Die Presse

Iranische Führung setzt auf Härte

Protestwel­le. Nach den Unruhen ist vor den Unruhen, prophezeie­n Experten. Das Regime in Teheran aber feiert den Sieg über die Demonstran­ten – auch wenn seine Legitimitä­t gelitten hat.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Teheran feiert den Sieg über die Demonstran­ten – auch wenn seine Legitimitä­t gelitten hat.

Istanbul/Teheran. Brennende Banken und Tankstelle­n, Tausende Demonstran­ten auf den Straßen, Schüsse der Sicherheit­skräfte und ein Internet-Blackout: Nach der drastische­n Erhöhung der Benzinprei­se im Iran vergangene Woche ist das Land in Aufruhr. Polizei und regierungs­treue Milizionär­e gingen in allen Teilen der Islamische­n Republik brutal gegen Demonstran­ten vor und töteten nach einer Zählung von Amnesty Internatio­nal bis zu 200 Menschen.

Das Regime in Teheran erklärte gestern, der Aufstand sei niedergesc­hlagen worden, es sprach von einem Sieg über eine angebliche „Verschwöru­ng“von Feinden des Iran. Doch das brutale Vorgehen gegen Normalbürg­er, denen wegen der Wirtschaft­skrise das Wasser bis zum Hals steht, hat die Legitimitä­t der regierende­n Eliten stark erschütter­t. Bis zur nächsten Protestwel­le sei es nur eine Frage der Zeit, sagen Experten.

Ausgelöst wurden die Proteste durch die Entscheidu­ng der Regierung, buchstäbli­ch über Nacht die Subvention­en für die Benzinprei­se zu kürzen. Autofahrer müssen nun bis zu 200 Prozent mehr bezahlen als vorher. Präsident Hassan Rohani will mit den Mehreinnah­men von rund 2,3 Milliarden Euro neue Hilfszahlu­ngen an arme Familien finanziere­n, doch rasch breiteten sich Demonstrat­ionen gegen die Preiserhöh­ungen landesweit aus. Die Aktionen der empörten Bürger reichten von Straßenblo­ckaden bis hin zu Angriffen auf Bankfilial­en.

Die Demonstran­ten fordern nicht nur eine Rücknahme der Preisanheb­ungen. Der Iran leidet seit Jahren unter wirtschaft­lichen Problemen, die zum Teil mit den verschärft­en US-Sanktionen zusammenhä­ngen, aber auch auf hausgemach­te Probleme wie Korruption und Misswirtsc­haft zurückgehe­n. Schon zum Jahreswech­sel 2017/2018 hatte es schwere Unruhen wegen der wirtschaft­lichen Lage gegeben – seitdem ist die Situation für viele Normalbürg­er noch schlechter geworden.

Millionen für Auslandein­sätze

Sie ärgern sich auch darüber, dass ihre Regierung trotz knapper Haushaltsm­ittel weiterhin viele Millionen Euro für außenpolit­ische Abenteuer im Irak, im Libanon und im Jemen ausgibt. Trotz des Dauerstrei­ts zwischen Rohanis

Reformern und den Hardlinern war die Antwort des Regimes auf die neuen Proteste eindeutig: Die Sicherheit­skräfte eröffneten laut Menschenre­chtlern das Feuer auf Demonstran­ten, während die Behörden das Internet im ganzen Land abschaltet­en. Am Mittwoch verkündete­n Rohani und Revolution­sführer Ayatollah Ali Khamenei übereinsti­mmend, das Land habe einen Angriff seiner Feinde erfolgreic­h zurückgesc­hlagen.

Der drakonisch­e Gewalteins­atz, die Internetsp­erre und die Uneinsicht­igkeit der Führung zeigen, dass inzwischen mehr auf dem Spiel steht als bei früheren Protestwel­len. „Das Regime befindet sich in der bisher ernst zu nehmendste­n Krise seit seiner Entstehung“, sagt

Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad vom Doha-Zentrum der Denkfabrik Brookings der „Presse“. Wenn sich nichts ändere, würden immer wieder Unruhen ausbrechen. Er sieht bei der Führung in Teheran keine Anzeichen für ein Umdenken. Die Führungsel­ite tendiere zu einem „Weiter so“, weil sie eigene Pfründe und Privilegie­n nicht antasten wolle.

Viele Nutznießer des Systems

„Fest steht, dass das Regime irreversib­el an Legitimitä­t verloren hat, und das hat Konsequenz­en“, sagt Fathollah-Nejad. „Die unteren Schichten stehen mit dem Rücken zur Wand und werden die Morde nicht vergessen. Auch die Mittelschi­cht sieht trotz ihrer Bedenken hinsichtli­ch eines Mangels an Alternativ­en und der Furcht vor Chaos, dass das Regime ja auch keine Stabilität schafft.“

Die vielen Nutznießer des Systems werden ihre Macht mit allen Mitteln verteidige­n. Dennoch: Die Aussicht, dass die Mullah-Regierung in Teheran stürzen könnte, freut zwar die Iran-Hardliner in Saudiarabi­en, Israel und in den USA. Von außen könne ein Regimewech­sel jedoch nicht forciert werden, glaubt Fathollah-Nejad.

 ?? [ AFP ] ?? Straßensch­lachten in Teheran. Bei den Protesten in Irans Hauptstadt gehen Autos in Flammen auf. Die Sicherheit­skräfte des Regimes schießen auf Demonstran­ten.
[ AFP ] Straßensch­lachten in Teheran. Bei den Protesten in Irans Hauptstadt gehen Autos in Flammen auf. Die Sicherheit­skräfte des Regimes schießen auf Demonstran­ten.

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