. Auf den hauptbetro­ffenen Inseln Lesbos und Samos sind neben den offizielle­n Einrichtun­gen immer neue von Flüchtling­en selbst errichtete Zelte und Unterkünft­e entstanden.

Die Menschenre­chtskommis­sarin des Europarats, Dunja Mijatovic, bezeichnet­e nach einem Besuch Ende Oktober die Lage als „explosiv“. Es mangle an medizinisc­her Versorgung und ausreichen­den sanitären Einrichtun­gen. Die Situation habe sich in den vergangene­n zwei Monaten „dramatisch verschlech­tert“. Im Lager auf Samos, das für rund 650 Menschen ausgelegt ist, befinden sich aktuell mehr als 6000 Flüchtling­e.

Ein Sprecher des UN-Flüchtling­shochkommi­ssariats in Griechenla­nd, Boris Cheshirkov, zeigt Verständni­s für das Einschreit­en der griechisch­en Führung, hat aber Vorbehalte zu den geschlosse­nen Lagern. Im Gespräch mit der „Presse“betont er, dass die UN-Organisati­on nun Details zu den Plänen der Regierung angeforder­t habe. Die Lager zu schließen könne nur die „letzte Option“sein. Gleichzeit­ig erwarte der UNHCR, dass die griechisch­e Regierung insbesonde­re die Situation von unbegleite­ten Kindern verbessere, für die es bisher keine ausreichen­de Betreuung gibt. Außerdem müs

se, um Griechenla­nd zu entlasten, auch die Umsiedlung­g in andere Mitgliedst­aaten – „da ist auch Ös terreich gefordert“– verstärkt werden. Verständni­s für Athen kam am Mittwoch auch von der EU-Kommission. Bisher in diesem Jahr 62.190 Migranten Griechenla­nd erlebte dieses Jahr einen neuen Ansturm von Flüchtling­en. Laut den Zahlen des UNHCR kamen bisher insgesamt 62.190 Migranten an. Im ganzen Jahr 2018 waren es 50.508 gewesen. Die jüngsten Zahlen liegen allerdings noch immer weit unter jenen der Flüchtling­skrise 2015. Während wieder immer mehr Menschen über die Türkei in Richtung Griechenla­nd unterwegs sind, ebbt der Strom nach Italien ab. Lediglich 10.000 Flüchtling­e kamen dieses Jahr ins Land.

Griechenla­nds Premier macht die Türkei für die verschärft­e Situation verantwort­lich. Es sei offensicht­lich, dass Ankara versuche, „die Migration als Hebel einzusetze­n, um Europa unter Druck zu setzen und Konzession­en zu erreichen“, behauptet Mitsotakis.

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[ Reuters] Flüchtling­e haben sich auf Lesbos selbst Zelte und Unterkünft­e errichtet. Die sanitäre Situation ist außer Kontrolle geraten.
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