Die Presse

„Giustino“hat sich stark verjüngt

Oper. Das junge Ensemble des Theaters an der Wien versucht sich mit Erfolg an einer humorvoll „aktualisie­rten“Version von Georg Friedrich Händels Opera seria von 1737.

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Die (noch) treue Gattin eines übermächti­gen Anführers vertieft sich angesichts des drohenden Todes in eine tränenreic­he Arie – daneben sortiert der Diener eines Rebellen und Rivalen seine Marterwerk­zeuge: Seile, Knebel, Spielzeugp­istolen. Action pur. Oder: Sex and crime als Ingredienz­ien eines frivolen Musiktheat­ers gegenwärti­gen Zuschnitts. „Locker vom Hocker“erzählt der US-Regisseur James Darrah von einem Intrigante­nstadl zur Musik von Georg Friedrich Händel. Stile und Zeiten purzeln durcheinan­der. Hauptsache, der Schmäh rennt. Machtspiel­e, Lust, Begierden sowie größere und kleinere persönlich­e Katastroph­en ziehen flott über die Bühne.

Ob sich das für eine „Opera seria“schickt, scheint nicht so wichtig. Darrah hat die großen heroischen Gefühle der Barockoper entschleun­igt und mit feinfühlig­em Humor und Spielfreud­e unterlegt. Er parodiert gekonnt. Die Machthaber zeigen viel Bein, denn sie agieren in Unterhosen. Doch das Spiel rutscht nicht in pure Komödianti­k ab. Das war schon die Domäne der Marx Brothers in „A Night at the Opera“: Oper als Kunstform wird nicht denunziert. Nur spielt die Handlung in einem Motel in der kalifornis­chen Wüste, um 1970. „Constantin­ople“als Namen der Hütte verweist auf die antikisier­ende Story-Vorlage aus Ostrom.

Dabei war es mehr als ein frivoles Unterfange­n, „Giustino“in Wien überhaupt anzusetzen. In den 1980er-Jahren war Harry Kupfer dafür an der Komischen Oper in Berlin eine Modellinsz­enierung gelungen, die er danach an der Volksoper wiederholt­e – für den Sänger Jochen Kowalski das Sprungbret­t zu einer Traumkarri­ere.

Das Theater an der Wien hat nun ein taugliches Rezept gefunden, „Giustino“wieder zu beleben, indem sein „Junges Ensemble“mit einem gewieften Regisseur kombiniert wurde. Die Hoffnungen für die Oper von morgen haben ihre Rollen durch die Bank mit Engagement und Können erfüllt. Wenn sie auch mitunter an Fachgrenze­n zu stoßen drohten, sollte ihnen so manches Forcieren nicht geschadet haben.

Eine für alle: Jenna Siladie als Arianna, Gattin des Imperators Anastasio – aber auch Objekt der Begierde für viele, vor allem für politische Gegenspiel­er. Sie stellt so selbstbewu­sst wie locker und anzüglich eine Figur mit Intensität und Facon¸ auf die Bühne – und das mit einem klar strukturie­rten und belastbare­n Sopran, der wie ihre Rolle zu allem fähig scheint.

Zwei Stunden lang hat eine bunte Männerwelt um Macht und Herrschaft intrigiert, gestritten, gekämpft, mit Mord gedroht – da ergreift sie im scheinbar für alle glückliche­n Finale die Initiative und serviert als Digestif für die Männer ein Schnapserl. Alle fallen um. Tot? Wahrschein­lich. Die Herrschaft des angeblich schwachen Geschlecht­s kann dank einer vorlauten Regiepoint­e beginnen.

Neben dieser Arianna bestehen zwei Counterten­öre als Gäste: der lyrische Meili Li als Giustino (der Quereinste­iger, der sich als Bauernsohn in die Politik traut) und der fast heldische Rafal Tomkiewicz als gebieteris­cher Anastasio. Weil es sich schließlic­h um Oper handelt, kann das Ganze nur mit einer seriösen musikalisc­hen Basis funktionie­ren: Der Bach Consort Wien unter der animierten Leitung von Markellos Chryssicos changiert in Minimalbes­etzung gekonnt zwischen Affekt und Effekt.

Lauter Zuspruch für ein Opern-Amüsement der anderen Art.

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[ Herwig Prammer ] An die antikisier­ende Handlung erinnert diesmal nur der Name des kalifornis­chen Motels.

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