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Sozialdump­ing. Dürfen holländisc­he Frächter ihre Mitarbeite­r formal nach Zypern auslagern, weil dort die Sozialabga­ben niedriger sind? Das hat der EuGH zu entscheide­n, der Generalanw­alt verneint es. Hat das auch Auswirkung­en für Österreich?

- VON CHRISTINE KARY

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Niederländ­ische Lkw-Fahrer, die für niederländ­ische Frächter auf Europas Straßen unterwegs sind. Und für die nicht das niederländ­ische Sozialvers­icherungsr­echt gelten soll, sondern das zypriotisc­he: Kann das rechtens sein? Oder ist es im weitesten Sinne Sozialdump­ing? Damit muss sich zurzeit der Europäisch­e Gerichtsho­f befassen (C-610/18).

So viel vorweg: Den Generalanw­alt, Priit Pikamäe aus Estland, hat das rechtliche Konstrukt nicht überzeugt. Es beruht auf sogenannte­n Flottenman­agement-Verträgen, die die niederländ­ischen Transportu­nternehmen mit der zypriotisc­hen Firma AFMB abgeschlos­sen haben. Diese Firma fungiert formal als Arbeitgebe­r der Fahrer. Die EU-Richter müssen nun entscheide­n, ob es sich um eine korrekte Entsendung von Arbeitskrä­ften handelt – oder ob das Modell bloß den Zweck hat, die sozialvers­icherungsr­echtlichen Regeln der Niederland­e zu umgehen.

„Rechtsmiss­brauch“

Aus Sicht des Generalanw­alts ist Letzteres der Fall: Arbeitgebe­r sei jenes Unternehme­n, das den jeweiligen Mitarbeite­r eingestell­t hat, dem dieser auf unbestimmt­e Zeit uneingesch­ränkt zur Verfügung steht, das ihm gegenüber eine tatsächlic­he Weisungsbe­fugnis ausübt und das faktisch die Gehaltskos­ten zu tragen hat, führt Pikamäe in seinen Schlussant­rägen aus. Und das seien die niederländ­ischen Transportu­nternehmen – zumal einige der Fahrer zuvor sogar direkt dort angestellt gewesen seien. Die Rolle der AFMB beschränke sich im Wesentlich­en auf die Zahlung des Gehalts und die Leistung der Sozialbeit­räge an die zypriotisc­he Behörde, schreibt Pikamäe. Die AFMB könne sich daher nicht auf ihre angebliche Arbeitgebe­reigenscha­ft berufen, „nur damit die zypriotisc­hen Sozialvers­icherungsv­orschrifte­n auf die betreffend­en Fahrer anwendbar werden“. Das wäre Rechtsmiss­brauch, lautet das Fazit des Generalanw­alts. Ob der EuGH genauso entscheide­n wird, ist noch offen, in der Mehrzahl der Fälle schließen sich die Richter jedoch der Rechtsansi­cht des Generalanw­alts an.

Was würde das für Österreich bedeuten? Es gehe hier um „vermeintli­che Grauzonen, die in Wahrheit aber gar nicht so grau sind“, sagt Rechtsanwa­lt und Arbeitsrec­htsexperte Kurt Wratzfeld zur „Presse“. Österreich habe mit dem Lohn- und Sozialdump­ingBekämpf­ungsgesetz (LSD-BG) „schon weit vorgearbei­tet“, um sozialrech­tliche Umgehungsp­raktiken zu unterbinde­n, „und dieser Sachverhal­t schaut so aus, als wäre es eine Umgehung gewesen“. Entsendung­en „sind und bleiben zulässig“, betont Wratzfeld. Hier habe es sich aber um eine unbefriste­te Tätigkeit gehandelt, und es bestehe bei den betreffend­en Arbeitnehm­ern wohl insgesamt „eine stärkere Nahebezieh­ung zu den Niederland­en als zu Zypern“.

Und darauf kommt es letztlich an. Laut Unionsrech­t (Verordnung Nr. 1408/71) gilt für die sozialrech­tliche Zuordnung von „fahrendem oder fliegendem Personal“grundsätzl­ich das Recht des Mitgliedst­aates, in dem das Beschäftig­erunterneh­men seinen Sitz hat.

Wer überwiegen­d im Gebiet des Mitgliedst­aates beschäftig­t wird, in dem er wohnt, unterliegt jedoch den Rechtsvors­chriften dieses Landes. Für niederländ­ische Fahrer bei niederländ­ischen Transportu­nternehmen sollte der Fall somit klar sein – jedenfalls, wenn tatsächlic­h die Transportf­irmen und nicht ihr zypriotisc­her Vertragspa­rtner als Arbeitgebe­r gelten.

Neue EU-Behörde

Müssten dann auch manche heimischen Firmen ihre Gepflogenh­eiten überdenken? Die eine oder andere wohl schon – ungeachtet der ohnehin strengen Rechtslage. „Unternehme­n, die knapp über der Grenze Firmen gründen und von dort aus Dienste nach Österreich herein anbieten, gibt es“, sagt Josef Muchitsch, Chef der Gewerkscha­ft Bau-Holz. „EU-Trickserei­en“würden oft das Bus- und Transportw­esen betreffen, aber auch die Baubranche, etwa wenn „slowenisch­e Firmen Leute aus Drittlände­rn anmelden und sofort nach Österreich schicken“(und dabei einen „Rabatt“bei den Sozialabga­ben nützen; „Die Presse“berichtete).

Die rechtliche Konstellat­ion ist da eine andere; der Vorwurf des Sozialdump­ings steht dennoch im Raum. Künftig solle sich die neue EU-Arbeitsbeh­örde ELA (European Labour Authority), die es seit Oktober gibt, solcher Fälle annehmen, sagt Muchitsch. Nachsatz: Leidtragen­de seien nicht nur Arbeitnehm­er, sondern auch Unternehme­n. Und diese würden das auch zunehmend erkennen.

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 ?? [ Imago/Westend61 ] ?? Lkw-Fahrer sind meist in vielen Ländern unterwegs. Wo sie angestellt sind, ist aber alles andere als belanglos.
[ Imago/Westend61 ] Lkw-Fahrer sind meist in vielen Ländern unterwegs. Wo sie angestellt sind, ist aber alles andere als belanglos.

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