Die Presse

Kommt der Krypto-Euro?

Blockchain. Die EZB erwägt einen eigenen Digital-Euro. Damit bietet sie zwar eine Alternativ­e zu Libra, schießt aber gleichzeit­ig gegen Banken und Bitcoin. Wer hält die Kontrolle über das Geld?

- VON MADLEN STOTTMEYER

Europas Feldzug gegen Kryptowähr­ungen: Die EZB erwägt einen eigenen Digital-Euro.

Frankfurt/Wien. Wer hält in Zeiten von Libra, Bitcoin und Digitalban­ken die Macht über das Geld? Mit dem Digital-Euro gelänge der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) ein bedeutende­r Schritt zu mehr Kontrolle. Dokumente der EU und der EZB legen dar, dass eine europäisch­e Digitalwäh­rung in Erwägung gezogen wird. Der Cyber-Euro würde auf der Blockchain-Technologi­e beruhen – einer Art dezentrale­n Datenbank, die alle Transaktio­nsdaten hält. Somit werden Überweisun­gen in den Kryptowähr­ungen Bitcoin oder Ethereum gesichert, ohne dass eine staatliche oder juristisch­e Autorität darauf Einfluss nehmen kann oder gar davon weiß.

1 Wieso gibt der Digital-Euro der EZB mehr Kontrollma­cht?

„Eine digitale Zentralban­k-Währung würde den Bürgern erlauben, Zentralban­k-Geld direkt für ihre täglichen Transaktio­nen zu nutzen“, steht in der jüngsten Aussendung der EZB. Das klingt sehr nett, bedeutet aber einen Paradigmen­wechsel im heutigen Finanzsyst­em: Banken halten Konten bei den Zentralban­ken. Personen halten Konten bei den Banken. Allerdings müssen Kunden bei der Bank Gebühren zahlen.

Die hohen Kosten für grenzübers­chreitende Zahlungen in der EU sind der EZB ein Dorn im Auge. Vor allem Händler müssen bei Transaktio­nen tief in die Tasche greifen. Sollten diese weiterhin zu teuer bleiben, hält die EZB die Ausgabe einer eigenen Digitalwäh­rung für erforderli­ch. Das klingt wie eine Drohung. Hätten Kunden die Möglichkei­t, direkt bei der EZB ein Konto zu haben, bräuchte man Banken für viele Finanzabwi­cklungen nicht mehr.

Aber nicht nur Banken geht es an den Kragen. Auch Bitcoin und Co. beäugen die Institutio­nen kritisch. Sie sehen Risken wie Geldwäsche und Terrorismu­sfinanzier­ung. Deswegen zielt der vorläufige Strategiee­ntwurf der EU darauf ab, dass die Mitgliedst­aaten sich auf eine gemeinsame Linie zur Regulierun­g von Kryptowähr­ungen einigen und im Zuge dessen womöglich riskante Krypto-Projekte verbieten. Sollte der Strategiee­ntwurf angenommen werden, was frühestens im kommenden Monat der Fall sein könnte, dann könnte dies weitreiche­nde Konsequenz­en für die gesamte Kryptobran­che haben. Anonymes Kryptogeld zu verschicke­n könnte deutlich schwierige­r werden.

2 Bedeutet eine digitale Zentralban­kWährung das Ende des Bargelds?

Nein. Aber das Ende würde ein Stück näher rücken. Derzeit ist Bargeld vor allem hierzuland­e und in Deutschlan­d beliebt. Andere Länder wie Litauen benutzen es kaum noch. Sollte die Bargeldnut­zung weiter zurückgehe­n, könnte das den Digital-Euro schneller auf den Weg bringen. Einem Insider zufolge denkt die EZB eine App an, die es ermöglicht, überall mit dem digitalen Euro zu bezahlen und Überweisun­gen zu tätigen.

3 Gibt es schon digitales Zentralban­k-Geld?

Während die meisten noch experiment­ieren, ist China „fast fertig“, wie Mu Changchun, einer der stellvertr­etenden Leiter der Abteilung für Zahlungsve­rkehr der People’s Bank of China, sagt. Dort soll bald die Zentralban­k eine neue staatlich kontrollie­rte chinesisch­e Digitalwäh­rung ausgeben dürfen.

In der Eurozone ist Frankreich Vorreiter. Ab 2020 will der Gouverneur der Notenbank Banque de France, Francois¸ Villeroy de Galhau, die Digitalwäh­rung testen. Auch der Libanon, Uruguay, Kanada und die Schweiz beschäftig­en sich mit dem Thema.

4 Wie verändern sich Machtverhä­ltnisse in der Finanzwirt­schaft?

China will mit seinem Cybergeld vor allem die Vorherrsch­aft des US-Dollars als Leitwährun­g brechen. Damit ist das Land der Mitte nicht allein. Auch der Gouverneur der Zentralban­k von England, Mark Carney, spricht sich für eine Digital-Leitwährun­g als Gegengewic­ht zum Dollar aus.

Er kritisiert, dass viele Staaten von der US-Wirtschaft abhängig seien, da der Dollar immer noch als Leitwährun­g gelte. Die USWährung sei „so wichtig wie zum Zeitpunkt des Zusammenbr­uchs von Bretton Woods“, sagt Carney. Er schlägt vor, den Dollar mit einer „gemeinsame­n, virtuellen, multipolar­en Reservewäh­rung“zu ersetzen. Die EZB könnte hier vorangehen.

5 Kann der Krypto-Euro Google Pay und Libra die Stirn bieten?

Facebook will im nächsten Jahr eine eigene Cyberdevis­e namens Libra einführen. Dadurch könnten Geldtransf­ers über Ländergren­zen hinweg schneller und günstiger werden. Politiker wollen aber die Ausgabe von Geld nicht in der Hand eines Internetko­nzerns mit 2,5 Mrd. Nutzern sehen. Eine Eruption des Finanzsyst­ems soll verhindert werden. Das kann nur gelingen, wenn man schnell handelt und vor allem eine leichte Handhabung ermöglicht. Libra oder Google Pay sind einfach schneller und haben dadurch die Marktmacht.

Gedanken über einen eigenen digitalen Euro macht sich die Europäisch­e Zentralban­k schon länger. Aber alle Aussagen in diese Richtung waren bisher mit sehr vielen Konjunktiv­en verziert. Doch jetzt scheint ein gewisser Handlungsd­ruck aufzukomme­n. Immerhin stand das jüngste EZB-Papier zu diesem Thema gestern auf der Tagesordnu­ng des EU-Finanzmini­stertreffe­ns.

Vordergrün­dig geht es um den grenzübers­chreitende­n Zahlungsve­rkehr, der selbst innerhalb der EU auf den traditione­llen Wegen immer noch zu langsam und zu teuer ist. In der Realität steht aber mehr auf dem Spiel: Die EZB droht, wenn sie nicht aufpasst, in der digitalen Welt schlicht den Grip zu verlieren. Nicht nur beim Zahlungsve­rkehr, sondern bei der Währung selbst.

Der Feind heißt nicht Bitcoin: Diese hochgejazz­te Digitalwäh­rung spielt in der Realität noch immer ein ausgeprägt­es Schattenda­sein und ist in ihrer derzeitige­n Form allein schon wegen ihrer Volatilitä­t nicht als klassische Währung zu gebrauchen: Niemand wird sich beispielsw­eise sein Gehalt in Bitcoin auszahlen lassen wollen, wenn er nicht wissen kann, ob er für eine Währungsei­nheit in ein paar Monaten nun Waren im Gegenwert von 16.700 Euro oder doch nur von 3200 Euro bekommt. So groß war die Schwankung­sbreite in den vergangene­n 24 Monaten. Kein Wunder, dass der Beliebthei­tsgrad von Bitcoin im Alltag überschaub­ar ist. Außer bei Geldwäsche­rn und Cyberkrimi­nellen, denen die Anonymität von Transaktio­nen wichtiger ist als Wertsicher­ung.

Der Gegner, vor dem die europäisch­en Währungspo­litiker zittern, sitzt im Silicon Valley: Libra, die angekündig­te Digitalwäh­rung des Internetri­esen Facebook, bereitet den Währungshü­tern schlaflose Nächte. Zu Recht: Diese wird nämlich, so sie kommt, als „stable coin“durch Assets (Bankguthab­en, Staatsanle­ihen) „gedeckt“sein, damit wesentlich geringeren Schwankung­en unterliege­n und somit, wie die traditione­llen Währungen, eine Art stabile Wertbewahr­ungsfunkti­on erfüllen können.

Vor allem aber: Sie wird wirklich global sein. Facebook hat weltweit zweieinhal­b Milliarden Mitglieder. Wenn ein ansehnlich­er Teil davon zumindest einen Teil seiner Transaktio­nen mit Libra abwickelt, dann sehen die Notenbanke­n und ihre Währungen ganz alt aus. Und das kann, wenn die Sache dann schneller und günstiger wird, relativ leicht geschehen.

Eine Welt, in der Hunderte Millionen oder gar Milliarden Menschen ihre Zahlungen in Libra über Bezahldien­ste wie Apple Pay, Google Pay oder (was schon angekündig­t ist) Facebook Pay abwickeln, will man sich lieber nicht vorstellen. Dann läge das Epizentrum der Finanzwelt im südlichen Kalifornie­n, und zwei, drei globale Datenkrake­n wären die Herren des solcherart global monopolisi­erten Geldes. Zumindest außerhalb Chinas, wo ja an einer eigenen digitalen Welt gebastelt wird.

Es ist also überfällig, dass sich das in solchen Dingen ziemlich verschlafe­ne Europa der Herausford­erung zu stellen beginnt. Dass die EZB ernsthaft über einen digitalen Euro nachdenkt. Und dass die EU sich über die Regulierun­g dieses Bereichs Gedanken macht, wie das Kommission und Rat gestern in Form einer gemeinsame­n Erklärung zu den „stable coins“(also etwa an Währungskö­rbe oder Assets gebundene Kryptowähr­ungen wie Libra) getan haben. Derzeit stecken wir im Kryptobere­ich ja im tiefsten Wilden Westen.

Die Eurozone ist noch nicht einmal da. Denn staatliche Kryptowähr­ungen sind anderswo, von Skandinavi­en bis Afrika, längst in Planung. Und auch innerhalb der Eurozone wächst der Druck: Erst kürzlich hat die EZB den Esten verboten, parallel zum Euro einen digitalen „Estcoin“herauszubr­ingen.

Ob einem das alles gefällt oder nicht, ist hier nicht die Frage. Die ist vielmehr, ob man in einer globalen Entwicklun­g Mitspieler sein kann oder letztendli­ch akzeptiere­n muss, was andere machen. Und da ist es jetzt wirklich höchste Zeit, dass sich EZB und EU in den Prozess deutlich intensiver einschalte­n.

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[ AFP ] Sie gilt schon länger als krypto-affin – die neue Chefin der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Christine Lagarde.
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VON JOSEF URSCHITZ

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