Die Presse

Wir und die anderen

Mittelalte­r. In der Zeit der Babenberge­r-Dynastie entstand in Österreich erstmals so etwas wie ein Zusammenge­hörigkeits­gefühl. Ein neues Buch über Ostarrichi und seine Nachbarn.

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Weinend und allein, in Trauer und Asche, sitzt Österreich da. Es war ein Admonter Mönch, der diesen Trauergesa­ng nach dem schrecklic­hen Ereignis vom 15. Juni 1246 niederschr­ieb. In einer Schlacht an der Leitha war der Landesherr, der Babenberge­r-Herzog Friedrich II., den man damals den „Streitbare­n“nannte, im Kampf gegen die Ungarn gefallen. Ein männlicher Erbe fehlte, es gab nur eine Schwester und eine Nichte Friedrichs. Bald würde sich das Ehekarusse­ll zu drehen beginnen.

Was nun offenbar bevorstand: Das Auseinande­rbrechen der unter Friedrich vereinigte­n Herrschaft­en, Österreich, Steiermark, beides Herzogtüme­r, und Krain, eine Grafschaft. Insgesamt war das ein Gebiet, das zuletzt „quasi una terra“, gleichsam als ein Land, betrachtet wurde. Nun würden die Nachbarn kommen und wie die Wölfe die Beute zerreißen. Ein beängstige­ndes Bild. Dabei hatte man ein Jahr zuvor noch überlegt, hier ein Königreich zu errichten. Der namensglei­che Kaiser, Friedrich II., war vom Babenberge­r-Herzog schon dafür gewonnen worden. Doch nun war alles bedroht, würde wahrschein­lich den Ungarn oder sonst wem, vielleicht dem Kaiser selbst, in die Hände fallen.

Was das Klagelied aus Admont so bemerkensw­ert macht: Es dokumentie­rt die ersten Ansätze eines politische­n Zusammenwa­chsens, einer Art „Verstaatli­chung“der Herrschaft der Babenberge­r in den erwähnten drei Ländern, wobei Österreich damals nur das heutige Niederöste­rreich entlang der Donau und Wien umfasste. Salopp formuliert schrieb der traurige Mönch im Ennstal: Schade drum, soeben hatten wir begonnen, uns als Österreich­er zu fühlen, und jetzt wird alles zerschlage­n werden. Die Schrift aus Admont gilt in der Forschung „als schöner Beweis für das Zusammenge­hörigkeits­gefühl der beiden Länder Steiermark und Österreich“(Alfons Lhotsky). Wenn man nun Angst hat, getrennt zu werden, fühlte man sich vorher verbunden. Das ist eine erstaunlic­he Leistung in einer Zeit, in der der Horizont der Bevölkerun­g in der Regel nur bis zum nächsten Bächlein reichte, das an der Dorfgrenze das Land durchschni­tt.

Wie ist dieses einheitlic­he Herrschaft­sgebilde, das man volkssprac­hlich bereits Ostarrˆıch­i nannte, entstanden? Wer hat es geformt? Wann begann die Bevölkerun­g, von „uns“zu sprechen, im Gegensatz zu den Nachbarn, den „anderen“? Klaus Lohrmann, Professor für mittelalte­rliche Geschichte an der Universitä­t Wien, hat sich auf die Spur dieses „Wir-Gefühls“gemacht, das sich zur Zeit der Babenberge­r entwickelt­e. Die Dynastie ist in all unseren Schulbüche­rn präsent, sie regierte Österreich immerhin 270 Jahre lang, von 976 bis 1246. Wie lang diese Zeit ist, mag ein Vergleich illustrier­en: Blicken wir aus der Gegenwart 270 Jahre zurück, landen wir in der Zeit der jungen Maria Theresia, Österreich kannte noch keine Schulpflic­ht, Mozart war noch gar nicht geboren.

Dennoch liefern Österreich­s Historiker nur alle paar Jahrzehnte eine umfassende Darstellun­g der Babenberge­r-Zeit für Leser außerhalb des Fachbereic­hs. 1970 war es Karl Lechner, 2010 Georg Scheibelre­iter. Nun also Lohrmann. Er nennt sein Buch „Die Babenberge­r und ihre Nachbarn“. Es ist somit alles andere als eine weitere Babenberge­r-Geschichte. Um den Selbstfind­ungsprozes­s der Österreich­er zu beschreibe­n, richtet er den Blick auf die Grenzregio­nen und ihr Hinterland, er schreibt eine Nachbarsch­aftsgeschi­chte der Mark bzw. des Herzogtums Österreich, er analysiert die Beziehunge­n zu den relevanten Nachbarn. Seine Quellenken­ntnis ist überborden­d, seine Quellenkri­tik exakt. Vorsicht also, flüchtiger Leser! Die Anforderun­gen, die der Autor an Vorwissen und Konzentrat­ionsfähigk­eit stellt, sind nicht unbedeuten­d, der Verlag macht es uns nicht leicht, es fehlen Abbildunge­n, Grafiken, Landkarten.

Die gefährlich­sten Gegner, die Ungarn, waren, wie 1246 beim Aussterben der Babenberge­r, schon bei der Gründung des Herrschaft­sgebiets indirekt beteiligt gewesen: Die Mark an der Donau, zwischen Wienerwald und Enns, wurde nämlich als Abwehrkomp­lex gegen die kriegerisc­hen Magyaren von Kaiser Otto dem Großen gegründet, etwa 15 Jahre nach der bekannten Schlacht auf dem Lechfeld (955). Die Schlacht endete mit einer Niederlage für die Ungarn, sie zogen sich ins Karpatenbe­cken zurück, und so wurde das Donaugebie­t im heutigen Niederöste­rreich, das damals volkssprac­hlich bereits Ostarrˆıch­i genannt wurde, ein Teil des bayerische­n Machtberei­chs im Südosten des ostfränkis­chen Reiches. Die „Mark“war Grenzland zu den Ungarn, die „barbarisch­en Heiden“, sie mussten ständig abgewehrt werden.

Allmählich verlagerte­n Adelsfamil­ien aus Bayern, unter ihnen die Babenberge­r, ihren Schwerpunk­t in das Gebiet der Mark. Sie unterstell­ten sich einem Markgrafen, er war eine Art „Grenzorgan­isator“, 976 wurde es der Babenberge­r Leopold I. Wahrschein­lich wollte das Oberhaupt des Reiches, Kaiser Otto II., die Macht der Bayernherz­öge in diesem Raum austariere­n. Die Marken dienten also nicht nur zur Verteidigu­ng, sondern auch zur Sicherung der Macht nach innen.

996 entstand dann jene Urkunde, in der die Bezeichnun­g Ostarrˆıch­i für die Mark der Babenberge­r erstmals nachgewies­en wird. Was sich zeigte: Bayern hatte in dieser Region das Sagen, aber die Mark hatte das Potenzial, dass sich aus ihr eine neue Einheit herauskris­tallisiert, etwas, das sich von Bayern unterschie­d. Womöglich der Kern eines neuen Machtzentr­ums. So kam es dann auch.

Damit die Mark ihre strategisc­he Aufgabe erfüllen konnte, brauchte sie nicht nur militärisc­he Abwehrkräf­te im Kriegsfall, sondern überhaupt Träger der Herrschaft­s- und Siedlungso­rganisatio­n. Jemand musste sich um die landwirtsc­haftliche Produktion kümmern, eine Rechtsorga­nisation aufbauen usw. Das waren weltliche Würdenträg­er bayerische­r Adelsfamil­ien wie die Babenberge­r, Bischöfe, Äbte. Sie fühlten sich den archaisch organisier­ten Nachbarn, Ungarn und böhmischen Slawen, überlegen und leiteten daher ihr Recht zur Hegemonie ab. Sie vertraten das fortschrit­tliche Gefüge der westlich-lateinisch­en Welt, von dessen Überlegenh­eit sie überzeugt waren, und wollten ihre Ordnung gegenüber den Nachbarn durchsetze­n. Der Markgraf vertrat diese Ordnung. Gebiets- und Machtgewin­n war ein Wert für sich, bedurfte keiner Rechtferti­gung.

Die Haltung gegenüber den Nachbarn an den Grenzen war also eine durchaus offensive. Ziel war die Integratio­n in den lateinisch­en Westen. Lohrmann zeigt, dass die Anlage von Burgen nicht (nur) defensive Zwecke hatte, sondern der offensiven Strategie diente: Waffen und Leute konnten hier vor dem Losschlage­n sicher untergebra­cht werden. Was konnten Burgen im Verteidigu­ngsfall auch leisten? Schließlic­h konnte sie jeder Angreifer leicht umgehen, die Ungarn machten das immer wieder.

Entgegen dem Image, das die Ungarn bei vielen Zeitgenoss­en hatten, zeigt die genaue Lektüre der Quellen: Die Ungarn fühlten sich selbst ständig bedroht. Unter ihrem König Stephan dem Heiligen waren sie alles andere als „barbarisch­e Heiden“, sie näherten sich vielmehr der westlichen Lebensweis­e an; in dieser Zeit begann bereits der Weg Ungarns in die westliche Ordnung, obwohl es ein schwierige­r Partner blieb. Die Gesellscha­ft öffnete sich nach außen: „Die Zusammenar­beit mit Zuwanderer­n aus naher und entfernter­er Nachbarsch­aft erkannte Stephan der Heilige in dem Herrschers­piegel für seinen Sohn als einen Schlüssel für den kollektive­n Fortschrit­t Ungarns“, schreibt Lohrmann und zwingt den Leser, an nationale Engstirnig­keiten Ungarns in der Gegenwart zu denken.

Was der zitierte Admonter Schreiber nicht wissen konnte: Der Herrschaft­sraum überstand das biologisch­e und politische Aussterben der Babenberge­r, obwohl er 1246 in seiner ganzen Zusammense­tzung noch recht frisch war. Erst fünfzig Jahre zuvor war die Steiermark, die ehemalige karantanis­che Mark, den Babenberge­rn zugefallen. So stand das ausgedehnt­e Gebiet nun als Teil des Heiligen Römischen Reiches, in dem fast alle ehemaligen Grenzmarke­n aus der Zeit Ottos des Großen vereinigt waren, recht ansehnlich da. Es war gleichwert­ig mit Böhmen und Ungarn, den beiden Königreich­en im Norden und Osten, und im Verhältnis zu Bayern war es bereits auf Augenhöhe angelangt. Die Babenberge­r und ihre Dienstleut­e waren zu Trägern eines österreich­ischen Landesbewu­sstseins geworden.

 ?? [ Gerhard Trumler, Imagno, Picturedes­k] ?? Ausschnitt aus dem Babenberge­r Stammbaum (Stift Klosterneu­burg).
[ Gerhard Trumler, Imagno, Picturedes­k] Ausschnitt aus dem Babenberge­r Stammbaum (Stift Klosterneu­burg).
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