Wer wird beraten, wer darf arbeiten?
Asyl. Nur im Parlament diskutiert Türkis-Grün offen – über Abschiebungen und Lehre. Für die Koalition sucht man beim Thema Flucht noch Kompromisse. Bei der Rechtsberatung drängt die Zeit.
Die Koalitionsverhandler haben sich zur Verschwiegenheit verpflichtet, die Verhandlungen laufen geheim ab. Alle Verhandlungen? Nein, in einem Bereich kann die Öffentlichkeit gerade live miterleben, wie die Gespräche ablaufen und wer sich durchsetzen wird: Es geht um das Thema Abschiebung von Lehrlingen, denen Asyl verwehrt wurde. Das Parlament soll nächste Woche eine Lösung finden.
Für beide Seiten ist es ein Kernthema: Die ÖVP wurde für ihren strikten Kurs in Asylfragen gewählt, genauso aber auch die Grünen für ihre Suche nach humanitären Lösungen. Rudolf Anschober, einer der wichtigsten grünen Verhandler und Kandidat für ein Ministeramt, hat das Thema zu seiner Herzensangelegenheit gemacht und eine breite Initiative für die Lehrlinge, getragen von Wirtschaftsvertretern und NGOs, auf die Beine gestellt.
In einer ersten Runde – die Angelegenheit wurde im Budgetausschuss behandelt – hat sich eher die Volkspartei durchgesetzt. Deren Antrag sieht zwar einen Abschiebeschutz vor, aber in einem eng begrenzten Bereich, nämlich für Altfälle, die vor dem 12. September 2018 mit der Lehre begonnen haben.
Anschober will bis zur Abstimmung im Plenum noch viel mehr verhandeln: einen Abschiebestopp für alle Lehrlinge und ein Bleiberecht für weitere zwei Jahre – das ist eine Regelung, wie es sie in Deutschland schon gibt. Offen ist, was danach wäre: Möglich wäre, dass die Arbeitnehmer dann mittels Rot-Weiß-Rot-Karte bleiben können, so der Vorschlag von Wirtschaftsvertretern.
Die Debatte um die Lehrlinge ist typisch für die Differenzen der
Koalitionsverhandler in puncto Asyl. Theoretisch herrscht ja sogar Einigkeit: Beide Parteien sind gegen ungeregelte Zuwanderung, beide sind gegen eine Vermischung von Asyl und Zuwanderung. Strittig wird es, wenn es ins Detail geht: Was macht man mit abgewiesenen Asylwerbern? Darf man sie in unsichere Länder wie Afghanistan abschieben? Die Grünen sagen Nein, die ÖVP hätte damit weniger Probleme.
Oder die Frage, wie man mit Asylwerbern umgeht: Die Grünen wollen raschere Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse. Und sie wollen den Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge noch während des Asylverfahrens und pochen dabei auf die Umsetzung einer EU-Richtlinie, die das vorschreibt.
Außerdem gibt es ein Thema, das an sich schon von der Vorgängerregierung angegangen wurde: Nur einen Tag, bevor das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, beschlossen ÖVP und FPÖ eine große Neuerung im Asylbereich. Im Innenministerium wird eine neue, staatliche Agentur aufgebaut. Sie soll in den Bundesquartieren unter anderem für die Unterbringung und Verköstigung zuständig sein. Der wichtigste und gleichzeitig umstrittenste Punkt ist aber: Sie soll auch für die Rückkehr- und Rechtsberatung zuständig sein – inklusive Dolmetscherdienste.
Derzeit übernehmen noch NGOs wie die Diakonie und Volkshilfe diese Aufgabe. Bald werden ihnen aber die Kompetenzen entzogen. Für Betroffene ist es ausdrücklich nicht mehr zulässig, sich bei den Nichtregierungsorganisationen Rechtsberatung zu holen. Und es gibt auch andere Einschränkungen: Wird jemand festgenommen, um abgeschoben zu werden, steht ihm nur noch „nach Maßgabe vorhandener Kapazitäten“eine unentgeltliche Rechtsauskunft zu.
Das Gesetz wurde heftig kritisiert – von den NGOs, aber auch von den Grünen und der damaligen Abgeordneten der Liste Jetzt, Alma Zadic.´ Denn über das Asylverfahren entscheiden Mitarbeiter des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Innenministerium. Eine Rechtsberatung, die aus demselben Haus komme, könne also nicht unabhängig sein.
Der damalige Justizminister, Josef Moser (ÖVP), versuchte zu beschwichtigen: Der Bereichsleiter für die Rechtsberatung werde nicht vom Innenressort, sondern vom Justizministerium bestellt. Insgesamt sollen 110 Rechtsberater tätig sein. Die Frage ist nun, ob dies den Grünen ausreicht.
Denn die Zeit drängt, wenn die gesetzlichen Vorgaben von TürkisBlau eingehalten werden sollen: Gestern, Donnerstag, hat Innenminister Wolfgang Peschorn die Agentur „durch Unterzeichnung der Errichtungserklärung als Notariatsakt“offiziell ins Leben gerufen, heißt es aus dem Innenministerium zur „Presse“. Schon Ende Dezember bzw Anfang Jänner müssten die Verträge mit den NGOs gekündigt werden. Dann gilt die Kündigungsfrist von einem Jahr, ab 2021 könnte dann die Agentur die Beratung übernehmen.