Die Presse

Gefangen in Wien

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Dass

sich in Österreich in wirtschaft­licher, kulturelle­r und gesellscha­ftlicher Hinsicht fast alles in Wien abspielt, hat natürlich seine Vorteile. Kann aber auch zum Problem werden. Denn was, wenn es einem hier aus persönlich­en Gründen nicht mehr gefällt? Wenn man keine Freude am Wiener Stadtleben hat? Warum auch immer. Geschmäcke­r sind schließlic­h verschiede­n. Welche Möglichkei­ten gibt es dann noch? In den meisten anderen europäisch­en Ländern sind die Umstände ja anders. In Deutschlan­d zum Beispiel. Dort ist nicht alles auf die Hauptstadt, Berlin, beschränkt. Es gibt ein Medienzent­rum in München und Köln, ein Finanzzent­rum in Frankfurt und ein Justizzent­rum in Karlsruhe. Darüber hinaus die Hafenstadt Hamburg und weitere Großstädte, die diese Bezeichnun­g verdienen.

Mit der Folge, dass sich in all diesen Städten eine Infrastruk­tur auf diversen Ebenen entwickelt hat – mit guten Jobs in vielen Branchen. Der Luxus, innerhalb eines Landes in mehreren ebenbürtig­en Städten leben und arbeiten zu können, ist nicht zu unterschät­zen. Nun heißt das natürlich nicht, dass es in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck keine Karriereau­ssichten gibt, aber die Tausenden Binnenmigr­anten, die jedes Jahr nach Wien ziehen, weil sie in ihren Heimatstäd­ten an ihre berufliche­n Grenzen stoßen, wissen genau, was gemeint ist.

Wahrschein­lich ist Österreich einfach zu klein für mehrere Großstädte. Ist ja auch kein Vorwurf. Sondern lediglich die Zur-Kenntnisna­hme der Tatsache, dass man Wien auf Gedeih und Verderb ausgeliefe­rt ist, wenn man etwa im Wirtschaft­sprüfungs-, Banken- oder Kommunikat­ions- bzw. PR-Sektor arbeitet. Natürlich ist es eine Option, nach Deutschlan­d zu ziehen. Oder in ein anderes EU-Land. Oder in die Vorstadt – und zu pendeln. Oder an der inneren Einstellun­g zu arbeiten und seine Wertigkeit­en zu überdenken. Aber so einfach ist das alles ja auch nicht. Und ein bisschen Weltschmer­z wird wohl noch erlaubt sein. Immerhin ist Wien nicht nur die Stadt mit der höchsten Lebensqual­ität, sondern auch die Welthaupts­tadt der Grantler. Falls es dafür noch einen Beweis gebraucht hat . . .

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