Kommt der Krypto-Euro?
Blockchain. Die EZB erwägt einen eigenen Digital-Euro. Damit bietet sie zwar eine Alternative zu Libra, schießt aber gleichzeitig gegen Banken und Bitcoin. Wer hält die Kontrolle über das Geld?
Europas Feldzug gegen Kryptowährungen: Die EZB erwägt einen eigenen Digital-Euro.
Frankfurt/Wien. Wer hält in Zeiten von Libra, Bitcoin und Digitalbanken die Macht über das Geld? Mit dem Digital-Euro gelänge der Europäischen Zentralbank (EZB) ein bedeutender Schritt zu mehr Kontrolle. Dokumente der EU und der EZB legen dar, dass eine europäische Digitalwährung in Erwägung gezogen wird. Der Cyber-Euro würde auf der Blockchain-Technologie beruhen – einer Art dezentralen Datenbank, die alle Transaktionsdaten hält. Somit werden Überweisungen in den Kryptowährungen Bitcoin oder Ethereum gesichert, ohne dass eine staatliche oder juristische Autorität darauf Einfluss nehmen kann oder gar davon weiß.
1 Wieso gibt der Digital-Euro der EZB mehr Kontrollmacht?
„Eine digitale Zentralbank-Währung würde den Bürgern erlauben, Zentralbank-Geld direkt für ihre täglichen Transaktionen zu nutzen“, steht in der jüngsten Aussendung der EZB. Das klingt sehr nett, bedeutet aber einen Paradigmenwechsel im heutigen Finanzsystem: Banken halten Konten bei den Zentralbanken. Personen halten Konten bei den Banken. Allerdings müssen Kunden bei der Bank Gebühren zahlen.
Die hohen Kosten für grenzüberschreitende Zahlungen in der EU sind der EZB ein Dorn im Auge. Vor allem Händler müssen bei Transaktionen tief in die Tasche greifen. Sollten diese weiterhin zu teuer bleiben, hält die EZB die Ausgabe einer eigenen Digitalwährung für erforderlich. Das klingt wie eine Drohung. Hätten Kunden die Möglichkeit, direkt bei der EZB ein Konto zu haben, bräuchte man Banken für viele Finanzabwicklungen nicht mehr.
Aber nicht nur Banken geht es an den Kragen. Auch Bitcoin und Co. beäugen die Institutionen kritisch. Sie sehen Risken wie Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Deswegen zielt der vorläufige Strategieentwurf der EU darauf ab, dass die Mitgliedstaaten sich auf eine gemeinsame Linie zur Regulierung von Kryptowährungen einigen und im Zuge dessen womöglich riskante Krypto-Projekte verbieten. Sollte der Strategieentwurf angenommen werden, was frühestens im kommenden Monat der Fall sein könnte, dann könnte dies weitreichende Konsequenzen für die gesamte Kryptobranche haben. Anonymes Kryptogeld zu verschicken könnte deutlich schwieriger werden.
2 Bedeutet eine digitale ZentralbankWährung das Ende des Bargelds?
Nein. Aber das Ende würde ein Stück näher rücken. Derzeit ist Bargeld vor allem hierzulande und in Deutschland beliebt. Andere Länder wie Litauen benutzen es kaum noch. Sollte die Bargeldnutzung weiter zurückgehen, könnte das den Digital-Euro schneller auf den Weg bringen. Einem Insider zufolge denkt die EZB eine App an, die es ermöglicht, überall mit dem digitalen Euro zu bezahlen und Überweisungen zu tätigen.
3 Gibt es schon digitales Zentralbank-Geld?
Während die meisten noch experimentieren, ist China „fast fertig“, wie Mu Changchun, einer der stellvertretenden Leiter der Abteilung für Zahlungsverkehr der People’s Bank of China, sagt. Dort soll bald die Zentralbank eine neue staatlich kontrollierte chinesische Digitalwährung ausgeben dürfen.
In der Eurozone ist Frankreich Vorreiter. Ab 2020 will der Gouverneur der Notenbank Banque de France, Francois¸ Villeroy de Galhau, die Digitalwährung testen. Auch der Libanon, Uruguay, Kanada und die Schweiz beschäftigen sich mit dem Thema.
4 Wie verändern sich Machtverhältnisse in der Finanzwirtschaft?
China will mit seinem Cybergeld vor allem die Vorherrschaft des US-Dollars als Leitwährung brechen. Damit ist das Land der Mitte nicht allein. Auch der Gouverneur der Zentralbank von England, Mark Carney, spricht sich für eine Digital-Leitwährung als Gegengewicht zum Dollar aus.
Er kritisiert, dass viele Staaten von der US-Wirtschaft abhängig seien, da der Dollar immer noch als Leitwährung gelte. Die USWährung sei „so wichtig wie zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs von Bretton Woods“, sagt Carney. Er schlägt vor, den Dollar mit einer „gemeinsamen, virtuellen, multipolaren Reservewährung“zu ersetzen. Die EZB könnte hier vorangehen.
5 Kann der Krypto-Euro Google Pay und Libra die Stirn bieten?
Facebook will im nächsten Jahr eine eigene Cyberdevise namens Libra einführen. Dadurch könnten Geldtransfers über Ländergrenzen hinweg schneller und günstiger werden. Politiker wollen aber die Ausgabe von Geld nicht in der Hand eines Internetkonzerns mit 2,5 Mrd. Nutzern sehen. Eine Eruption des Finanzsystems soll verhindert werden. Das kann nur gelingen, wenn man schnell handelt und vor allem eine leichte Handhabung ermöglicht. Libra oder Google Pay sind einfach schneller und haben dadurch die Marktmacht.
Gedanken über einen eigenen digitalen Euro macht sich die Europäische Zentralbank schon länger. Aber alle Aussagen in diese Richtung waren bisher mit sehr vielen Konjunktiven verziert. Doch jetzt scheint ein gewisser Handlungsdruck aufzukommen. Immerhin stand das jüngste EZB-Papier zu diesem Thema gestern auf der Tagesordnung des EU-Finanzministertreffens.
Vordergründig geht es um den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, der selbst innerhalb der EU auf den traditionellen Wegen immer noch zu langsam und zu teuer ist. In der Realität steht aber mehr auf dem Spiel: Die EZB droht, wenn sie nicht aufpasst, in der digitalen Welt schlicht den Grip zu verlieren. Nicht nur beim Zahlungsverkehr, sondern bei der Währung selbst.
Der Feind heißt nicht Bitcoin: Diese hochgejazzte Digitalwährung spielt in der Realität noch immer ein ausgeprägtes Schattendasein und ist in ihrer derzeitigen Form allein schon wegen ihrer Volatilität nicht als klassische Währung zu gebrauchen: Niemand wird sich beispielsweise sein Gehalt in Bitcoin auszahlen lassen wollen, wenn er nicht wissen kann, ob er für eine Währungseinheit in ein paar Monaten nun Waren im Gegenwert von 16.700 Euro oder doch nur von 3200 Euro bekommt. So groß war die Schwankungsbreite in den vergangenen 24 Monaten. Kein Wunder, dass der Beliebtheitsgrad von Bitcoin im Alltag überschaubar ist. Außer bei Geldwäschern und Cyberkriminellen, denen die Anonymität von Transaktionen wichtiger ist als Wertsicherung.
Der Gegner, vor dem die europäischen Währungspolitiker zittern, sitzt im Silicon Valley: Libra, die angekündigte Digitalwährung des Internetriesen Facebook, bereitet den Währungshütern schlaflose Nächte. Zu Recht: Diese wird nämlich, so sie kommt, als „stable coin“durch Assets (Bankguthaben, Staatsanleihen) „gedeckt“sein, damit wesentlich geringeren Schwankungen unterliegen und somit, wie die traditionellen Währungen, eine Art stabile Wertbewahrungsfunktion erfüllen können.
Vor allem aber: Sie wird wirklich global sein. Facebook hat weltweit zweieinhalb Milliarden Mitglieder. Wenn ein ansehnlicher Teil davon zumindest einen Teil seiner Transaktionen mit Libra abwickelt, dann sehen die Notenbanken und ihre Währungen ganz alt aus. Und das kann, wenn die Sache dann schneller und günstiger wird, relativ leicht geschehen.
Eine Welt, in der Hunderte Millionen oder gar Milliarden Menschen ihre Zahlungen in Libra über Bezahldienste wie Apple Pay, Google Pay oder (was schon angekündigt ist) Facebook Pay abwickeln, will man sich lieber nicht vorstellen. Dann läge das Epizentrum der Finanzwelt im südlichen Kalifornien, und zwei, drei globale Datenkraken wären die Herren des solcherart global monopolisierten Geldes. Zumindest außerhalb Chinas, wo ja an einer eigenen digitalen Welt gebastelt wird.
Es ist also überfällig, dass sich das in solchen Dingen ziemlich verschlafene Europa der Herausforderung zu stellen beginnt. Dass die EZB ernsthaft über einen digitalen Euro nachdenkt. Und dass die EU sich über die Regulierung dieses Bereichs Gedanken macht, wie das Kommission und Rat gestern in Form einer gemeinsamen Erklärung zu den „stable coins“(also etwa an Währungskörbe oder Assets gebundene Kryptowährungen wie Libra) getan haben. Derzeit stecken wir im Kryptobereich ja im tiefsten Wilden Westen.
Die Eurozone ist noch nicht einmal da. Denn staatliche Kryptowährungen sind anderswo, von Skandinavien bis Afrika, längst in Planung. Und auch innerhalb der Eurozone wächst der Druck: Erst kürzlich hat die EZB den Esten verboten, parallel zum Euro einen digitalen „Estcoin“herauszubringen.
Ob einem das alles gefällt oder nicht, ist hier nicht die Frage. Die ist vielmehr, ob man in einer globalen Entwicklung Mitspieler sein kann oder letztendlich akzeptieren muss, was andere machen. Und da ist es jetzt wirklich höchste Zeit, dass sich EZB und EU in den Prozess deutlich intensiver einschalten.