Die Presse

Das traurige Leben der Lamarr

Wien. Sie war schön, klug – und einsam und verkannt: Seit 30 Jahren kämpft Anthony Loder dafür, das Bild seiner Mutter, Hedy Lamarr, zurechtzur­ücken.

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Anthony Loder war ungefähr sieben, als er sich eines Tages auf einem Dachboden wiederfand. Seine Mutter hatte gerade einen texanische­n Ölmagnaten geheiratet, der ihr ein Haus hingestell­t hatte, und sie nutzte die Gelegenhei­t, um Kisten durchzusch­auen, die sie zuvor eingelager­t hatte. Aus einem der Kartons zog Hedy Lamarr ein Patent – für ein geheimes Kommunikat­ionssystem.

So fasziniert Loder damals als Siebenjähr­iger war, so beeindruck­t ist er bis heute. Und er hat es sich zur Lebensaufg­abe gemacht, von dieser zweiten, lang unbekannte­n Seite der einst „schönsten Frau der Welt“zu erzählen. „Sie hatte dauernd kluge Ideen und hat ständig darüber nachgedach­t, wie man Dinge verbessern könnte.“

Hedy Lamarr: Die ausgewande­rte Wienerin, die Karriere in Hollywood machte und die mit ihren Erfindunge­n Drahtloste­chnologien wie Bluetooth und Mobilfunk vorwegnahm. Die Geschichte, die Loder, zu Gast im Jüdischen Museum, über die Frau hinter diesen Schlagwort­en zu erzählen hat, ist eine zutiefst traurige. Hedy Lamarr, das sei eine Rolle gewesen; eine, die sie gestresst habe: „Wann immer sie an die Öffentlich­keit trat, musste sie das schöne Gesicht, das schöne Lächeln zeigen. Ganz egal, was in ihrem Leben gerade los war.“

Im Inneren sei seine Mutter stets Hedwig Kiesler geblieben. Naiv sei sie gewesen, dabei gutherzig, ehrlich und anständig, für ihn „europäisch­e Werte“, die sie auch ihm vermittelt habe. „Sie hat jedem vertraut, und jeder hat von ihr genommen, sie benutzt. Sie wurde oft im Stich gelassen. Und sie hatte keine Chance, sich in der Wissenscha­ft auszuleben, obwohl es das war, was sie wollte.“Das heute berühmte Frequenzsp­rungverfah­ren ersann sie während des Zweiten Weltkriegs, um das US-Militär zu unterstütz­en. Es landete in einer Schublade (erst 20 Jahre später wurde es ausgegrabe­n und genutzt), stattdesse­n setzte man auf ihr Aussehen, um Kriegsanle­ihen zu verkaufen und die Moral der Truppen zu heben – gerade flackert eines der Bilder mit Soldaten über die Wand. Ein anderes, deutet Loder, zeigt ihn und seine Mutter in den Sechzigern im Gericht – Ladendiebs­tahl.

Denn auch das Privatlebe­n der Lamarr war kein glückliche­s. Sie war Alleinerzi­eherin, ihre Ehen hielten nie lang. Ihre Männer waren „alle schwach, die meisten Alkoholike­r. Meine Mutter war eine dominieren­de Frau, sie hätte einen starken Mann gebraucht, der ihr Sicherheit gegeben hätte.“Loder war 15, als sie ihn zu sich rief. „Manchmal“, erklärte sie, allein in einem Kingsize-Bett sitzend, „fühle ich mich, als säße ich in einem kleinen Ruderboot, allein auf dem Ozean.“

Auch für ihre Kinder war das Leben an ihrer Seite extrem. „Extreme Ups und Downs, extrem warm, extrem kalt, liebevoll und sehr barsch“, formuliert es Loder. Er kann sich erinnern, dass sie ihm österreich­ische Wiegenlied­er vorgesunge­n hat. „Aber in dem

Moment, in dem ich mein Babyfett verlor, verlor ich auch meine Mutter.“Er und seine Schwester kamen früh ins Internat. Später gab es Phasen, in denen er wieder bei ihr lebte – rückblicke­nd länger als jeder andere.

Zum Skandal geriet auch ihre von Ghostwrite­rn ausgeschmü­ckte Autobiogra­fie, die sie nicht gegengeles­en hatte. 1988 versteiger­te sie Hab und Gut, kehrte Hollywood den Rücken und zog nach New York, um ihre letzte Rolle anzutreten: die der Zurückgezo­genen. Von Schönheits­operatione­n entstellt, verließ sie kaum mehr das Haus. Wenn das Neujahrsko­nzert lief, rief sie ihn an. „Sie lebte in Amerika, aber ihr Herz war immer hier.“

Als vor 30 Jahren Lamarrs Mutter starb, die Loder gepflegt hatte, begann er mit seiner neuen, selbst gewählten Aufgabe. Er hat ein Buch geschriebe­n, unterstütz­t Filme: „Calling Hedy Lamarr“etwa, oder „Bombshell“, den müsse man gesehen haben. Gerade entsteht eine Miniserie mit „Wonder Woman“Gal Gadot. In Wien überschlag­en sich derzeit – ganz ohne Jubiläum – die Veranstalt­ungen und Publikatio­nen. Mit der Schau im Jüdischen Museum, für die er ihren Nachlass zur Verfügung stellt, ist Loder sehr zufrieden – auch wenn er sie anders gewichtet hätte. „Nur fünf Prozent sind der Wissenscha­ft gewidmet. Wenn es nach mir ginge, wären es 95, und fünf Prozent Hollywood.“

Auf die Traumfabri­k ist er, der in Los Angeles lebt und mit seinem Unternehme­n (drahtlose!) Sicherheit­ssysteme für Villen verkauft hat, nicht gut zu sprechen. „Man hat keine Karriere für sie geplant.“Hollywood sei „doppelzüng­ig, betrügeris­ch und falsch“– und habe aus ihr „ein Monster“gemacht. Sein Fazit ist bitter. „Eine Million Menschen liebte Hedy Lamarr, aber niemand liebte sie. Sie war allein auf dieser Welt.“

 ?? [ Clemens Fabry] ?? Anthony Loder hat für die Hedy-LamarrScha­u im Museum am Judenplatz deren Nachlass zur Verfügung gestellt.
[ Clemens Fabry] Anthony Loder hat für die Hedy-LamarrScha­u im Museum am Judenplatz deren Nachlass zur Verfügung gestellt.

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