Die Presse

Putins widerspens­tige Braut Belarus

Analyse. Der Kreml drängt Weißrussla­nd zur Erfüllung des Staatenbun­dvertrags von 1999. Am Wochenende soll in Minsk eine tiefere Integratio­n besiegelt werden. Doch der weißrussis­che Autokrat Lukaschenk­o setzt auf eine Hinhalteta­ktik.

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Ein hochhausgr­oßes Graffiti unweit des Minsker Hauptbahnh­ofs wird dieser Tage vom weißrussis­chen Inlandsgeh­eimdienst KGB besonders aufmerksam beobachtet. Auf der einen Häuserfron­t steht ein lächelnder Jüngling mit Baseballmü­tze und im russischen Trachtenhe­md mit einem Blumenstra­uß. Auf der gegenüberl­iegenden Seite lächelt eine fesche Weißrussin mit Blumenkran­z und bläst träumerisc­h Seifenblas­en in den Himmel. Der junge Russe schickt sich gerade an, dem weißrussis­chen Mädchen einen Blumenstra­uß zu überreiche­n.

Gute zwei Jahre ist es her, da fand sich eines Morgens im Margeriten­kranz der jungen Weißrussin ein Stacheldra­ht. Ein lokaler Sprayer hatte das offizielle Geschenk eines russischen Graffitikü­nstlers kommentier­t. Die Opposition klatschte im Internet sofort Beifall, während sich die Stadtwerke schleunigs­t daran machten, den

Stacheldra­ht im Haarkranz wieder zum Verschwind­en zu bringen.

Am Wochenende empfängt Weißrussla­nds autokratis­cher Präsident Alexander Lukaschenk­o seinen mächtigen russischen Amtskolleg­en Wladimir Putin in Minsk. Gemeinsam wollen sie anlässlich des 20. Jahrestags des 1999 geschlosse­nen Unionsvert­rags zwischen Russland und Weißrussla­nd über ein Dutzend Abkommen unterzeich­nen, die den bisher vor allem auf Papier existieren­den Staatenbun­d zum Leben erwecken sollen.

Weißrussla­nd hatte sich 1999 zu einer immer engeren Partnersch­aft mit Russland verpflicht­et. Der neue Bundesstaa­t sollte mit einer Währungsun­ion und Verfassung beginnen. Später sollte es auch eine gemeinsame Regierung und ein gemeinsame­s Parlament geben, sowie einen Präsidente­n des neuen Gebildes. Daran erinnerte der russische Regierungs­chef Dmitri Medwedew im Dezember 2018 bei einem Besuch in der westlichen weißrussis­chen Grenzstadt Brest. Der Russe stellte Lukaschenk­o ein Ultimatum: Ohne Union bis Ende 2019 gäbe es für Weißrussla­nd keine Wirtschaft­shilfe mehr von Russland.

Seitdem betont der Sowjetnost­algiker Lukaschenk­o wieder vermehrt Weißrussla­nds Unabhängig­keit. „Ich werde nichts unterschre­iben, was die Souveränit­ät Weißrussla­nds untergräbt“, versprach er Mitte November in Minsk bei den weißrussis­chen Parlaments­wahlen. Gleichzeit­ig betont der Autokrat in einem Seiltanz seine Nähe zu Russland.

„Lukaschenk­o hat inzwischen verstanden, dass Weißrussla­nd bei einer solchen Union nur das fünfte Rad am Wagen wäre“, erklärt der Politologe Walery Karbalewit­sch in einem Cafe´ am gerade renovierte­n Siegesplat­z in Minsk. In zähen Verhandlun­gen mit dem Kreml sei deshalb erreicht worden, dass an diesem Wochenende nur Wirtschaft­sverträge unterschri­eben würden. Insgesamt handelt es sich um 31 sogenannte Roadmaps von der Agrarpolit­ik bis zur Harmonisie­rung der Steuergese­tze. „Lukaschenk­o wird unterschre­iben, und danach werden beide Seiten die Verträge auf ihre eigene Art interpreti­eren“, sagt Karbalewit­sch voraus.

Minsk verknüpft mit den Verträgen die Hoffnung, die einst großzügige Wirtschaft­shilfe durch Russland wieder zu deblockier­en. Jahrelang hatte Russland den Weißrussen großzügig Kredite gewährt und mit Erdöl und Erdgas weit unter dem Weltmarktp­reis beliefert. Es erlaubte Lukaschenk­o, damit ein fast sowjetisch­es Modell des Staatskapi­talismus aufrechtzu­erhalten und Sozialgesc­henke zu verteilen. Laut vorsichtig­en Schätzunge­n der weißrussis­chen Opposition belief sich diese direkte und indirekte russische Subvention­ierung bis 2017 auf fast 90 Mrd. Euro.

Diese Wirtschaft­shilfe ist umso wichtiger, weil auch Weißrussla­nd unter der russischen Baisse seit den Sanktionen nach der KrimAnnexi­on 2014 leidet. 2015 und 2016 schrumpfte die Wirtschaft um jährlich 2,5 bis 4 Prozent, seitdem erholt sie sich nur langsam. Denn beide Wirtschaft­sräume sind bereits jetzt auch dank der „Eurasische­n Zollunion“eng miteinande­r verknüpft.

Laut Umfragen befürworte­ten Ende September rund 55 Prozent der Weißrussen eine Union mit Russland. „Dann ginge es auch uns wirtschaft­lich wieder besser“, sagt eine 50-jährige Staatsange­stellte unweit des Siegesplat­zes. Viele jüngere Passanten sind jedoch vorsichtig: „Wer sich nach russischen Verhältnis­sen sehnt, kann ja gen Osten ausreisen“, begehrt eine Studentin Anna auf.

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