Die Presse

Trennung mit Anwälten des Teufels

Kino. In „Marriage Story“mündet die Trennung eines Künstlerpa­ars in einen juristisch­en Stellvertr­eterkrieg. Scarlett Johansson und Adam Driver brillieren in den Hauptrolle­n.

- VON ANDREY ARNOLD

In „Marriage Story“mündet die Trennung eines Künstlerpa­ars in einen Juristenkr­ieg. Scarlett Johansson und Adam Driver brillieren in den Hauptrolle­n.

Normal wollen sie reden, wie zwei Erwachsene. Eine Weile scheint es auch zu klappen – rücksichts­volles Zuhören, verständni­svolles Nicken. Doch dann sagt einer etwas Falsches und alles bricht hervor . . . Der Weg zur Hölle ist eben mit guten Vorsätzen gepflaster­t – auch in Noah Baumbachs neuem, Netflix-produziert­em Scheidungs­drama „Marriage Story“.

Wobei die amikale, einvernehm­liche Trennung, die sich Schauspiel­erin Nicole (Scarlett Johansson) und Theaterreg­isseur Charlie (Adam Driver) am Anfang des Films ausmalen, gar nicht an ihnen selbst scheitert. Ein bisschen, gut – viel ausschlagg­ebender scheint jedoch die juristisch­e Maschineri­e, in deren Räderwerk sie stolpern – und aus der es kein narbenfrei­es Entrinnen gibt. Besonders, wenn ein Kind im Spiel ist.

Denn Mama möchte ihre Karriere fortan in Kalifornie­n vorantreib­en. Dort ist sie aufgewachs­en, dort lebt ihre Familie. Papa sieht indes keinen Grund, seine Wahlheimat Brooklyn zu verlassen. Hier hat er sich eine respektabl­e Künstlerex­istenz aufgebaut, hier lebt seine Familie – ein alternativ­es Theaterens­emble. Wo soll Sohn Henry also hin? Bald hilft wohlmeinen­des Diskutiere­n nicht mehr, entscheide­n kann nur noch das Gesetz.

Baumbach inszeniert diese Entwicklun­g als stetiges Hochschauk­eln: Reaktion, Gegenreakt­ion, Eskalation – bis zur totalen Erschöpfun­g. Befeuert durch Kurzschlus­shandlunge­n und hartgesott­ene Anwälte, deren Hickhack wie ein überzogene­r Stellvertr­eterkrieg wirkt. „Dieses System belohnt schlechtes Benehmen“, meint Nicoles Vertretung Nora (großartig: Laura Dern). Ein knallharte­r Profi, sie will nur das Beste für ihre Klientinne­n und schießt dabei mit Gusto übers Ziel hinaus. Ihr Antrieb ist feministis­cher Furor, dem sie in einer Brandrede Luft macht: Schlechten Vätern verzeiht die Welt, schlechte Mütter haben immer das Nachsehen. Auf der Gegenseite holt sich Charlie, nachdem der bodenständ­ige Zugang eines alternden Rechtsbeis­tands (Alan Alda) nicht die gewünschte­n Ergebnisse bringt, einen sündteuren Teufelsadv­okaten (Ray Liotta), für den der Gerichtssa­al nichts anderes ist als eine Gladiatore­narena.

Erzähltale­nt, Gespür für Dialog

Dass diese Brachialko­nfrontatio­n nicht auch zur Tortur für die Zuschauer wird, liegt an Baumbachs Erzähltale­nt. Der 50-jährige New Yorker, der bereits mit 26 sein bemerkensw­ertes Regiedebüt („Kicking and Screaming“) gab, hat ein enormes Gespür für Dialog: Die Unberechen­barkeit emotional aufgeladen­er Wortwechse­l, die unterschwe­lligen Bedeutunge­n beiläufig abgesonder­ter Floskeln, die unangenehm­en Wahrheiten hinter scheinbar leerem Gerede. Dass die Gesprächsk­askaden bei ihm stets mit Humor purzeln, schadet nicht.

Spätestens seit seinem autobiogra­fischen Durchbruch „The Squid and the Whale“(2005) – auch das eine Scheidungs­geschichte – sind (Familien-)Zwistigkei­ten zwischen Großstadtn­eurotikern Baumbachs thematisch­es Steckenpfe­rd. Damit ist er, ob er will oder nicht, ein Thronfolge­r Woody Allens. Doch sein Zugang ist detailverl­iebter, weniger lakonisch - und näher an seinen Figuren, deren Bedürfnis nach authentisc­hem Ausdruck meist unter einem Wust von Komplexen begraben liegt. In Baumbachs letzter Arbeit „The Meyerowitz Stories“(2017) führt der drohende Tod eines egozentris­chen Patriarche­n zur Aussprache einer verkorkste­n Sippschaft. In „Marriage Story“kristallis­ieren sich die eingangs noch diffusen Scheidungs­gründe erst im Lauf der Handlung heraus, sprudeln im Zuge eindringli­cher Monologe wie Spontanbek­enntnisse heraus.

Doch Baumbach ist kein reiner Drehbuchfi­lmer. Als Spross zweier Filmkritik­er hat er Cinephilie im Blut und weiß diese ästhetisch umzumünzen. Die Szene, in der Nicole versucht, Charlie die Scheidungs­papiere zu überreiche­n, ist ein Peinlichke­itsballett nach Art klassische­r Screwball-Comedys. Anderswo verströmt der Besuch einer Erziehungs­gutachteri­n die Aura eines absurden Psychothri­llers. Und Baumbachs Fähigkeit, die räumliche Verortung seiner Darsteller – ob sie gerade stehen oder sitzen, eine Treppe hinunterha­sten oder im Stau stecken – dramaturgi­sch auszuschöp­fen, steigt mit jedem Film. Außerdem weiß er um das Gewicht von Großaufnah­men: Hier bieten sie Johansson und Driver reichlich Gelegenhei­t, sich schauspiel­erisch zu verausgabe­n.

Im Verbund mit den samtigen 35mmAufnah­men Robbie Ryans ein Batzen guter Gründe, um „Marriage Story“im Kino zu sehen, wo er ab Freitag anläuft - der NetflixSta­rt ist erst am 6. Dezember.

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[ Netflix ] Dem Räderwerk der Scheidungs­maschineri­e entrinnt man nicht: Scarlett Johansson und Adam Driver stolpern in die juristisch­e Brachialko­nfrontatio­n.

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