Iranische Führung setzt auf Härte
Protestwelle. Nach den Unruhen ist vor den Unruhen, prophezeien Experten. Das Regime in Teheran aber feiert den Sieg über die Demonstranten – auch wenn seine Legitimität gelitten hat.
Teheran feiert den Sieg über die Demonstranten – auch wenn seine Legitimität gelitten hat.
Istanbul/Teheran. Brennende Banken und Tankstellen, Tausende Demonstranten auf den Straßen, Schüsse der Sicherheitskräfte und ein Internet-Blackout: Nach der drastischen Erhöhung der Benzinpreise im Iran vergangene Woche ist das Land in Aufruhr. Polizei und regierungstreue Milizionäre gingen in allen Teilen der Islamischen Republik brutal gegen Demonstranten vor und töteten nach einer Zählung von Amnesty International bis zu 200 Menschen.
Das Regime in Teheran erklärte gestern, der Aufstand sei niedergeschlagen worden, es sprach von einem Sieg über eine angebliche „Verschwörung“von Feinden des Iran. Doch das brutale Vorgehen gegen Normalbürger, denen wegen der Wirtschaftskrise das Wasser bis zum Hals steht, hat die Legitimität der regierenden Eliten stark erschüttert. Bis zur nächsten Protestwelle sei es nur eine Frage der Zeit, sagen Experten.
Ausgelöst wurden die Proteste durch die Entscheidung der Regierung, buchstäblich über Nacht die Subventionen für die Benzinpreise zu kürzen. Autofahrer müssen nun bis zu 200 Prozent mehr bezahlen als vorher. Präsident Hassan Rohani will mit den Mehreinnahmen von rund 2,3 Milliarden Euro neue Hilfszahlungen an arme Familien finanzieren, doch rasch breiteten sich Demonstrationen gegen die Preiserhöhungen landesweit aus. Die Aktionen der empörten Bürger reichten von Straßenblockaden bis hin zu Angriffen auf Bankfilialen.
Die Demonstranten fordern nicht nur eine Rücknahme der Preisanhebungen. Der Iran leidet seit Jahren unter wirtschaftlichen Problemen, die zum Teil mit den verschärften US-Sanktionen zusammenhängen, aber auch auf hausgemachte Probleme wie Korruption und Misswirtschaft zurückgehen. Schon zum Jahreswechsel 2017/2018 hatte es schwere Unruhen wegen der wirtschaftlichen Lage gegeben – seitdem ist die Situation für viele Normalbürger noch schlechter geworden.
Millionen für Auslandeinsätze
Sie ärgern sich auch darüber, dass ihre Regierung trotz knapper Haushaltsmittel weiterhin viele Millionen Euro für außenpolitische Abenteuer im Irak, im Libanon und im Jemen ausgibt. Trotz des Dauerstreits zwischen Rohanis
Reformern und den Hardlinern war die Antwort des Regimes auf die neuen Proteste eindeutig: Die Sicherheitskräfte eröffneten laut Menschenrechtlern das Feuer auf Demonstranten, während die Behörden das Internet im ganzen Land abschalteten. Am Mittwoch verkündeten Rohani und Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei übereinstimmend, das Land habe einen Angriff seiner Feinde erfolgreich zurückgeschlagen.
Der drakonische Gewalteinsatz, die Internetsperre und die Uneinsichtigkeit der Führung zeigen, dass inzwischen mehr auf dem Spiel steht als bei früheren Protestwellen. „Das Regime befindet sich in der bisher ernst zu nehmendsten Krise seit seiner Entstehung“, sagt
Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad vom Doha-Zentrum der Denkfabrik Brookings der „Presse“. Wenn sich nichts ändere, würden immer wieder Unruhen ausbrechen. Er sieht bei der Führung in Teheran keine Anzeichen für ein Umdenken. Die Führungselite tendiere zu einem „Weiter so“, weil sie eigene Pfründe und Privilegien nicht antasten wolle.
Viele Nutznießer des Systems
„Fest steht, dass das Regime irreversibel an Legitimität verloren hat, und das hat Konsequenzen“, sagt Fathollah-Nejad. „Die unteren Schichten stehen mit dem Rücken zur Wand und werden die Morde nicht vergessen. Auch die Mittelschicht sieht trotz ihrer Bedenken hinsichtlich eines Mangels an Alternativen und der Furcht vor Chaos, dass das Regime ja auch keine Stabilität schafft.“
Die vielen Nutznießer des Systems werden ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen. Dennoch: Die Aussicht, dass die Mullah-Regierung in Teheran stürzen könnte, freut zwar die Iran-Hardliner in Saudiarabien, Israel und in den USA. Von außen könne ein Regimewechsel jedoch nicht forciert werden, glaubt Fathollah-Nejad.