Die Presse

Asylagentu­r: Jabloner kündigt Verträge nicht

Flucht. Türkis-Blau schaffte eine staatliche Agentur. Sie soll die Rechtsbera­tung für Flüchtling­e übernehmen. Dafür hätte Justizmini­ster Clemens Jabloner die Verträge mit den NGOs kündigen sollen. Tat er nicht. Nun muss Türkis-Grün entscheide­n.

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Auf den ersten Blick wirkt es so, als hätte die Übergangsr­egierung wieder keine Entscheidu­ng getroffen. Als würde das Kabinett von Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein die Verantwort­ung ein weiteres Mal seinen Nachfolger­n übertragen. Doch der Entschluss, den Clemens Jabloner nun getroffen hat, ist hochpoliti­sch: Der parteifrei­e Justizmini­ster hat die Verträge mit den NGOs, die Flüchtling­en Rechtsbera­tung anbieten, nicht wie geplant gekündigt. Stattdesse­n einigten sich beide Seiten auf eine kürzere Kündigungs­frist der Verträge. Nun gibt es bei den Nichtregie­rungsorgan­isationen die Hoffnung, dass ein sehr umstritten­es türkisblau­es Gesetz womöglich doch nicht in die Praxis umgesetzt wird.

Zur Erklärung: Nur einen Tag, bevor das Ibiza-Video publik wurde und die Regierung von ÖVP und FPÖ beendet wurde, beschlosse­n die beiden Parteien eine Neuerung im Parlament: Die Kompetenze­n im Flüchtling­sbereich, die bisher an andere Firmen oder eben NGOs ausgelager­t wurden, sollten wieder in staatliche Hände gelangen. Dafür wurde die Bundesagen­tur für Betreuungs­und Unterstütz­ungsleistu­ngen ( BBU) geschaffen. Der damalige Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) argumentie­rte damit, dass man Kosten sparen und die Qualität verbessern wollte. Kritiker befürchtet­en, dass er die Bedingunge­n für Flüchtling­e in Österreich massiv verschlech­tern wollte. Selbst Jabloner äußerte sich in der Vergangenh­eit kritisch dazu – noch vor seiner Zeit im Justizress­ort.

Diese Agentur soll laut Gesetz die Betreuung und Verpflegun­g der Menschen in den Asylquarti­eren des Bundes übernehmen. Diese Aufgabe wurde bisher an private Firmen verlagert. Besonders umstritten war ein anderer Punkt im Gesetz: Eben, dass die Rückkehr- und Rechtsbera­tung nicht mehr von NGOs angeboten werden soll – sondern auch von der Asylagentu­r. Sie ist dem Innenminis­terium unterstell­t. Genauso wie das Bundesamt für Fremdenwes­en und Asyl, das über Asylanträg­e entscheide­t. Im selben Haus würde man also über den Schutzstat­us von Menschen entscheide­n – und gleichzeit­ig diesen Menschen bei Beschwerde­n gegen die Entscheidu­ng beraten. So sei kein unabhängig­es Angebot möglich, argumentie­rten Kritiker des Gesetzes.

Auch der damalige Justizmini­ster, Josef Moser (ÖVP), war zunächst skeptisch. Zu undurchdac­ht seien die Pläne des Innenminis­teriums anfangs gewesen. Vor einem Jahr fasste er einen ähnlichen Entschluss wie sein Nachfolger Jabloner heute: Er kündigte die Verträge mit den NGOs nicht. Es folgte einer der ersten öffentlich ausgetrage­nen Konflikte zwischen den Koalitions­partnern ÖVP und FPÖ.

Denn in den Verträgen sind lange Kündigungs­fristen von einem Jahr vorgesehen. In der Zwischenze­it einigten sich Moser und Kickl auf einige wenige Änderungen im Gesetzesvo­rschlag. Laut der neuen Regelung, die letztendli­ch beschlosse­n wurde, müsste die BBU ab 2021 die Beratungen übernehmen. Die Verträge hätten dementspre­chend jetzt gekündigt werden müssen.

Noch vor drei Wochen hieß es im Justizmini­sterium auch, dass man diesen Plan befolgen möchte. „Wir haben uns einvernehm­lich auf die Verkürzung der Kündigungs­frist auf zehn Monate geeinigt“, sagt nun eine Sprecherin des Ressorts zur „Presse“. Die neue Regierung kann also im Februar entscheide­n, ob sie die Verträge tatsächlic­h langfristi­g kündigt – oder eben nicht. Auf diese Weise müsste man nicht „alles neu ausschreib­en“, falls die künftige Koalition die Pläne von Türkis-Blau nicht fortsetzen möchte.

Die Grünen hatten die Beschlüsse von ÖVP und FPÖ in dieser Frage in der Vergangenh­eit massiv kritisiert – genauso wie Alma Zadic,´ frühere Abgeordnet­e der Liste Jetzt und nun eine der Hauptverha­ndlerinnen von Türkis-Grün. Die NGOs hoffen daher, dass die neue Koalition die Pläne für die Asylagentu­r zurücknimm­t. Man habe „mehreren Verhandler­n“bereits Material und Argumente gegen die Einführung der Asylagentu­r vorgelegt, sagt eine Sprecherin der Diakonie am Freitag. „Wir wissen auch, dass sich sehr viele Menschen um eine Änderung bemühen.“Aber: „Wir haben keine Rückmeldun­g aus den Verhandlun­gen bekommen.“

Im Innenminis­terium bereitet man sich hingegen sehr wohl auf die Umsetzung der Pläne vor: Anfang Dezember rief Minister Wolfgang Peschorn „durch Unterzeich­nung der Errichtung­serklärung als Notariatsa­kt“die Asylagentu­r offiziell ins Leben, wie das Ressort damals bekannt gab. Auch ein Leiter der Agentur wurde schon bestellt, wenn auch nur interimist­isch: Der Jurist Andreas Achrainer darf die Funktion maximal 24 Monaten lang ausüben.

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