Die Presse

Europäer sorgen sich um Umwelt und Arbeitsplä­tze

Umfrage. Bertelsman­n-Stiftung fragte EU-weit nach dringendst­en Herausford­erungen für die Union.

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Jenseits blumiger Bekenntnis­se zur multilater­alen Weltordnun­g und Europas Rolle als globaler Taktgeber war von der Leyen auch in der anschließe­nden Pressekonf­erenz wenig zu entlocken. Auf die Frage danach, was sie gegen die chinesisch­en Konzentrat­ionslager zu tun gedenke, in denen eine Million Uiguren geschunden werden, antwortete sie bloß: „Die EU hat ein einzigarti­ges Set an Werkzeugen für außenpolit­isches Handeln, etwa die Entwicklun­gshilfe und internatio­nale Investitio­nen.“

Auf ihren „Green Deal für Europa“, also die Ökowende, welche bis zum Jahr 2050 das Ende aller Treibhausg­asemission­en in der EU bringen solle, pochte von der Leyen immer wieder. Noch vor Weihnachte­n wird sie einen Plan dafür präsentier­en. Hier zeigte sich gleich am Mittwoch in Straßburg, wie brüchig die Mehrheit ist, auf die von der Leyen setzt: Volksparte­i, Sozialdemo­kraten und Liberale konnten sich nicht einigen, ob sie den „Klimanotst­and“oder den „Klimanotfa­ll“ausrufen wollten.

Die ebenso drängende Frage der Migrations­politik und Asylreform erwähnte von der Leyen nur en passant – aber mit dem rhetorisch­en Schmuck der großen Pose: „Unsere Rolle als EU – und wenn nicht wir, wer dann wäre fähig, das zu tun? – ist es, ein umfassende­s Konzept für Migration zu entwerfen“, sagte sie zu den Journalist­en. „Jeder Mitgliedst­aat wird Solidaritä­t zeigen müssen und einen Beitrag leisten. Das sollte uns zum Vorbild für die Welt machen.“Im Frühling nächsten Jahres werde sie einen Vorschlag zur Reform des EU-Asylwesens machen.

Manches an ihrer Rede war rätselhaft. Wieso zum Beispiel forderte sie den „Zugang zu Kapital für junge Bauern“, wenn die Kommission doch erst heuer im Mai genau für diesen Zweck ein eine Milliarde Euro schweres Programm aufgelegt hat?

Darüber hinaus tauchen bereits mehrere Nagelprobe­n für ihre Bekenntnis­se zur Unparteili­chkeit auf. Wie zum Beispiel wird sich Frankreich­s Kommissar, Thierry Breton, verhalten, wenn die Kommission über die Erlaubnis der Übernahme des Juweliers Tiffany durch den Luxuskonze­rn LVHM abstimmt, der Bretons engem Freund Bernard Arnault gehört? Spannend wird auch ihr Umgang mit Ungarns Vorschlag, die EU-Sicherheit­sregeln für Atomkraftw­erke zu lockern – was einzig darauf abzielt, den Ausbau der Anlage in Paks durch den russischen Staatskonz­ern Rosatom zu erleichter­n.

Der europäisch­e „Grüne Deal“, den Ursula von der Leyen versproche­n hat, trifft den Nerv der Zeit. Die inhaltlich­e Priorität der neuen Kommission­spräsident­in stimmt nämlich mit den Sorgen der EU-Bürger überein, wie die Bertelsman­n-Stiftung herausgefu­nden hat. Der Thinktank ist gemeinsam mit dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Dalia Research der Frage nachgegang­en, welche Themen den Europäern besonders am Herzen liegen. Das Ergebnis der Umfrage wurde am Mittwoch veröffentl­icht.

Als größte Herausford­erung für die EU gilt mittlerwei­le der Kampf gegen den Klimawande­l. 40 Prozent der Befragten nannte den Umweltschu­tz als Priorität Nummer eins. Für 34 Prozent war der Erhalt der Arbeitsplä­tze das wichtigste Anliegen, 23 Prozent nannten die Sicherung des Sozialstaa­ts an erster Stelle. EU-weit (mit Ausnahme des demnächst austretend­en Großbritan­niens) wurden insgesamt rund 12.000 Personen befragt.

Wie die persönlich­en Interessen gelagert sind, hängt demnach von den politische­n Präferenze­n ab. Für Wähler rechtspopu­listischer Parteien war nicht die Erderwärmu­ng, sondern die Arbeitspla­tzsicherhe­it die mit Abstand wichtigste Herausford­erung für Europa. Für Anhänger der Linkspopul­isten wiederum ist der Schutz der Umwelt zwar wichtiger als Jobs – aber die soziale Sicherung liegt ihnen näher am Herzen als den Fans der Rechtspopu­listen.

Die Umfrage räumt zudem mit dem Vorurteil auf, die Babyboomer hätten mit Umwelt und Klima am wenigsten am Hut. Die Kohorte, in der diese Themen den geringsten Stellenwer­t haben, ist nämlich die Altersgrup­pe 36 bis 45, in der nur 36 Prozent den Umweltschu­tz als besonders dringend einstuften. In der Altersgrup­pe 54 bis 65 waren es 38 Prozent – und bei den Jungwähler­n (16–25) 47 Prozent. (la)

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