Tempo 100 und höhere Steuer auf Diesel
Analyse. Was muss passieren, damit Europa die Klimaschutzziele erreicht? Vor allem beim Verkehr seien „drastische Einschnitte“notwendig, meinen Umweltexperten in Deutschland und Österreich. Die Frage ist, ob sich die Politik traut.
Es soll nicht nur bei Worten bleiben. Schon kommende Woche werde die EUKommission konkrete Schritte für die Erreichung ihrer Klimaschutzziele setzen, kündigte die neue Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, bei der UNO-Weltklimakonferenz in Madrid an.
Welche Maßnahmen, ließ von der Leyen offen. Nach Ansicht von Umweltexperten sind aber vor allem beim Verkehr „drastische Einschnitte“notwendig, um die Ziele erreichen zu können. Wie drastisch? Tempo 100 auf Österreichs Autobahnen, maximal 120 km/h auf deutschen Autobahnen, eine deutliche Erhöhung der Mineralölsteuer, die Abschaffung der Pendlerpauschale, eine Citymaut – das sind nur einige Punkte, die in Berichten der Umweltbundesämter in Deutschland und Österreich vorgeschlagen werden.
Als „ambitioniert, aber machbar“bezeichnet etwa das deutsche Umweltbundesamt in einem internen Bericht, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“am Donnerstag berichtete, seine Ziele. Ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen, auf denen man derzeit so schnell fahren kann, wie man will, ist tatsächlich ausgesprochen „ambitioniert“. Über diese Forderung hat sich bisher kein deutscher Politiker gewagt. Ebenso ein weiterer Vorschlag: Die steuerliche Begünstigung des Diesels soll nicht nur abgeschafft werden, die Steuer soll vielmehr steigen – bis 2030 um 70 Cent auf 1,19 Euro. Das würde einen Literpreis von mehr als zwei Euro ergeben. Benzin müsste laut UBA um 47 Cent teurer werden.
Auch das Pendeln mit dem eigenen Auto müsse nach Ansicht der Umweltexperten unattraktiver werden. Die Pendlerpauschale gehöre gestrichen, alle steuerlichen Privilegien für Dienstwagen abgeschafft und die Lkw-Maut erhöht.
Mit den bislang angestrebten Maßnahmen lassen sich die Klimaziele, zu denen sich Deutschland bei der Konferenz in Paris 2015 verpflichtet hat, nicht erreichen, glaubt Deutschlands oberste Umweltbehörde. Es bliebe „eine Klimaschutzlücke von 20 bis 30 Millionen Tonnen Treibhausgasen“.
Das Gleiche gilt für Österreich, wo das Umweltbundesamt heuer den „Sachstandsbericht Mobilität“veröffentlicht hat. Wörtlich heißt es darin: „Zur Erreichung der Klimaziele in Österreich sind große Änderungen beim Verkehr notwendig, die in die Alltagsroutinen jedes Einzelnen eingreifen werden.“Was Österreich bisher getan hat, reicht jedenfalls nicht aus. Selbst bei weitgehender Neuzulassung emissionsfreier Elektrofahrzeuge ab 2030 und unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Quellen wird „weniger als die Hälfte der erforderlichen Treibhausgasreduktion erzielt“, heißt es in dem Bericht.
E-Mobilität allein genügt also nicht, daher schlägt das Umweltbundesamt 50 Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes vor. Für einige gibt es Modellrechnungen, etwa für den Vorschlag, das Tempolimit ab 2020 auf Freilandstraßen auf 80 km/h, auf Autobahnen auf 100 km/h zu senken. Dies könne man mit geringen Kosten und kurzfristig umsetzen. Durch die „Verlangsamung und Harmonisierung des Verkehrsflusses werden nicht nur die Treibhausgasemissionen, sondern auch Luftschadstoff- und Geräuschemissionen reduziert“. Die Maßnahme hätte damit auch „signifikant positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung“, schreiben die Experten.
Wichtig sei aber, dass die Maßnahmen, etwa das Tempolimit, von den Menschen verstanden werden. „Begleitende bewusstseinsbildende Maßnahmen zur Steigerung der Maßnahmenakzeptanz in der Bevölkerung sind unabdingbar.“
Fraglich ist, ob sich die Politik in Österreich und Deutschland trotz des derzeit populären Themas Klimaschutz traut, solche Beschränkungen umzusetzen. Bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen sind Maßnahmen zum Schutz des Klimas ein wichtiger Punkt, viele gehören aber zu jenen gelb und rot markierten Stellen in den Berichten der Arbeitsgruppe, mit denen sich aktuell ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler vermittelnd beschäftigen müssen. Ob man sich finden wird, soll man angeblich schon bald wissen.