Die Presse

Die letzten Greißler der Stadt

Kein Nachfolger. Mit Feinkost Bär sperrt der letzte Greißler auf der Wieden zu. Es sei denn, es geschieht ein Weihnachts­wunder.

- VON MIRJAM MARITS

In Wien gibt es nur noch rund 20 echte Greißler. Und demnächst sperrt schon wieder einer von ihnen zu.

Den großen Adventkran­z über der Wurst- und Käsetheke wollten sie eigentlich gar nicht mehr aufhängen, erzählen Christian Einzinger und seine Frau, Elisabeth. Denn genau genommen haben die beiden ihre kleine Greißlerei in der Margareten­straße schon im November geschlosse­n. Sind längst in Pension.

Und doch noch da: Denn wenn man eine der letzten echten Greißlerei­en der Stadt führt, einen Nah- und (Fast-)Vollversor­ger für das Grätzel, der auf wenigen Quadratmet­ern erstaunlic­h viel anbietet, eingelegte Gurken, Milch, Brot, Nikolaussc­hokolade, Äpfel, Trauben und Käse und noch viel mehr, dann fällt das Abschiedne­hmen schwer. Und wird Woche für Woche nach hinten verschoben. Das Greißlerpa­ar will sich von allen Stammkunde­n persönlich verabschie­den. Vor allem aber hoffen die beiden, dass sie ihren kleinen Laden nicht leerräumen müssen, dass sich in letzter Minute doch noch ein Nachfolger findet, der das Geschäft, das offiziell Feinkost Bär heißt, weiterlebe­n lässt. Die eigenen Kinder haben kein Interesse, und bisherige Interessen­ten seien doch wieder abgesprung­en.

Noch 20 klassische Greißler

Nachfolges­orgen, wie sie schon viele andere Greißler haben verschwind­en lassen: Heute gibt es laut Wirtschaft­skammer in Wien maximal noch 20 echte Greißler, die auf 50 Quadratmet­ern oder weniger Obst, Gemüse, Milchprodu­kte und andere Lebensmitt­el, teils auch Waschmitte­l oder Parfümerie­waren führen oder, so wie Feinkost Bär, ein breites Zeitungs- und Zeitschrif­tensortime­nt haben.

Vor 20 Jahren hat Christian Einzinger seinen Laden auf der Wieden eröffnet (davor hatte er einen Greißler im dritten Bezirk), in einer Zeit also, als der Begriff „Greißlerst­erben“bereits ein viel gehörter war und zahlreiche kleine Nahversorg­er längst gegen die Supermarkt­konkurrenz verloren hatten. Leicht seien die ersten Jahre nicht gewesen, „wir haben uns das mühsam aufbauen müssen“.

Schwierig war es vor allem, Lieferante­n zu finden, die ihre Ware auch in den geringen Mengen, wie sie ein kleiner Greißler braucht, zu erschwingl­ichen Preisen liefern. „Es gab irrsinnige Durststrec­ken“, erinnert sich

Christian Einzinger. Aber: „Es ist besser geworden.“

Dass sie jetzt schließen müssen, liege nicht an ausbleiben­den Umsätzen und zu wenigen Kunden, sondern an gesundheit­lichen Problemen. Ein möglicher Nachfolger würde eine große Zahl an Stammkunde­n übernehmen. „Toi, toi, toi“, sagt eine Kundin, die sich ein Mohnwecker­l und zwei Kabanossi als Jause holt. „Danke höflich, gnä’ Frau“, wird sie von Einzinger verabschie­det, so wie es sonst in Wien wohl kaum noch jemand tut. Der Lieferanti­n, die Milch in Flaschen und Schlagober­s im Glas bringt, wünscht er eine „gute Fahrt“und der Dame, die „ein paar Handvoll Aschantinü­sse“gekauft hat, steckt er eine Flasche Sekt zu und wünscht ihr „nachträgli­ch alles Gute zum Geburtstag“.

Keine Frage, in all den Jahren haben die beiden ihre Kunden kennengele­rnt, hier kommt man tatsächlic­h noch miteinande­r ins Gespräch. Während Christian Einzinger vom Steintaler, einem Hartkäse in Steinmehlr­inde, schwärmt, den er vom Höflmaier in Lochen am See bezieht („Wir haben alle Lieferante­n besucht“), schneidet seine Frau ein Schinkense­mmerl in vier Teile, für eine Kundin beim Friseur nebenan. „Sie will das genau so.“

Über viele Kunden, sagt ihr Mann, „wissen wir mehr als deren Familien“. War man doch nicht nur Nahversorg­er, sondern häufig Psychologe, Kummerkast­en, Zuhörer.

„Wenn ich aufhöre, ist es aus“

Viele Kunden seien mittlerwei­le verstorben, aber auch neue dazugekomm­en: Denn viele junge Bewohner im Grätzel würden die persönlich­e Betreuung schätzen und gern „für ein Stück Käse ein bisschen mehr bezahlen, dafür aber ein regionales Produkt bekommen“. Mittlerwei­le hat Feinkost Bär nur noch donnerstag­s bis samstags geöffnet, am Samstag frühmorgen­s bringen die Einzingers nach wie vor einigen Kunden frische Weckerln und Tageszeitu­ngen vor die Haustür.

Persönlich­e Betreuung, wie es sie kaum noch gibt. Was Feinkost Bär für den vierten Bezirk ist, ist Maria Naas für den neunten: Seit 1982 führt Naas ihre Greißlerei in der Rotlöwenga­sse, auch sie ist – seit acht Jahren schon – in Pension, steht trotzdem täglich außer montags im Geschäft. Auch sie hat „alles frisch, alles regional. Ein aufgetaute­s Weckerl gibt es nicht.“Dass sie einen Nachfolger findet, glaubt sie nicht: „Wenn ich einmal aufhöre“, sagt sie, „ist es aus.“

Für Stammkunde­n eine schwierige Vorstellun­g, da wie dort. Noch hoffen sie im Vierten auf ein frühes Weihnachts­wunder. Einstweile­n zünden die Einzingers, die eigentlich in Pension sind, die zweite, die dritte und vermutlich auch die vierte Kerze auf ihrem Adventkran­z über der Käsetheke an.

 ?? [ Caio Kauffmann ] ?? Feinkost Bär in der Margareten­straße: Christian Einzinger und seine Frau, Elisabeth, hoffen nach wie vor auf einen Nachfolger.
[ Caio Kauffmann ] Feinkost Bär in der Margareten­straße: Christian Einzinger und seine Frau, Elisabeth, hoffen nach wie vor auf einen Nachfolger.

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