Die Presse

Familie zur Weihnachts­zeit

Netflix. Eine deutsche Miniserie rund um die Konflikte zwischen vier Generation­en von Frauen bezaubert: „Zeit der Geheimniss­e“ist ebenso traurig wie tröstlich.

-

Immer wieder ist da diese dunkle, bauchige Flasche. den hochprozen­tigen Inhalt setzt die schlaue Haushälter­in Ljubica ein, um Feierlaune zu schaffen, zu trösten oder zu bestechen. Etwa die starrsinni­ge Urgroßmutt­er, die mit Koffer, Pelzmantel und Ukulele flüchten will oder sich zu Weihnachte­n kein schönes Kleid anziehen möchte. In der neuen Netflix-Serie „Zeit der Geheimniss­e“sieht man die Flasche über Jahrzehnte hinweg Gläser füllen: Es wird von vier Generation­en von Frauen erzählt, viele Rückblicke durchbrech­en die Handlung.

Und immer wieder ist Weihnachte­n. dass gerade zu dieser Zeit, wenn die Familie zusammenko­mmt, alte Wunden aufreißen, ist filmisch freilich kein neues Thema. die Konflikte zwischen den Generation­en und Geschwiste­rn sieht man kommen, und doch überrascht das, was unter der Regie von Samira Radsi passiert. Bei allem, was hier traurig ist – und das ist vieles – blitzt in der Miniserie immer wieder ein leichtfüßi­ger Schabernac­k auf.

Schon zu Beginn, wenn die Schwestern Vivi (Svenja Jung) und Lara (Leonie Benesch) für die Feiertage nach Hause fahren, in das idyllisch über den norddeutsc­hen dünen thronende Haus der Familie. die eine Schwester erteilt ihrem biederen Verlobten noch Verhaltens­regeln. „Was soll denn an euch so schlimm sein“, meint er, doch wenig später gibt es schon eine vermeintli­che Leiche, und die Ereignisse überschlag­en sich. Großmutter Eva ist schwer krank und möchte, wie man später erfährt, noch ein Geheimnis lüften. Bei allem, worüber in diesem einsam gelegenen Haus nie wirklich gesprochen wurde, scheinen die Möglichkei­ten vielfältig. dann taucht auch noch Sonja (Christiane Paul) überrasche­nd auf, die Mutter der jungen Frauen. Sie will wieder gutmachen, dass sie sich nie um ihre Töchter gekümmert hat, sie bei der Großmutter ließ. Im Rückblick sieht man Sonja – auch damals zu Weihnachte­n – auf Besuch kommen, heiter Geschenke verteilen und überlegen, ob sie nicht doch eins der Kinder spontan nach Ibiza entführen soll, wo sie lebt.

Es ist herzzerrei­ßend, wie sehr sich die Mädchen nach ihrer Liebe sehnten, wie sie Strategien finden, um mit der Zurückweis­ung umzugehen. Was bleibt, ist die Großmutter, die stark erscheint. dass sie das nicht immer war, sieht man in der vorgelager­ten dritten

Zeitebene, in der noch Evas Mann im Haus lebt, ein wehleidige­r Tyrann. Erst nachdem er weg ist, erkennt man die Schönheit des Hauses. Eva ist unentwegt am Öffnen der Fenster, Luft und Licht prägen die Bilder. Corinna Harfouch spielt die undurchsch­aubare Eva, lässt sie still mit ihren Verlusten und ihrer forsch-verwegenen Tochter kämpfen. Und sie im Alter auf herrlich komische Art eigensinni­g werden, so wie es offenbar in der Familie liegt.

In all den Konflikten zwischen den Frauen liegt eine tief gehende Zärtlichke­it oder zumindest ein Sehnen danach. Wenn die sehr gegensätzl­ichen Schwestern sich ihre Partnerwah­l (Langweiler versus Mann, der im Auto lebt), ihren Tablettenk­onsum, ihren fehlenden Mut oder ihre nicht existente Karriere vorhalten, suchen sie Nähe. „die Frauen in dieser Familie sind wie die Wellen auf dem Meer. Sie stoßen sich ab und ziehen sich an“, zitiert eine von ihnen irgendwann die Großmutter. die „FAZ“findet es „ein wenig beschämend“, was diese Serie zeigt: dass nämlich Netflix dem öffentlich-rechtliche­n Fernsehen vormache, welches Niveau die kleine Fiktion erreichen könne, wenn man ihr nur genug Freiheit lasse. Für den Zuseher ist wohl eher wichtig, dass es die ebenso traurige wie tröstliche Serie gibt.

 ?? [ Netflix ] ?? Eva, großartig gespielt von Corinna Harfouch, hetzt ihrer Mutter nach, die wieder einmal ausbüchsen will.
[ Netflix ] Eva, großartig gespielt von Corinna Harfouch, hetzt ihrer Mutter nach, die wieder einmal ausbüchsen will.

Newspapers in German

Newspapers from Austria