Die Presse

Der Mörder und sein Vollstreck­er

Akademieth­eater. Regisseuri­n Mateja Koleˇznik versuchte den fast vergessene­n Einakter „Der Henker“von Maria Lazar aufzupeppe­n. Das gelang ihr phasenweis­e, aber nicht ganz.

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Die Kritiken nach der Uraufführu­ng von „Der Henker“an der Neuen Wiener Bühne im Jahre 1921 waren, so hieß es, verhalten. Das Drama Maria Lazars (1895–1948), die aus einer großbürger­lichen, zum Katholizis­mus konvertier­ten jüdischen Familie stammte, wurde bald danach beinahe vergessen. Im Akademieth­eater hat die slowenisch­e Regisseuri­n Mateja Koleznikˇ fast ein Jahrhunder­t später ambitionie­rt eine Wiederbele­bung versucht. Diese ist ihr in einer streng unterkühlt­en Inszenieru­ng tatsächlic­h in gewissem Maße gelungen, wie es sich bei der Premiere am Mittwoch im Akademieth­eater in Wien erwies.

Der Text von nicht einmal zwei Dutzend Seiten wurde durch den Kunstgriff serieller Wiederholu­ng gestreckt. Eine Art Multiplika­tion erfuhr auch das Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt: Eine Zelle, links vorne die Toilette aus Stahl, dahinter die Sicherheit­stür mit Sichtschli­tz, rechts hinten eine lange Vertiefung in der Wand als Schlafstat­t, darüber Neonröhren, die immer wieder flackern, flimmern, summen. Nach jeder kurzen Szene wird die Zelle zur Seite gefahren, eine neue, ihr gleichende erscheint. So ergeben sich in Schleifen von Text und Raum manch hübsche Effekte. Allerdings wird beim Zelebriere­n des Dacapos übertriebe­n.

In eineinhalb Stunden erlebt man eine überrasche­nde Anfangssze­ne und einen spannenden Schluss. Dazwischen aber zieht sich das Geschehen manchmal beträchtli­ch.

Die Handlung ist rasch erzählt: Ein zum Tode verurteilt­er Mörder (Itay Tiran) wartet auf die Hinrichtun­g. Der Staatsanwa­lt (Hans Dieter Knebel) liest ihm vor, dass das Urteil am nächsten Morgen vollstreck­t werde. Der letzte Wunsch des Häftlings: Er will, dass sein Henker (Martin Reinke) ihn in der Zelle besucht. Das Motiv ist atavistisc­h, „Auge um Auge und Zahn um Zahn“wünscht der Verurteilt­e sich. Seinem Begehren wird stattgegeb­en. Auch eine Dirne (Sarah Viktoria Frick), ein Priester (Gunther Eckes) und der Kerkermeis­ter (Tilman Tuppy) treffen ihn. Durch sie wird die flüchtige Skizze einer Gesellscha­ft entworfen, die einen derart brutalen Akt zivilisato­risch rechtferti­gen will. Lazar deckt en passant das Inhumane auf.

Was macht Koleznikˇ daraus? Sie schwelgt in post-dramatisch­er Verdrehung, stellt das Stück auf den Kopf. Gleich zu Beginn zeigt sie das Ende. Ein Stöhnen im Halbdunkel, ein Handgemeng­e von Mörder und Henker, ein Gebet. Schon rollt der aseptisch-graue Raum auf die Seite, quasi für die erste Rückblende. Der Staatsanwa­lt tritt auf, liest sein Dokument vor. Der Häftling zerreißt das Dokument, setzt sich auf die Toilette, zieht die Hose etwas runter, wünscht sich die Begegnung mit dem Henker, steckt sich Toilettenp­apier in die Ohren, schleudert, allein gelassen, das Wägelchen mit dem letzten Mahl gegen die Wand. Die Regie führt die Gefühle in einer Ausnahmesi­tuation überdeutli­ch vor. Die nervig pulsierend­e Musik Nikolaj Efendis sowie die irritieren­den Lichteffek­te Norbert Pillers verstärken sie.

Der Henker erscheint, wird innig umarmt. Was für ein Gegensatz! Hier ein kriegsvers­ehrter Psychopath, der lustvoll mordete, da ein biederer Handwerker des Todes, der pflichtbew­usst hinrichtet. Man spricht über den Garten, die Familie. Reinkes Gemurmel und Tirans affektiert­es Reden mit leichtem Akzent wirken dabei geradezu absurd. Die Körperspra­che aber stimmt. Irgendwie kommt der Häftling zu einer Waffe – dem Taser erst, dann dem Messer des Henkers.

Mehrmals wird die Szene variiert, stets neu akzentuier­t. Das gilt auch für die Begegnung mit der Dirne. Frick spielt sie empathisch überdreht bis abgebrüht. Die hat was vor! Wenn sie auftritt, im zentralen Dialog, tut sich was. Die beiden schaffen Abgründe. Spannend geraten auch die kurzen, stummen Auftritte des Kerkermeis­ters. Blasser sind die übrigen Begegnunge­n. Am Ende, als erneut Stöhnen einsetzt, als es hell wird, wie im Nichts, ist das beinahe erlösend.

 ?? [ APA/Roland Schlager ] ?? Der Todeskandi­dat in der Nacht vor seiner Hinrichtun­g: Itay Tiran als Mörder und Sarah Viktoria Frick als Dirne.
[ APA/Roland Schlager ] Der Todeskandi­dat in der Nacht vor seiner Hinrichtun­g: Itay Tiran als Mörder und Sarah Viktoria Frick als Dirne.

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